"Macht mir aber viel Freude"

Hugo von Hofmannsthals Publizistik während des Ersten Weltkriegs

Von Andreas SchumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Schumann

Die Feldkappe

Drei Tage vor der Kriegserklärung Östereichs-Ungarns an Serbien vom 28. Juli 1914 war bereits eine österreichische Teilmobilmachung erfolgt, die vorrangig zur militärischen Sicherung der österreichischen Grenzen auf dem Balkan führte. Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal, doctor philosophiae, 40 Jahre, verheiratet, drei Kinder, erhält am 26. Juli 1914 seine Einberufung als Offizier zum Landsturm-Feldregiment Nr. 5 nach Pisino (Pazin) im Hinterland von Istrien - "ein bisserl öd ist schon dieses Nesterl [...]" In diesen späten Julitagen schreibt Hofmannsthal an seinen Freund Richard Beer-Hofmann einige Zeilen:

Das hätte ich mir auch nicht gedacht, daß ich noch einmal im Leben eine Feldkappe aufsetzen und einen geschliffenen Säbel umschnallen würde. Macht mir aber viel Freude. Ich bekomme entweder ein Bahnsicherungscommando in Istrien oder Dalmatien - oder Urlaub, beides ist möglich.

Dieses positive Empfinden, das Hofmannsthal hier ausspricht, erscheint gerade wegen der persönlichen, ja intimen Emphase auffällig, die so gar nichts vom Hurrapatriotismus der ersten Kriegstage an sich trägt, wie schon die Erwähnung eines denkbaren Urlaubs zeigt. Einem bereits in der damaligen Zeit hochgeschätzten Dichter und Denker einen beinahe kindlich-naiven Spaß am Soldatenspiel in einer äußerst ruhigen Garnison nachsagen zu wollen, wäre sicher verfehlt. Zwar vermerkt Hofmannsthal am 27. Juli 1914 bei einem Aufenthalt in Wien die allgemeine Kriegsbegeisterung, von der er an seine Frau Gertrud (Gerty) und seinen Vater schreibt, sie sei

von solcher Schönheit, solchem Ernst, dabei so zuversichtlich und man muß beinahe sagen heiter, daß man sich wirklich schämen würde, gar nicht dazuzugehören, oder wie er einen Tag später auf einer Postkarte an Ottonie Gräfin Degenfeld bemerkt: Glauben Sie mir und sagen es allen unsern Freunden, daß wir alle hier, bis zum letzten Holzknecht, in diese Sache und alles was daraus werden möge, mit einer Entschlossenheit, ja einer Freude hineingehen, wie ich sie nie erlebt habe, ja nie für möglich gehalten hätte, doch Äußerungen wie die eben zitierte gegenüber Beer-Hofmann zeugen eher von einer gewissen ironischen Distanziertheit gegenüber der politischen Lage wie auch gegenüber einem bevorstehenden militärischen Einsatz - eine Distanz, die sich auch in der sozialen Abgrenzung des Intellektuellen vom "letzten Holzknecht" niederschlägt.

In der Tat ist Hofmannsthal keineswegs unglücklich darüber, schon nach wenigen Tagen Garnisonsaufenthalt wieder nach Hause geschickt zu werden, ja, er betreibt systematisch seine Freistellung. Bereits am 4. August kann er zurück nach Wien fahren, am 12. August wird Hofmannsthal der Pressegruppe des Kriegsfürsorgeamtes zugeteilt, am 1. Oktober erreicht er die gewünschte Superarbitrierung, also die Abberufung vom Truppen- in den Lokaldienst. Der offizielle Anlaß ist mit seinem fortgeschrittenen Alter und gesundheitlichen Problemen gegeben - Diabetes und Kurzsichtigkeit lassen ihn als nicht militärtauglich erscheinen.

Hofmannsthals Truppenaufenthalt ist also von kurzer Dauer und noch vor Einsetzen der Kampfhandlungen beendet. Und doch kann er sich weiterhin mit "Freude" einer Auseinandersetzung mit der Kriegssituation widmen. Mit "anonymer Politik" will er ihr begegnen, mit Dichtung, mit geistiger Unterstützung der Truppen, mit nationaler und moralischer Erbauung, wie in einem Brief an Eberhard von Bodenhausen (18. 10. 1914) betont wird: Das Bedürfnis nach Geistigem ist ja bei denen vorn so groß, so hört man immer wieder. [...] sie bitten immer wieder um etwas, was sie "emporzieht" vom Morde. [...] die acuteste Sorge ist die für die Winterausrüstung, seitens der Heeresverwaltung geschieht bei uns nur unzulängliches in diesem Punkte, alle Kräfte sind auf den Munitionsersatz, die Verpflegung gestellt, hier muß mit angespanntesten Kräften nachgeholfen werden; dazu mache ich anonyme Politik, in diesem seltsamen zu Improvisationen einladenden nicht Land, nicht Reich, nicht Staat.

Doch so "anonym" ist die von Hofmannsthal betriebene Politik gar nicht. Weniger seine Tätigkeit im Pressebüro des Kriegsfürsorgeamtes, die er zwischen dem 12. August 1914 und dem 17. Mai 1917 ausübt, seine diversen dienstlichen (im Auftrag des Ministeriums des Äußern) oder halbamtlichen Reisen noch die zahlreichen persönlichen Verbindungen zu politisch engagierten Zeitgenossen sollen hier behandelt werden. Öffentlichkeit erreicht Hofmannsthal durch sein publizistisches Engagement, durch seine Wortmeldungen und Deutungen, die sich mit dem Krieg auseinandersetzen und durch Abdruck in Zeitungen und Zeitschriften wie durch Vorträge ihr Publikum finden.

Der Weltkrieg bietet Hofmannsthal zunächst die Gelegenheit zu intensiver Beschäftigung mit der politischen Situation, zu einem rückwärtsgewandten, konservativen Entwurf einer geistigen Heimat mit Namen Österreich. Zu fragen ist, in wie weit dieses Programm durch die Wahrnehmung der Kriegssituation geprägt wird oder diese Wahrnehmung selbst beeinflußt. Von Hofmannsthals kulturkritischen Schriften ist hier zu sprechen, nicht von den während der Kriegszeit entstandenen oder fertiggestellten Werken wie "Die Frau ohne Schatten", "Der Schwierige" oder den Molière-Adaptionen. Es soll eher der Versuch unternommen werden, die sich im Laufe der Kriegszeit wandelnden historischen und politischen Einstellungen und Visionen des Autors nachzuzeichnen.

Prinz Eugen

In einem der von Karl Kraus oft und gerne mit Häme überschütteten Organe, der Wiener "Neuen Freien Presse", wie auch in anderen Zeitungen wie etwa der "Österreichischen Rundschau" veröffentlicht Hugo von Hofmannsthal ab September 1914 eine ganze Reihe von Artikeln, die sich mit der Situation Österreichs im Kriege befassen. In einem historischen Augenblick, der den Einzelnen mit Schrecken, Not und Tod konfrontiert, versuchen diese Essays so etwas wie Trost zu spenden, denn: Unser Geist schweift angstvoll umher nach einem Sinn solchen Geschehens; auch über das Härteste könnte er sich beruhigen, wo er die höhere Notwendigkeit erkennte. Die Gewalt aber, die scheinbar gleichgültig über alle hinschreitet, ist zu stark für unsre Fassung; wahllos sehen wir sie die Einzelnen zu Tausenden und Tausenden vernichten [...].

Trost scheint Hofmannsthal in der Geschichte zu finden, die sich für ihn während des momentanen Weltkrieges gleichsam schicksalhaft zu wiederholen scheint. In den politischen Wirren und Kämpfen der Türkenkriege und der zum Mythos stilisierten Figur des Eugen von Savoyen finde sich der Bezug zur eigenen Zeit, "das einzige politische Arkanum in einer ungewissen, zukunftsschwangeren Gegenwart". Schon 1683 sei ganz Europa "von Lille bis Belgrad, wie heute" in aufgezwungene Kriege verstrickt gewesen, die nach Selbstverteidigung verlangten und durch das Eingreifen der Person Eugens letztlich zur Selbstbestimmung - und das heißt für Hofmannsthal: zum Entstehen Österreichs als Nation - führten. "Österreich ist das Reich des Friedens, und es wurde in Kämpfen geboren." - der geschichtliche Auftrag der Nation erfülle sich also im Krieg. Gestärkt wird diese Perspektive durch das Einschwenken in die zeitgenössische Überzeugung, daß der Krieg die ,Waffenbrüder' Deutschland und Österreich-Ungarn in die Defensive zwinge, von den ,Feinden' aufgezwungen sei.

Eben diese Konstruktion eines konsequenten und legitimen Gangs der Geschichte begründet den Auftrag an die Nation, sich der eigenen Größe zu erinnern. Da Österreich in den knapp 250 Jahren seit den Türkenkriegen sein Selbstbewußtsein zum Teil vergessen habe, sei es substanziell bedroht, nur der gegenwärtige Krieg biete den notwendigen Moment der Besinnung:

Der Staat, dessen Unglück es war, seinen historischen Schwerpunkt verloren und einen neuen noch nicht definitv gefunden zu haben, ist für die Dauer der weltgeschichtlichen Krise dieser Sorge enthoben; sein Schwerpunkt ist das österreichisch-ungarische Heer. [...] Die Analogie mit 1683 drängt sich auf und stärkt das Herz; der Anstoß jener einen großen Defensivtat schuf uns eine Kunstblüte, die so ausgesprochen österreichisch ist, daß man, den engeren Wortsinn vergessend, sie national nennen möchte, eine Blüte des Wohlstandes, die mehr als ein Jahrhundert durchdauerte, eine innere Stärkung und Wiedergeburt ohnegleichen.

Aus Kriegen entstehen also nicht nur die Nation und eine eigene, hochstehenden Kunst und Kultur, nein, der Krieg selbst bietet Anlaß zur Hoffnung auf Neues. Es bedarf allerdings "des schöpferischen Geistes", der eine Führungsposition zu übernehmen vermag. In Eugen von Savoyen findet Hofmannsthal nicht nur den umsichtigen Strategen, der Ungarn von der türkischen Invasion befreit, durch seine Siege begründet sich vielmehr die Vormachtstellung Österreichs in Europa, die zu großer territorialer Ausbreitung habsburgischer Macht führt: sowohl die Niederlande wie auch Oberitalien können gewonnen, Frankreich und Bayern besiegt werden, wenn auch unter großen Opfern. Wichtiger noch erscheint in der Darstellung Hofmannsthals die Zeit nach den Siegen, die von noch größerer Umsicht des Feldherrn zeugt: Unversehens blühen ihm unter schöpferischen Händen, und überall, aus kriegerischen Taten die Werke des Friedens hervor. Hinter seinem Heer geht der Pflug und im Walde die Axt des Kolonisten. Er besiedelt das verödete Kroatien, Syrmien, das Banat. Die Warasdiner Grenze, die Banater Schwaben sind von ihm angepflanzt. Er rodet Dickicht aus, er legt Sümpfe trocken, er baut Straßen und Brücken. Sein Feldherrnstab, das Symbol der zerstörenden Kriegsherrschaft, befruchtet die Länder und weckt das erstarrte Leben auf. Er unterwirft und versöhnt, er vereint und leitet. [...] Er baut, er schmückt, er veredelt, er beschenkt - kurz, es ist ein Friedenswerk, das aus dem Krieg heraus entsteht, und für dessen Gelingen Eugen von Savoyen exemplarisch herbeizitiert wird. Die Argumentation zielt zwar eindeutig auf den Nachweis der nationalen Größe und den damit verbundenen Auftrag Österreichs vor der Geschichte, doch die Art der Beispiele verdient nähere Aufmerksamkeit. Nicht die Nacherzählung der Kämpfe oder gar eine Darstellung der Kriegsrealität stehen im Vordergrund, im Gegenteil, der Verfasser lenkt das Interesse seiner Leser auf die positive Darstellung einer friedlichen und ertragreichen Nachkriegsepoche. Krieg spielt also die Rolle eines notwendigen Durchgangsstadiums, eines läuternden Ereignisses, das eine erfreuliche Zukunft verheißt. Durch die Parallelität der historischen Entwicklung verliert der gegenwärtige Krieg an bedrohlichen Zügen - Österreich wird gestärkt, seine alte Stellung in Europa wieder einnehmend, aus den Kämpfen hervorgehen, es fehlt nur die Entschlossenheit und eben die "Bejahung Österreichs": [...] unsäglich viel aber vermag ein Mann, und immer wieder, im gemessenen Abstand, ruft die Vorsehung den Mann herbei, von dem das Gewaltige verlangt wird und der dem Gewaltigen gewachsen ist.

Alltag trotz Krieg

Willens- und Tatkraft und Aufopferung gegenüber der gestellten Aufgabe vermögen - so Hofmannsthal unter Berufung auf den Prinzen Eugen - selbst das Chaos des Krieges in Positives zu verwandeln, trotz und gerade wegen der Kenntnis des Krieges und seiner Schrecken. Doch es ist nicht militärisches Genie oder individuelle Größe, die hier wirkt, es ist vielmehr Pflichterfüllung oder ,Dienst', in genau jenem patriotisch-emphatischen Sinne, in dem auch Thomas Mann das Wort in seinen "Gedanken im Kriege" verwendet. Aber wer leistet diesen ,Dienst' und wie hat man ihn sich vorzustellen?

Hofmannsthals Essays unterscheiden deutlich zwischen zwei Großgruppen: jenen draußen im Felde kämpfenden Soldaten und den Daheimgebliebenen. Seine Aufsätze richten sich ausnahmslos an die letzteren, über die anderen wird nur berichtet - wenn auch wohlwollend, zustimmend und unterstützend. Der Krieg soll als etwas ,Alltägliches' begriffen werden, dem ebenso mit alltäglichem Handeln zu begegnen sei - nur so könne die kommende Nachkriegszeit sinnvoll vorbereitet werden. Die Aufforderung, jedwegliche Tätigkeit sowohl an der Front wie auch im Land selbst als ,Arbeit' aufzufassen, ermöglicht eine Ebene des Gemeinsamen, die den Zusammenhalt und die Einheit der Nation garantiere. Es sei an den "oberen Ständen", durch Festhalten am Alltäglichen für diese Einheit Sorge zu tragen. Die Rolle Hofmannsthals hierbei ist es, Gemeinschaftsgefühl einzufordern, lebensweltliche Unterschiede in einem ,Wir' verschmelzen zu lassen und seine Leserschaft zu emotionalisieren - ohne dabei Verzicht auf eine ständische Gliederung der Gesellschaft zu leisten.

Unser sind drei Millionen, die stehen jetzt im Felde [...]. Und unser sind zwölf oder fünfzehn Millionen, die auf dem Acker arbeiten, und die haben in diesen Wochen geschafft und geschafft, und haben die Ernte eingebracht, mit den alten Männern unter ihnen und den halbwüchsigen Mädchen und den Kindern; [...] Und unser sind zwölf oder fünfzehn Millionen, die arbeiten in den großen Betrieben [...] Aber es handelt sich noch um anderes, das uns obliegt, uns allein, gerade uns, uns in den großen Städten, uns in Wien vor allem. [...] Der wohlhabende, ja nur der besitzende Mittelstand hat jetzt vor allem diese eine Aufgabe: zu leben und leben zu lassen. Zu vielen Zeiten hätte es ihn geziert, ein wenig bedürfnisloser zu sein, nur nicht in dieser jetzigen. [...] Nur sehr bedingt ist jetzt das Verkleinern des Hausstandes anzuempfehlen, nur sehr bedingt der Verzicht auf das Überflüssige. Man hat vielfach so gern, so gedankenlos über seine Verhältnisse gelebt; nun tue man es gedankenvoll.

Die "oberen Stände" sollen mit Gelassenheit auf die Kriegssituation reagieren, durch Festhalten am Alltäglichen das Vorbild für den Bestand des ,alten Österreich' trotz des Krieges präsentieren. Dieser auf eine Art aristokratische Vornehmheit bezogene Gleichmut könne sich ebenfalls trostspendend auswirken, in geistiger wie wirtschaftlicher Hinsicht: Das Aufrechterhalten der alltäglichen Geschäfte der oberen Stände gibt den Daheimgebliebenen Handwerkern, Händlern und Künstlern Lohn und Brot, die sozial höher Gestellten sorgen für das "leben und [...] leben lassen".

Vor allem ein Lebensbereich spielt hierbei eine herausragende Rolle. Die Fluchtpunkte, um dem Krieg durch innere, individuelle Zurückgezogenheit zu begegnen, sind Kunst und Kultur. Sie dienen zur Vergewisserung der eigenen sozialen Stellung, bieten die Möglichkeit der Einkehr und zeigen anderen gesellschaftlichen Schichten die Möglichkeit alltäglicher Normalität selbst im Krieg: [...] es werden nicht die schlechtesten Musikabende und Geselligkeiten sein, zu denen man wie im Vormärz zu Fuß geht. Die Bravsten sind bei der Armee, aber es bleiben die Witzigen, die Gelehrten, die Erfahrenen. [...] Man wird diesen oder jenen Saal, in dem wir Beethoven zu hören pflegten, mit Verwundeten belegen und ihm dadurch für alle Zeiten zu seinem Adel noch einen Adel verleihen, aber es werden andere Säle bleiben, und wir werden in Konzerte gehen, wie wir ins Theater gehen werden: um unsere, genau unsere Pflicht zu erfüllen.

In gleichem Sinne gesellschaftlich-moralischer Erbauung sind auch andere Aufsätze Hofmannsthals zu lesen. So ruft er etwa dazu auf, trotz der erbitterten Feindschaft gegen Frankreich und England, von Boykottforderungen gegen diese Länder abzusehen, insbesondere vom "Boykott fremder Sprachen", da dies der "Universalität der deutschen Bildung" widerspreche, die die "stärkste Bürgschaft des endlichen und endgültigen Sieges" sei. Auch am Beispiel des fortzusetzenden Unterrichts lebender Sprachen und dem wachzuhaltenden Interesse an ihnen wird wiederum deutlich, daß sich die Ausführungen Hofmannsthals zwar mit einer konkreten, aus der Kriegssituation und der damit zusammenhängenden Propaganda entwickelten Fragestellung beschäftigen, sein Blick sich jedoch auf die Zeit nach dem Kriege richtet. Es gelte, den Nachfahren den Kontakt zu anderen Ländern in Europa und vor allem zu Amerika zu ermöglichen, um die erhoffte Machtposition Deutschlands und Österreichs nach Kriegsende durch Weltoffenheit und Kontaktfreudigkeit zu stärken. Zu dieser Argumentation tritt ferner noch eine soziale Komponente: durch Fremdsprachenunterricht könnten "Tausende der bravsten Töchter unseres Mittelstandes" als Sprachlehrerinnen gerade im privaten Bereich beschäftigt werden; was wiederum als Appell an die sozial besser Gestellten zu bewerten ist, durch "Alltägliches" (wie eben der Beschäftigung von Privatlehrerinnen) zum gesellschaftlichen Ausgleich während des Krieges beizutragen.

Das Aufrechterhalten des Alltags scheint eine gewisse detailfreudige Aufmerksamkeit auch kleinen Dingen gegenüber ebenso zu verlangen wie Ernsthaftigkeit bei diesen Bemühungen. Diesen Eindruck erweckt die Lektüre solcher marginal erscheinender Texte im Plauderton wie etwa "Unsere Fremdwörter" oder dem Leserbrief an die "Neue Freie Presse" vom 14.10. 1914, der sich gegen die Verbreitung humoristischer Kriegskarten ausspricht, da dieses Material und seine Ausführung "das stets richtige und zarte Gefühl des Volkes ebenso beleidigen muß, wie er dem Geschmack der Gebildeten widerstrebt."

Es drängt sich zwar der Verdacht auf, daß diese Feuilletons durchaus den propagandistischen Zweck der Ablenkung des Publikums verfolgen, das auf gedankliche 'Nebenkriegsschauplätze' geführt werden soll. Die genannten Essays haben jedoch mit anderen (wie etwa jenen zur österreichischen Geschichte und Literatur) ein Kerninteresse des Autors gemein: die Überzeugung, daß sich nationale Größe - deren Betonung gerade in Kriegszeiten ein zentrales Bedürfnis zu stillen scheint - durch Geschichte, Kunst und Kultur bedinge, und es Aufgabe, ja alltägliche Arbeit der "Gebildeten" sei, durch Bewahrung des kulturellen Erbes auf eine glückliche Zukunft nach dem Kriege hinzuarbeiten und hierbei eine Vorbildfunktion den anderen gesellschaftlichen Schichten gegenüber einzunehmen. Hofmannsthals Essays folgen der Vorstellung, eine volkserzieherische Aufgabe zu erfüllen und so wendet er sich konsequenterweise dem Plan zur Veröffentlichung pädagogisch intendierter Bücher zu.

Bücher für Österreich

Bücher für Österreich und "Bücher für diese Zeit" seien nötig. Um nationales Bewußtsein und Selbstverständnis zu stärken, unternimmt Hofmannsthal ab Herbst 1914 in enger Zusammenarbeit mit Max Mell und anderen (darunter auch Leopold Freiherr von Andrian-Werburg) den Versuch, eine Buchreihe im Verlag Hugo Heller zu edieren. Das Projekt trägt zunächst den Titel "A.E.I.O.V.", in Übernahme des Wahlspruches von Friedrich III. In einer erst 1969 veröffentlichten Druckfahne einer Ankündigung der Reihe erklärt Hofmannsthal die Abkürzung in unterschiedlicher Form: über die Formulierung "Austriae est imperare orbi universo" hinausgehend, sich an der Lesart "Austri erit in orbe ultima" orientierend, wird den "symbolischen fünf Vokalen" die Entsprechung "Aller Ehren Ist Oesterreich Voll" gegeben. Ein Kaleidoskop aus Geschichte und Literatur aller österreichischen Gebiete ist geplant, kann aber nicht in der ursprünglichen Form realisiert werden, was wohl hauptsächlich auf organisatorische Probleme und Schwierigkeiten mit dem Verleger zurückzuführen sein dürfte. Zwischen 1915 und 1917 erscheinen schließlich (als Ersatz für A.E.I.O.V.) beim Insel-Verlag 26 Bändchen unter dem Reihentitel "Österreichische Bibliothek". Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe und Mahnung an die Gegenwart, die geschichtliche Überlieferung nicht zu vergessen und einem drohenden Zerfall des Habsburgerreiches geistig entgegenzutreten - dies sind die Triebfedern der Sammlung, die gerade während des Krieges als notwendig erscheint:

Es ist, als ob ein Aderlaß immer wieder uns den Kopf freimachen müßte, daß wir erkennen und lieben können. [...] uralter europäischer Boden ist uns zum Erbe gegeben, zweier römischer Reiche Nachfolger sind wir auf diesem, das ist uns auferlegt, wir müssen es tragen [...]: heilig und schicksalsvoll ist der Heimatboden. Nun ist er noch heiliger geworden, denn wir haben Tote ohne Zahl in ihm eingesenkt, die ihr Blut um Österreich vergossen haben; zugleich aber sind die Toten, die seit langem unter der Erde ruhten, uns lebendig geworden; nie waren die Geschlechter, verstreut über Jahrhunderte, einander so geisterhaft nahe [...] - aber werden wir sie halten können über diese Geisterstunde hinaus?

Der volkspädagogische Impuls ("Die Gebildeten haben ihre Bibliotheken [...]; das Volk, das mehr ist als wir [...] will großer Männer und großer Taten Andenken lebendig dahintragen [...]") zieht noch mehrere Buchprojekte nach sich, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. Parallel zu A.E.I.O.V. und der Realisierung in der "Österreichischen Bibliothek" ist ein Bildband (ebenfalls im Verlag Hugo Heller) geplant, der durch Photos von Schlachtfeldern, Friedhöfen, Schlössern, Bürgerhäusern etc. und entsprechende Begleittexte die Einheit des Habsburgerreiches beschwören soll; das Buch mit dem Titel "Ehrenstätten Österreichs" wird jedoch nie erscheinen.

Hofmannsthal läßt sich von diesen Widrigkeiten nicht beeinflussen, im Gegenteil, er stürzt sich mit freudigem Engagement in das nächste Projekt. Nach den Arbeiten an einem als Kinderbuch geplanten, jedoch in der Ausführung zum Prachtwerk mit geringer Auflage mutierten Oeuvre, das dem Prinzen Eugen gewidmet ist, folgt 1915 im Insel Verlag der "Österreichische Almanach auf das Jahr 1916". Das Bändchen liest sich wie das österreichische Pendant des gleichzeitig erschienenen "Insel-Almanachs auf das Jahr 1916". Trotz gleicher Ausstattung (die österreichische Variante allerdings ohne Bildbeigaben), und völlig anderer Textauswahl ist ein Vergleich der beiden Bücher allerdings lohnenswert, läßt sich doch auf diesem Wege ermitteln, ob sich die Federführung Hofmannsthals im "Österreichischen Almanach" bemerkbar macht. Nur vier Autoren sind in beiden Jahresgaben, die sich durch patriotische Begeisterung und Glorifizierung heimatlicher Landschaft und Geschichte auszeichnen, gleichermaßen vertreten, wenn auch mit unterschiedlichen Texten: Felix Braun, Albrecht Schaeffer, Otto von Bismarck und - Hugo von Hofmannsthal. Von letzterem druckt der "Insel-Almanach" die schon zitierten "Worte zum Gedächtnis des Prinzen Eugen" ab, der "Österreichische Almanach" gibt einen Aufsatz mit dem Titel "Die Taten und der Ruhm" zur Lektüre, in dem die Leistungen Österreichs im Kriege über die der Griechen während der Punischen Kriege gestellt werden und sich somit in die geschichtliche Überlieferung einschreiben. Die gesamte Anlage des "Österreichischen Almanachs" geht über den integrierenden, die ,Nibelungentreue' zwischen Deutschland und Österreich betonenden "Insel-Almanach" hinaus und zwar in dem Maße, daß nicht nur spezifisch österreichische Themen behandelt werden, sondern ein weitaus größeres Gewicht auf Heimatverbundenheit, auf Landschaftsbeschreibung, auf geschichtliche Anekdoten aus der österreichischen Historie als auf Aktualisierung des Kriegsgeschehens gelegt wird. Hofmannsthals historistische Begründungen einer österreichischen Eigenständigkeit führen auch in der Konturierung des Almanachs zu einem Sprechen, in dem das Ereignis des Weltkrieges kaum mehr vorkommt. Der gesamte Rahmen des Bandes verweist vielmehr auf eine Art ,österreichischen Sonderweg', der als verschieden von der reichsdeutschen Situation verstanden wird. Die Unterscheidung eines kulturbeflissenen Publikums in Deutschland und Österreich, wie sie sich an der Doppelung der Almanache ablesen läßt, scheint auch eine grundsätzliche Trennung beider Nationen und ihrer Aufgabe in der Geschichte, ihrer Rolle im Ersten Weltkrieg nach sich zu ziehen - konsequenterweise müßte sich eine ebenso deutliche Kontrastierung der Sichtweise auf den Krieg ergeben. Ein erstes Beispiel ist das Gedichtpaar der Texte von Rudolf Alexander Schröder ("Der deutsche Feldpostgruß") und Hofmannsthal ("Österreichs Antwort"), ein weiteres ergibt sich aus der Betrachtung der ,nationalen Stereotypen' in der Sichtweise Hofmannsthals.

"Preusse und Österreicher"

Allein der Umstand, daß Hofmannsthal versucht, Charakterisierungen des ,Preußischen' und 'Österreichischen' in einem "Schema" zusammenzufassen, spricht für die differenzierte Trennung zwischen Deutschland und Österreich in seinem Denken. Von 'brüderlicher Gleichheit' oder Gleichwertigkeit kann in diesen Ausführungen nicht die Rede sein, Österreich ist in Hofmannsthals Sicht menschlicher, frommer, selbständiger, heimatliebender, traditioneller und geschichtsbewußter als Preußen. Die Waffenbruderschaft im Kriege muß somit als eine 'Zweckehe' betrachtet werden. Aus Hofmannsthals Texten ist keinerlei Hinwendung oder gar Anbiederung an Deutschland zu erkennen, getreu der "österreichischen Idee" der Selbständigkeit, die in den bisher genannten Schriften immer wieder gefunden werden konnte.

Diese Distanziertheit spricht auch aus Hofmannsthals einziger lyrischer Wortmeldung zum Ersten Weltkrieg. Als Replik auf das Gedicht "Der deutsche Feldpostgruß" seines Freundes Rudolf Alexander Schröder, das einen Treueschwur Deutschlands an die österreichische Adresse formuliert, schreibt Hofmannsthal seine "Österreichs Antwort". Zwar ist der Zusammenhang mit dem Schröderschen Text bekannt und somit dem Dialogischen der beiden Werke ein Rahmen geschaffen, doch der Adressat der "österreichischen Antwort" bleibt im Gedicht selbst merkwürdig unbestimmt - die hier beschworene Einheit umfaßt vielmehr das österreichische Volk, die Kämpfenden und die Daheimgebliebenen, als die deutschen und österreichischen Heere, das einheitsstiftende Moment ist nicht der Krieg, sondern die geschichtliche Tradition, symbolisiert durch die Kaiserhymne:

Antwort gibt im Felde dort,
Faust, die festgeballte,
Antwort dir gibt nur ein Wort:
Jenes Gott erhalte!

Unsern Kindern eint uns dies,
Wie's uns eint den Vätern,
Einet heut die Kämpferschar
Hier mit uns, den Betern.

Berge sind ein schwacher Wall,
Haben Kluft und Spalte:
Brust an Brust und Volk bei Volk
Schallt es: Gott erhalte!

Helden sind wie Kinder schlicht,
Kinder werden Helden,
Worte nicht und kein Gedicht
Könnens je vermelden.

Ungeheueres umfaßt
Heut dies heilig Alte,
Und so dringts zum Himmel auf:
Unser Gott erhalte!

Einmal mehr wird der Krieg nur als Anlaß betrachtet, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zueinander in Beziehung zu setzen: österreichische Heimatliebe einigt über die Generationen hinweg, ohne daß dem momentanen Krieg (über die in den Essays formulierte Funktion der ,Selbstbesinnung' hinaus) eine eigene ,Zweckmäßigkeit' zugeschrieben würde.

Doch gerade diese Forderung nach österreichischer ,Selbstbesinnung' führt zu einer sich gegen das Deutsche Reich deutlich abgrenzenden Betonung der Eigenständigkeit Österreichs. Hofmannsthal wirft "Deutschland" mangelnde Kenntnisse über das Nachbarland, ja mangelndes Interesse an ihm vor, was dazu führe, nur die "Alpenländer und ihre bajuvarische Bevölkerung" und bestenfalls noch Wien wahrzunehmen. Er beklagt ein falsches Geschichtsverständnis der Deutschen, daß sich nur ändern könne, wenn "sie sich entschlössen, Österreich weniger als ein Erstarrtes und Gewordenes, denn als ein Werdendes und sich Verwandelndes anzusehen." Österreich sei geprägt durch seine Zugehörigkeit zum alten Reich und durch die Integration der slawischen Völker in die Doppelmonarchie; aus diesem Umstand erwächst ihm eine herausgehobene Rolle in Politik und Geschichte:

Österreich ist die besondere Aufgabe, die dem deutschen Geist in Europa gestellt wurde. Es ist das vom Geschick zugewiesene Feld eines rein geistigen Imperialismus. Denn es bedarf nicht der Einmischung der deutschen politischen Gewalt, wohl aber der beständigen Beeinflussung durch den deutschen Geist. Österreich muß als die deutsche Aufgabe in Europa wieder und wieder erkannt werden. Das Besondere der Aufgabe muß wieder und wieder erkannt werden.

An diesem Punkt verläßt Hofmannsthal den beinahe stereotypen Argumentationsgang politisch-kultureller Essayistik während des ersten Weltkriegs: nicht mehr der Ausweis nationaler und künstlerischer Größe Deutschlands oder Österreichs steht im Vordergrund, nicht mehr die aus der Geschichte abgeleitete Rechtmäßigkeit eines Verteidigungskrieges, wie sie schon in der "Bejahung Österreichs" formuliert ist und sich etwa auch in den diversen Feuilletons zur Kriegssituation bei Thomas Mann nachvollziehen läßt, sondern eine Bestimmung der nationalen und übernationalen Aufgaben nach den Kämpfen, ja trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen. Der neue Begriff, den Hofmannsthal benutzt, ist ,Europa' - ein Europa, für das Österreich eine Vorbildfunktion zu haben scheint. Das Beispiel, das das Habsburgerreich der Welt zu geben vermag, liegt im Ausgleich nationaler Differenzen in einem Staat, in einem gemeinsamen Bewußtsein über historisches und kulturelles Erbe.

Hat - in der Auffassung Hofmannsthals - Österreich also eine globale politische Aufgabe, so stellt der Krieg ein Hindernis, ein unwillkommenes Hemmnis, eine "geschichtliche Krise", ja "das Ende der materiellen und ideellen Kredite" dar: [...] wie könnten wir es ertragen, jenes Europa, von dem wir unsere tausendjährige Mission empfangen haben und das sie uns beständig erneuern muß, woanders wir nicht erstarren und absterben sollen, als ein im geistigen und sittlichen Sinne nicht mehr existierendes zu denken? Österreich bedarf mehr als alle andern eines Europa - es ist ja doch selber ein Europa im Kleinen. Für uns - mehr noch als für die andern - hat dieser Krieg auch eine geistige Bedeutung, die mit nicht minderer Kraft uns anfaßt, als die von allen erkannte furchtbare materielle Wucht des Geschehens.

Da es letztlich um die Verwirklichung der "Idee Europa" zu gehen scheint, zieht der Hofmannsthal des Jahres 1917 die letzte Konsequenz. Die nationalistische Begründung und Bewertung des Krieges wird als praktische Lösung abgelehnt, die Einforderung geistiger, künstlerischer Werte als universelle Idee ausgesprochen - als Modell gelten Hofmannsthal der Katholizismus und Österreich als Vielvölkerstaat. Nationale Propaganda erscheint unter diesen Voraussetzungen gar als unmoralisch: "Empfindung des Nationalen nicht nur als eines Beschränkten, sondern eines Unsittlichen". Doch ist damit nicht letztendlich der Untergang des alten Österreichs, wie es Hofmannsthals Erinnerungen an Eugen von Savoyen und Maria Theresia beschwören, bereits prophezeit?

Der Krieg ist aus

Als der Brief ankam, starben in Wien wöchentlich 2800 Personen an der Grippe, wir hatten 4 Menschen von 7 im Bett, dazu beständig Plünderungsalarm und Schießereien in der Gegend, einmal in Brunn, einmal in Liesing, tausende flottanter hungernder Kriegsgefangener rundum, entsprungene Verbrecher zu hunderten in den kleinen Dörfern (in denen man, wie ich immer erwähne, früher so gut gegessen hat) - alles das, hungernd, frierend, drohend und dabei au fond von einer erstaunlichen Gutmütigkeit, sonst wäre ja weit mehr passiert. Das Übrige, Allgemeinere wissen Sie aus der Zeitung, die Zukunft ist höchst unsicher, überlebt man es, bekommt man wieder zu essen, tappt nicht in finsteren eiskalten Häusern herum, so wird man sich trotz allem wie im Paradies vorkommen, und auch irgendwie weiser geworden sein. Goethe ist mir in allen diesen Tagen eine unglaubliche ressource, mit Eberhard [von Bodenhausen; AS] unterhalte ich mich beständig über alle diese Dinge, er freut sich, daß ich auch in den absurdesten Tagen nie den Kopf verloren und nie die Linie des Denkens (auch des politischen) verloren habe, ich mache ihm Vorwürfe über die starrsinnige Unbelehrbarkeit aller Norddeutschen in allen diesen Dingen (in Österreich hat sich alles so entwickelt wie ich seit 1917 jedem sagte, und keiner hören wollte) [...].

Der Krieg ist zu Ende, Österreich wird von revolutionären Unruhen gebeutelt, und Hofmannsthal erweckt in diesem Brief den Eindruck, als sei recht wenig geschehen. Kein Bedauern oder zumindest Erstaunen über die Niederlage ist diesen Zeilen zu entnehmen. Schon im Sommer 1917, anläßlich der Reise nach Prag, scheint sich, folgt man den Darstellungen Sterns und Lunzers, ein Wandel in Hofmannsthal Idealisierung Österreichs vollzogen zu haben. Weniger die seit längerem latente Bevorzugung deutschsprachiger Kultur, vielmehr die Suche nach einem mythisierten geistigen Europa, wie sie sich in der Skizze "Die Idee Europa" präsentiert, erleichtern eine Art stillen Frieden des Schriftstellers mit der frisch ausgerufenen Republik Österreich, ohne große Trauer um den Verlust der nicht deutschsprachigen Gebiete. Die Vorkriegszeit, in der man auf den Dörfern "so gut essen konnte", erscheint genau so idyllisiert, wie die historischen Entwürfe Hofmannsthals aus der Zeit der Türkenkriege - nur erscheint jetzt das Alltägliche als das Bewahrenswerte.

Aber auch dieser Gestus war in den Kriegsessays Hofmannsthals allenthalben anzutreffen. Es drängt sich also der Verdacht auf, daß der Erste Weltkrieg, trotz aller Bemühungen und Einschaltungen von seiten des Autors, Episode geblieben ist, ohne tiefgreifenden Einfluß auf seine Überzeugungen. So fremd und konstruiert manche Äußerungen Hofmannsthals aus der historischen Distanz auch erscheinen mögen, im Rückblick kann seine Haltung nicht überraschen. Nicht ausschließlich das Konservativ-Bewahrende liefert den Schlüssel zum Verständnis dieses Umstandes, bereits in Hofmannsthals Sprachverwendung ist hierfür ein Hinweis gegeben. In all seinen Andeutungen und Entwürfen über eine utopische Zeit nach den Kampfhandlungen, wie sie anhand seiner Essays nachvollzogen werden können, fehlt ein "kriegsrelevanter" und zumal der Propaganda eigener Begriff: der des Sieges. Das Militärisch-Strategische und mithin das Politische spielen eine untergeordnete Rolle in Hofmannsthals Kriegsschriften, und so scheint seine Wahrnehmung vom Krieg dem zu entsprechen, was er in seinen Aufsätzen thematisiert: Krieg als Mittel zur Selbstbesinnung auf dem Weg in eine ideelle europäische Zukunft. Eine vehemente Ablehnung des Krieges ist unter diesen Vorzeichen genau so wenig denkbar wie seine Bejahung.

Der idealistische Rückzug ins Künstlerisch-Ästhetische vollzieht sich für Hofmannsthal also nicht nur konsequent - er ist unausweichlich. Denn ähnlich wie die vehement verteidigte Vorstellung eines geschichtlichen Modells Österreich zu Beginn des Krieges zeigt nun das ab 1917 neu entworfene Modell von Europa als Kulturraum deutliche Züge eines idealistischen geistigen Entwurfs. Der Krieg mit seinen bedrohlichen materiellen wie individuellen Folgen habe eine Krise heraufbeschworen, aus der nur eine Rückschluß auf kulturelle und übergeordnete Werte herauszuhelfen vermag - so Hofmannsthal in einem nicht namentlich gezeichneten, auf schwedisch erschienen Aufsatz aus dem Jahre 1922. Neue "Führergestalten" für eine wieder zu erlangende Idee von Europa werden nach Kriegsende präsentiert, die als Leitfiguren einer Neubesinnung gelten: Dostojewski und Goethe:

Und vielleicht ist dies das Greifbarste am europäischen Geistesleben des Augenblicks: Das Ringen dieser beiden Geister um die Seele der Denkenden und Suchenden - vielleicht ist dieser Wirbel die eigentliche Mitte des sturmbewegten flutenden Aspektes, den das geistige Europa heute bietet. Über diese beiden Männer wäre es möglich, fast an jeder Stelle Europas, von einer Oxforder Studentenwohnung bis ins Sprechzimmer eines Moskauer Sowjetfunktionärs, ein Gespräch höherer Ordnung hervorzurufen, bei dem die tieferen Seelenkräfte der Unterredner, nicht nur ihre ästhetischen Interessen ins Spiel kämen.

Die vollzogene Entpolitisierung in Hofmannsthals literarischen Entwürfen brauchte somit die Jahre des Ersten Weltkrieges nur als Durchgangsstadium hin zu der kulturellen Programmatik des Jahres 1926: "Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation".

Der Aufsatz erschien zuerst in dem Buch: "Krieg der Geister". Erster Weltkrieg und literarische Moderne. Hg. von Uwe Schneider und Andreas Schumann. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. S. 137-151. Wir danken Andreas Schumann für die Publikationsgenehmigung. Eine vollständige Fassung des Beitrages mit Zitatbelegen und Fußnoten ist Online-Abonnenten von literaturkritik.de als pdf-Datei hier zugänglich.