Ordnungslinien eines Lebens

Eine Biographie in Bildern und Texten zeigt Christa Wolf ganz privat

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Bedürfnis, gekannt zu werden, auch mit seinen problematischen Zügen, mit Irrtümern und Fehlern, liegt aller Literatur zugrunde", ist die Autorin Christa Wolf überzeugt. Für ihr eigenes Werk gilt dieser Satz in jedem Fall. "Man kann eine, in diesem Sinne, öffentliche Person im Grunde nicht kenntlicher machen, als sie es selbst - in ihren Büchern - bereits getan hat", betont Peter Böthig denn auch. Trotzdem unternahm es der Leiter der Kurt Tucholsky-Gedenkstätte im Schloss Rheinsberg, der künstlerischen "Selbstveröffentlichung" Wolfs nun "eine visuelle Begleitung" an die Seite zu stellen.

"Christa Wolf - Eine Biographie in Bildern und Texten" ist der von Böthig herausgegebene großformatige Bildband betitelt. Die Texte darin sind allerdings eher spärlich. Auszüge aus den Werken und Interviews der ostdeutschen Autorin, Manuskriptseiten ihrer Bücher und auch offizielle Dokumente vom Abiturzeugnis bis zum Stasi-Protokoll ergänzen die sorgfältig gestalteten Bilderseiten, neue Texte oder Aussagen Wolfs sind hingegen nicht darunter. Anders bei den Bildern. Hier bietet der Band ganz neue Einblicke in das Leben der Autorin. Neben vertrauten Porträts der mittlerweile 75-jährigen Schriftstellerin, die zu den international bekanntesten deutschen Gegenwartsautorinnen zählt, sind zahlreiche bislang nicht veröffentlichte Aufnahmen aus dem privaten Fotoalbum zu finden. Wolfs wichtigste Lebensstationen werden dokumentiert und chronologisch übersichtlich dargestellt. Christa Wolf ist als Kleinkind auf dem Arm der Eltern zu sehen, als stolze große Schwester vor dem Kinderwagen ihres Bruders Horst, als strahlende Braut von Gerhard Wolf und glückliche Mutter von zwei Töchtern und schließlich als Großmutter mit ihren Enkelkindern. Immer wieder wird sie im Kreise ihrer Familie und ihrer Freunde gezeigt, beim Weihnachtsessen und Geburtstagsfeiern, aber auch als Schriftstellerin bei offiziellen Anlässen.

Sicher: Man kann den Bildband, anlässlich ihres 75. Geburtstag erschienen, auch böswillig als weiteres Mosaiksteinchen einer Selbstinszenierung und Musealisierung interpretieren. "Man sieht ein bisschen verblüfft, wie das Denkmal zu Lebzeiten umsichtig vom Ehemann Gerhard Wolf aufs Klassiker-Gewässer gesteuert wird. Die neue aufwändige Biographie [...], von Peter Böthig und Martin Hoffmann, unter Mithilfe von Gerhard und Helene Wolf, herausgegeben, ist ein Dokument offiziellen und privaten Lebens", stellt denn auch Verena Auffermann in der "Zeit" fest. Fakt ist jedoch, dass die Autorin Christa Wolf nun einmal zur großen, international renommierten Riege der deutschen Gegenwartsautoren und -autorinnen zählt.

Hin und wieder hätte jedoch der Herausgeber schon auf den einen oder anderen, doch etwas missglückten Schnappschuss verzichten können. Weniger ist auch hier eben doch mehr. Besonders anrührend ist allerdings ein Bild. Es zeigt Christa Wolf mit ihren Enkeln Anton und Helene: Im Bett liegend, ein Kind im Arm, das andere ihr zur Seite sitzend, liest sie den beiden aus einem Bilderbuch vor. So persönlich hat sich die Autorin auf Fotos wirklich noch nicht gezeigt. Man sollte sich ruhig Zeit lassen beim Blättern. Denn nicht selten offenbart sich der Bezug von Bild und Texten, der sorgfältig durchdachte Aufbau des Bildbandes erst auf den zweiten Blick.

Die drei "Ordnungslinien ihres Lebens", wie Peter Böthig sie nennt, "Schreiben, Politik und Familie" werden auf jeder Seite ganz offenkundig. Und auch, wie Recht Böthig hat, wenn er im Vorwort schreibt: "Mir sind wenige zeitgenössische Künstler bekannt, die einen derart engen Bezug zwischen diesen drei Faktoren für sich hergestellt, zugelassen und produktiv gemacht hätten, wie es Christa Wolf seit den 60er Jahren getan hat. Dem geschichtlichen Augenblick ihres Lebens begegnet sie mit dem Anspruch auf intellektuelle und moralische Selbstbehauptung."

Geschichtliche Augenblicke hat es in Wolfs äußerlich scheinbar unspektakulärem, innerlich um so reicherem und konfliktträchtigerem Leben wahrlich genug gegeben: Aufgewachsen im "Dritten Reich", tritt sie als 20-Jährige in die Sozialistische Partei ein, wird sogar Kandidatin des Zentralkomitees der SED, um dann wegen ihrer Kritik immer mehr in Ungnade zu fallen. Beim 11. Plenum 1965 setzt sie sich vehement für das Recht der Kunst auf Subjektivität ein, bei der Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert sie öffentlich mit anderen Intellektuellen. Bei der Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 spricht sie vor über 500.000 Menschen über die "Sprache der Wende", und nach den ersten freie Wahlen der DDR schreibt sie die Präambel einer neuen Verfassung, die allerdings nie in Kraft treten sollte. Dazwischen versucht sie über all die Jahre, möglichst täglich einige Stunden am Schreibtisch zu verbringen. Die erstaunliche Produktivität dieser Autorin, die bis heute nicht nachgelassen hat, lässt sich an der Bild-Biographie ebenfalls ablesen, da auch die Stationen ihres Werkes sorgfältig eingearbeitet wurden.

Letztendlich ist an dem Bildband nur die Einteilung der jüngeren Lebensabschnitte der Autorin etwas unglücklich geraten. Denn Böthig stellt das Kapitel der Jahre 1995 bis 2003 unter ein Zitat aus dem Roman "Medea. Stimmen": "Wohin mit mir? Niemand da, den ich fragen könnte." Diese pessimistisch-resignative Aussage scheint jedoch so gar nicht zu passen: Der deutsch-deutsche Literaturstreit liegt inzwischen 14 Jahre zurück, und in den Jahren seit dem "Medea-Roman" (1996) stellte die Autorin ihre Positionen und ihre Literatur offensiv und mit wieder wachsender Resonanz bei Publikum und Kritik zur Diskussion. Treffender erscheint deshalb das Motto, mit dem Peter Böthig die Jahre 1990 bis 1994 überschrieben hat: "Wir haben unterschiedliche Geschichten ... Wir sollten anfangen, sie uns zu erzählen." Denn eigentlich fangen wir, fängt Christa Wolf doch damit gerade erst an.

Titelbild

Peter Böthig (Hg.): Christa Wolf. Eine Biographie in Bildern und Texten.
Luchterhand Literaturverlag, München 2004.
223 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3630871690

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