"Wenn ich Kultur höre..."

Rolf Düsterbergs Biografie des Expressionisten und NS-Funktionärs Hanns Johst

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es handelt sich um eine keineswegs geringe Anzahl illustrer deutschsprachiger Autoren, die sich wenigstens temporär im Vorfeld und im Umfeld des Nationalsozialismus aufhielten, die sich durch das Bekenntnis zu ihm, wie sich herausstellen sollte, kompromittierten oder sich - konservativ oder nicht, völkisch oder nicht - mehr oder weniger systemkonform verhielten, und sei's, dass man sie der 'Inneren Emigration' zurechnete. Doch von den unverbrüchlich regimetreuen Nazi-Dichtern oder gar Literaturfunktionären, den Verfassern von Führerlyrik und Thingspielen, ist kaum einer heute noch über einen engeren Spezialistenkreis hinaus bekannt. Hanns Johst, der Autor des 1933 erfolgreichen, Adolf Hitler gewidmeten Schauspiels, das Leben und Sterben des völkischen Märtyrers Albert Leo Schlageter zum Inhalt hat, der langjährige Präsident der Goebbels' Propagandaministerium eingegliederten Reichsschrifttumskammer, ist einer dieser wenigen. Das "Schlageter"-Zitat "Wenn ich Kultur höre, entsichere ich meinen Browning!", erfreut sich als Beleg für eine trotz aller anderslautenden Beteuerungen letztlich kulturfeindlichen Haltung der Nationalsozialisten einiger Bekanntheit. Hier scheinen alle Versuche möglicher Ehrenrettung an eine unüberwindliche Grenze zu stoßen; weder könnten sie im Politischen ansetzen, noch vermöchten sie ihr Heil wenigstens im Ästhetischen zu suchen, im beliebten Aufweis der Modernität des 'Delinquenten' zumal. Bei Leni Riefenstahl mag das noch halbwegs gelingen, an Hanns Johst, dem vom Pazifisten und expressionistischen Dramenautor bald nach 1918 zum völkisch denkenden Nationalisten und Antisemiten gewendeten Pamphletisten, dem repräsentativen, in SS-Uniform paradierenden nationalsozialistischen Autor, dürfte nichts Gutes zu finden sein. Umso verdienstvoller ist Rolf Düsterbergs Versuch, ganz und gar jenseits jeglicher identifikatorischer Lektüre die Spuren einer Werkbiografie aufzuhellen, die bisher nur schlaglichtartig aufgearbeitet worden war.

Der dem sächsischen Kleinbürgertum entstammende, von vornherein allem Intellektuellen, aller Selbstreflexion eher abgeneigte Johst war ein Mann der Autoritätssehnsucht und der großen Konfession. Eine intellektuelle Biografie lässt sich demzufolge wohl kaum schreiben; Düsterbergs Entscheidung, Karrierestränge zu rekonstruieren, erweist sich daher als ausgesprochen klug. Wenngleich das Œuvre Johsts natürlich nicht durchgängig als nationalsozialistisch rubrizierbar ist, scheint es doch Belege für Kontinuität zu geben. Früh schon liegt dem durch Carl Hauptmann geförderten jungen Expressionisten die Menschheit schlechthin am Herzen, sehnt er sich nach einer Erlösung von Individualität und Intellektualität. Am Anfang seiner Schriftstellerkarriere, bald nach Beginn des Ersten Weltkrieges, stand eine noch pazifistische Haltung; er publizierte etwa in Franz Pfemferts "Aktion". Seinen Durchbruch erlebte Johst 1917 mit dem Künstlerdrama "Der Einsame", das den Dramatiker Grabbe als antiintellektuellen, revolutionären Melancholiker (und Antisemiten!) wiederentdeckte. Offenbar mit dem Erlebnis der Revolution von 1918 begann sich Johsts Weltbild in Richtung eines ethischen Relativismus, ästhetischen Antimodernismus, einer Weltanschauung abzurunden, die ihr Endziel in der völkischen Gemeinschaft hatte und die vor Sozialdarwinismus keinen Halt machte. Allen gutgläubigen Weltverbesserungsplänen des politischen Expressionismus erteilte Johst in seinem Drama "Der König" 1920 eine Absage. Von nun an widmete er sich der Schöpfung eines heroisch-kultischen Dramas, das ein in Mutterkult und Blutmystik schwelgendes völkisches Mysterium zelebrierte. Mit einem "Ethos der Begrenzung" - so ein Essay von 1924 - meinte Johst die funktionale Reduktion von Literatur wie übrigens gleichermaßen von Religion auf Rasse, Volk und Sprache. Spätestens damit empfahl er sich als völkischer Vorzeigedichter, scheint aber nach der ihm gemäßen Institutionalisierungsform längere Zeit gesucht zu haben.

Obwohl erst seit 1932 Parteimitglied, gehörte Johst schon 1927 zu den Gründungsmitgliedern des von Alfred Rosenberg geleiteten "Kampfbundes für deutsche Kultur", des ersten größeren Versuches seitens der NSDAP, Kulturpolitik und Kulturbetrieb zu beeinflussen. Dabei bleibt jenseits aller propagandistischer Verlautbarungen ungeklärt, zu welchem Zeitpunkt welche Leserkreise durch diese Indienstnahme von Literatur eigentlich gewonnen werden konnten. Es fällt beispielsweise auf, dass in den Jahren von Johsts "Kampfbund"-Tätigkeit - die allerdings gleichzeitig Jahre der Wirtschaftskrise waren - seine Einnahmen aus Tantiemen stark zurückgingen, ehe der Karriereschub von 1933 eine geradezu sensationelle Umkehrung dieses Trends erbrachte, von 400 Reichsmark 1931 zu 54.000 Reichsmark 1933.

Nicht ganz erklärlich ist der rasche, nur scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des dem Selbstverständnis nach 'unpolitischen', jeglicher Diskussion abgeneigten Johst an die Spitze des NS-Staates zu einem der einflussreichsten Kulturfunktionäre. Bereits bei der Gleichschaltung der so genannten "Dichterakademie", der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, erhielt Johst eine Spitzenposition. Doch mag es unter den zahlreichen konservativen bis völkisch gesinnten Autoren nur wenige gegeben haben, die sich uneingeschränkt dem NS-Regime zur Verfügung stellten. Dem Hitler-Verehrer Johst, dem in freundschaftlicher Zuneigung seinem häufigen Gesprächspartner "Heini" Himmler verbundenen Dichter, dem Duzfreund des Reichskulturkammer-Präsidenten Hans Hinkel öffneten sich plötzlich viele Türen. Dass er als Dramaturg in Berlin ob seines Blut-und-Boden-Geschmacks scheiterte, blieb da nur Episode, ist aber ex post auch ein Zeichen des Endes seiner Autorschaft im engeren Sinn: Mit dem politischen Aufstieg begann nämlich unversehens der Abstieg des Autors Johst, von dessen ursprünglich pathosgesättigter literarischer Kreativität kaum mehr etwas übrig gewesen zu sein scheint und dessen stilistisches Vermögen, liest man die bei Düsterberg zuhauf abgedruckten Briefauszüge, sich in elementarsten Bereichen bewegt haben muss. Kurz vor seiner Ernennung zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer 1935 schreibt er an Hans Hinkel: "Ich getraue mir das Schrifttum im Sinne unserer Bewegung einzuexerzieren, wenn man mich mit den nötigen Machtmitteln begabt!" Der Funktionär legitimierte sich jedenfalls durch seine Verbindungen zur Führungsetage des Dritten Reiches, weniger durch seine Publikationen. Nach dem "Schlageter", der bis 1944 eine Auflage von 80.000 Exemplaren erreichte, kam nur noch Propagandistisches von Johst, Reiseberichte zudem. Sein Gesamtwerk erreichte nach Düsterbergs Berechnungen eine Millionenauflage.

Das an Hitlers Geburtstag 1933 uraufgeführte und ihm gewidmete Schauspiel um den Terror eines Freikorps-Helden während der französischen Besetzung des Ruhrgebiets 1923 dürfte für Johst ein Meilenstein auf dem Weg seiner weiteren Funktionärskarriere gewesen sein. Die Utopie einer Kampfgemeinschaft, nationaler Opferkult, revolutionärer Gestus, schließlich der Widerstand gegen den Friedensvertrag von Versailles - das waren im Rahmen der nationalsozialistischen 'Revolution' von 1933/34 wohlgelittene Ideologeme, auf der Bühne wie im neuen Massenmedium Rundfunk, für den eine sehr erfolgreiche Hörspielfassung entstand.

Über Johsts tatsächlichen Entscheidungsspielraum, seinen faktischen volkspädagogischen und kulturpolitischen Einfluss äußert sich Düsterberg nicht immer eindeutig und schließlich zurückhaltend: "Indem er, salopp formuliert, einen der Werbechefs des Regimes spielte und diese Rolle selbst ein wenig zu der eines Frühstücksdirektors geraten ließ, sorgte er für ideologisch 'gute Stimmung' auf dem Gebiete des Schrifttums, damit der Laden um so besser liefe [sic]. Ohne Zweifel war und blieb er bis zum Schluß Autorität; aber er nutzte seinen potentiellen Machtspielraum nicht, dazu war er zu faul und vielleicht auch zu ängstlich." Doch sorgte Johst immerhin auch für eine "Säuberung" der Reichsschrifttumskammer, er setzte sich nicht nur für Freunde wie etwa Gottfried Benn ein, sondern denunzierte auch Missliebige. Und dann war da noch die parallele Karriere in der SS, vermeintlich nur ein Freundschaftsdienst Himmlers, ein Ehrenamt ohne Funktionen, das Johst aber bis in die höchsten Generalsränge führte. Als SS-Gruppenführer nahm Johst, dies weist Düsterberg schlüssig nach, auch an der berüchtigten Führertagung in Posen im Oktober 1943 teil, zu der Himmler geladen hatte, um seine Getreuen über den Vollzug des Holocaust zu informieren. Johsts Freundschaft mit Heinrich Himmler scheint eine für beide Seiten (in Maßen) befruchtende Symbiose zwischen 'Dichter' und 'Herrscher' unter den Bedingungen des totalitären Staates gewesen zu sein; unter diesem Aspekt jedenfalls sollte man ihr weiter nachgehen. Johst begleitete Himmler nicht nur seit 1939 in die eroberten (und dann Himmlers Polizei- und SS-Schergen ausgelieferten) Gebiete Mittelosteuropas, er sollte auch eine Saga des Großgermanischen Reiches schreiben.

Von 1945 an war Johst für mehrere Jahre interniert; sein Entnazifizierungsverfahren zog sich mit wechselhaften Resultaten durch mehrere Instanzen lange hin, endete dann aber für ihn ausgesprochen glimpflich. Er selbst hatte seine biografische Wende mit dem expressionistischen Begriff der "Wandlung" belegt, hatte sich als bloßer "Mitläufer", im Übrigen als Pazifist und Humanist bekannt und besaß oder fand Freunde, die nicht davor zurückschreckten, ihn vor Gericht mit Georg Büchner oder ausgerechnet mit Ernst Toller in einem Atemzug zu nennen. Nun konnte auch der inzwischen hoch angesehene Gottfried Benn Johst mit seiner Fürsprache stützen. Eine führende Stellung im NS-Staat wurde jedenfalls stets dementiert. So konnte Johst noch bis kurz vor seinem Tod 1978 unbehelligt in seinem Haus am Starnberger See leben; ein letzter Roman, 1955 nach Einstellung seines Spruchkammerverfahrens erschienen, blieb allerdings erfolglos.

Die lesenswerte und über weite Strecken auch gut lesbare Biografie zeichnet eine Schriftstellerexistenz im Zeitalter des permanenten Ausnahmezustands nach. Düsterberg lässt sich auf eine theoretische Reflexion heutiger Möglichkeiten der Gattung 'Biografie' nicht ein, trifft aber mit seiner Aufspaltung des einen Lebenslaufes in Kapitel, die mehrere "Karrieren" dokumentieren sollen, eine folgenreiche Entscheidung, die ihm die Beantwortung zweier wesentlicher Fragen erleichtert, wenn nicht erspart: Das ist zum einen die nach Brüchen und Kontinuitäten (!) zwischen der frühen expressionistischen Schreibpraxis und dem späteren völkischen und dann nationalsozialistischen Bekenntnis - neben Benn wären hier auch Arnolt Bronnen oder der Dresdner Heinar Schilling zu nennen -, sodann aber die Frage nach Vereinbarkeit und Bedingungsgefüge der nebeneinander herlaufenden Karrierestränge zwischen 1933 und 1945. Während der steile, aber nicht ganz ungebrochene Aufstieg 1933/35 und die darauf folgende Kontinuität der Präsidentschaft der Reichsschrifttumskammer 1935-45 sich schlicht hintereinander in das Buch einmontieren lassen, ist die ebenfalls zehnjährige Karriere als SS-Führer das eigentlich verstörende, nicht wirklich integrierbare Moment dieser Schriftstellerbiografie. Der Durchlässigkeit der Avantgarde der 1910er Jahre für den Rechtskonservatismus der Weimarer Republik kann man hier anhand eines prominenten Falles nachspüren. Im Austausch mit der Literatur seiner Zeit gewinnt der Autor Johst, dessen Künstlerdrama "Der Einsame" Brecht zu dessen Erstling "Baal" inspiriert hat, jedoch leider weniger klare Konturen. Zu wenig ausgelotet wird etwa der Einfluss des Münchener Theaterwissenschaftlers Artur Kutscher, dessen Kreis Johst zeitweilig angehörte. Eher gestreift als nachgewiesen wird ein Werkdialog mit Thomas Mann, der seinen Höhepunkt bald nach dessen Bekenntnis zur Republik in einer von Empörung getragenen Ablehnung Manns durch Johst erreicht, dabei aber noch in Manns Exiltagebuch - Repräsentant versus Repräsentant - einsame Echos erfährt, während in Johsts "Schlageter"-Drama noch der "Zivilisationsliterat" Manns aus dem Ersten Weltkrieg herumspukt.

Insgesamt vertraut Düsterberg der Sprache der Akten vielleicht allzu sehr, lässt er die mit immensem Fleiß aus Johsts Marbacher Nachlass sowie aus zahlreichen weiteren Archiven zusammengeführten Quellen nicht selten sehr ausführlich zu Wort kommen. Dies betrifft besonders die offenbar umfangreiche Entnazifizierungsakte, die das skandalöse Hin und Her von Belastung und Entlastung eines wahrlich nicht marginalen NS-Funktionärs beleuchtet. Doch liegt, das sei abschließend betont, in der umfassenden Aufarbeitung dieses Aktenmaterials gleichzeitig auch das besondere Verdienst dieses wichtigen Buches.

Titelbild

Rolf Düsterberg: Hanns Johst: Der Barde der SS. Karrieren eines deutschen Dichters.
Schöningh Verlag, Paderborn 2004.
462 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3506717294

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