Ich unterschreibe mich Ihnen

Der Briefwechsel von Uwe Johnson und Siegfried Unseld

Von Oliver VogelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Vogel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1959 verläßt Uwe Johnson die DDR und siedelt über nach West-Berlin. Eine Flucht sei das nicht gewesen. Er wohnt dort in Friedenau, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Günter Grass, mit dem er bis Ende der sechziger Jahre eng befreundet sein wird. Die "Mutmassungen über Jakob" erscheinen, sein zweites Buch zwar, aber seine erste größere Veröffentlichung, und man verkauft 3320 Exemplare in den ersten drei Monaten, den letzten drei des Jahres 1959. "Ingrid Babendererde" hatte Peter Suhrkamp noch abgelehnt - und dabei zugleich den Autor an den Verlag gebunden. Die "Mutmassungen", so wird erzählt, bekam Suhrkamp noch am Sterbebett, konnte sie aber nicht mehr lesen. Nach seinem Tod übernimmt Siegfried Unseld nicht nur den Verlag, sondern auch das Manuskript des sich als Verfasser des Buches im Osten noch sicherheitshalber Joachim Catt nennenden Autors. Er veröffentlicht es im Herbst desselben Jahres. Zwanzig Jahre später schreibt Unseld, wie in dem jetzt veröffentlichten Briefwechsel von Uwe Johnson mit Siegfried Unseld nachzulesen ist: "Ich erinnere mich ja allzu genau, daß ich an jenem Morgen des 31. März ein Manuskript aus dem Sterbezimmer nahm und daß meine Verantwortung an der Lektüre gerade dieses Manuskriptes gewachsen ist." So wird dieses Buch immer wieder zur Gründungsurkunde des Verlags unter dem neuen Verleger stilisiert - wohl auch zu recht -, eines Verlages, der Literaturgeschichte machen sollte in den sechziger und siebziger Jahren.

Die Briefe sind von den Herausgebern Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger mit erläuternden Anmerkungen versehen, dem Buch ist ein informativer Anhang beigegeben, u.a. zur "Verlagsrevolution" von 1968. 769 Briefe Uwe Johnsons und Siegfried Unselds begleiten die große Zeit eines Verlages und die Literaturgeschichte der Bundesrepublik. Vor allem aber sind sie ein guter Ersatz für eine Biographie des Autors, solange es keine richtige gibt.

"Es soll Herrn Unseld nicht verbittern, dass er der Verlag ist und Herr Unseld und beides in einem für mich", antwortet Johnson auf Neujahrswünsche seines Verlegers. Dem Briefwechsel ist von Beginn an neben dem Geschäftlichen das beiderseitige Bemühen um Freundschaft anzumerken, begleitet von Johnsons höflicher Achtung und Distanz, von Unselds pflegender Vorsicht und mit heimlicher Indiskretion versehener Rücksicht. Was mit "Lieber Herr Johnson" beginnt, entwickelt sich über "Lieber Johnson" zu dem nach zwei Jahren eingeführten und noch ungewohnten "Uwe".

Schwieriger wird das Verhältnis für die Freunde nach dem Abschluß des dritten Bandes der "Jahrestage" - Johnson hat eine Schreibbockade, die zehn Jahre andauern wird: "Denn zu oft kommen Arbeitszeiten, da kehre ich mit den bestwilligen Vorsätzen heim zu dieser macchina da scrivere, das Pensum fertig geplant im Kopf - unvermittelt sitze ich vor dem Tastenfeld gelähmt, und so bis zum Abend, ohne dass das Papier bewegt worden wäre." Unseld bemüht sich, seinen Autor zum Schreiben zu verhelfen, und was er dafür bekommt, sind Dankesworte, die näher am Hilferuf liegen, als ihm lieb sein kann: "Und wie man sagen könnte, nach einem Schriftsteller U. Johnson sucht man vergebens ohne Deinen beharrlich fortgesetzten Entschluß, ihn zu verwirklichen". Die Grußformel am Ende dieses Briefes vom 1. April 1979 lautet: "Ich unterschreibe mich dir (1959-1979)". Doch der Ton wird härter. Johnson soll 1980 die Frankfurter Poetikvorlesung halten, der Verlag wartet "dringlich" auf den Text. Johnson schreibt: "Composition [...] finished. Starting transcription. Thank you for your order." Ebenso dringlich scheinen den Verleger Geldsorgen zu plagen. "Wenn wir Glück haben, könnten wir hier ja auch eine schöne Anzahl von Exemplaren ["Skizze eines Verunglückten" als Einzelausgabe] verkaufen, das ergäbe endlich wieder einmal Honorar für Dich, das Dein Konto dringlichst brauchen kann, von Dir zu schweigen." Johnson dazu aus England: "Der Hinweis auf den schlimmen Stand meines Kontos wird hierorts verstanden in geradezu schmerzhafter Spiegelbildlichkeit." Und dennoch, Unseld bohrt weiter, so vorsichtig, wie jemand, der etwas will: "Und, Du wirst es nicht glauben, gestern auf dem großen Empfang der Bundesbank [...], wurde ich von einem Teilnehmer gefragt, wann wohl der Band 4 der "Jahrestage" käme. Ich frage das ja nicht; ich stelle es nur fest." Anfang Dezember 1982 schreibt Unseld: "Lieber Uwe, wir müssen über Deine Finanzen reden. Der Soll-Saldo war am 30.11.1982 DM 230.094,89. Auf dieser Basis kann ich die monatlichen Zahlungen nicht mehr ad infinitum leisten. Ich möchte gerne mit Dir darüber sprechen. Die Zahlungen laufen jetzt noch bis zum 31. März 1983. Wie gesagt, ich möchte gerne mit Dir darüber reden, irgend etwas sollte nun doch geschehen."

Johnson bietet verschiedenes an, um seine Schulden zu tilgen, unter anderem seine Lebensversicherung als Sicherheit und Brotarbeit im Verlag und anderswo (außer bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"). Unseld läßt alles offen und stellt die "Gretchenfrage": "Wir brauchen uns keine Sorgen machen, 'wenn "Jahrestage 4" nach dem Abschluß hinzukäme'. Wann wird der Abschluß sein? Bitte schreibe, telegraphiere, telefoniere mir dies. Du erhälst dann sofort und umgehend eine Dich befriedigende Antwort. Herzlich, wie immer, Dein Siegfried". Als Antwort erhält er die Kapitel bis zum 25. Juli 1968, etwa die Hälfte des 4. Bandes, drei Wochen später die nächsten 50 Seiten. Briefe schreibt Johnson in dieser Zeit an Burgel Zeeh, die Sekretärin Unselds. Auch Unseld schaltet sich darauf wieder ein und schickt "alle guten Wünsche für den Endspurt". So geht es kapitelweise weiter, bis endlich am 17. April die letzten Seiten eintreffen, begleitet von einem Brief an Burgel Zeeh: "In der Anlage übergebe ich Ihnen die Kapitel zu "Jahrestage" Band 4 [...] nach meinem Ermessen ein vorläufiges Ende. Obwohl es so Unterhaltungen gibt mit Mrs. Cresspahl wie die folgende: "Thank God it's over. Wir wären fertig. Hiermit, ja.". Das letzte Telegramm von Siegfried Unseld lautet: "Erbitte dringlich Deinen Anruf, im Verlag, zu Hause oder bei Frau Zeeh. Gruß Siegfried". Johnson erhält es nicht mehr.

Titelbild

Uwe Johnson / Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Herausgegeben und kommentiert von Eberhard Fahlke u. Raimund Fellinger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
800 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3518410725
ISBN-13: 9783518410721

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