Eine bunte Armada

Lutz Bunks Flottenparade 50 klassischer Schiffe

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Seelenverkäufer ist die "Jule", altersschwach und ächzend mit jeder Planke, doch ihre Matrosen spüren, wie sie tapfer vorwärts strebt und willig jeder Ruderbewegung folgt - wie ein lebendiges Wesen. Was Herman Melville in seinem Südsee-Roman "Omu" über den alten Kasten schreibt, auf dem der Held anheuert, empfanden zahllose Seeleute von ihren Schiffen. Schon in der Antike liebte man sie als Individuen und erflehte für sie göttlichem Beistand: bei der "Argo", mit der Jason das Goldene Vlies zu rauben aufbrach, arbeitete sogar Athene als Co-Ingenieurin mit. Und noch heute entwickelt selbst die Besatzung schwerfälliger Massengutfrachter oder winziger Schaluppen eine Liebe zu ihrem schwimmenden Untersatz, die so manchen Partner eifersüchtig machte.

Noch stärker ist die Zuneigung zu Schiffen bei jenen, die nicht auf ihnen arbeiten. Der Medienrummel um den Stapellauf und die Jungfernfahrt der "Queen Mary 2" belegte eindrucksvoll, dass die Seefahrer-Romantik offensichtlich, je weniger sie im Alltag auf den Meeren zu finden ist, um so buntere Blüten in den Köpfen der Landratten treibt. Und auch auf der Leinwand fahren die Schiffe höchst erfolgreich: "Master and Commander" oder "Pirates of the Caribbean" fanden im letzten Jahr ein Millionenpublikum, "Titanic" hält nach wie einen Spitzenplatz unter den drei lukrativsten Filmen aller Zeiten.

Wer sich für die Geschichte von berühmten Schiffen und die Geschichten um sie interessiert, kann mit einem neuen Band der renommierten Reihe "50 Klassiker" aus dem Gerstenberg Verlag einen guten Einstieg finden. Von der "Arche Noah" über Francis Drakes "Golden Hinde" und James Cooks "Endeavour" bis zur "Wilhelm Gustloff" und "Cap Anamur" reicht die Auswahl. Natürlich dümpelt auch das unsterbliche Trio "Nina", "Pinta" und "Santa Maria" vorüber, mit dem Columbus im Westen Land entdeckte, die "Mayflower", ohne die kein Truthahnessen das amerikanische Erntedankfest krönte, kämpft sich über den Atlantik, und die "Bounty", bis heute, wenn auch fälschlich, ein Symbol für Widerstand gegen gewalttätige Herrschaft, verbrennt in den Fluten vor Pitcairn.

50 Schiffe, das ist bei einer Seefahrtgeschichte von über 5.000 Jahren nicht gerade viel. So fragt man sich, warum Bunk fiktive Schiffe wie den "Fliegenden Holländer" oder Jules Vernes "Nautilus" auswählte. Ginge es nur nach der Berühmtheit oder der Bedeutung, hätte man sich auch die "Meduse", Darwins Forschungsschiff "Beagle", die "African Queen", die "Bismarck", die "Hood", die "Enterprise", Cousteaus "Calypso", Piccards "Trieste" oder die "Rainbow Warrior" vorstellen können. Das "Lexikon der berühmten Schiffe" von Thies Völker, das vor zwei Jahren bei Eichborn erschien, bietet da wesentlich mehr Einträge. Dafür kann Bunk mit Mengen von Hochglanzfarbaufnahmen, mit neuesten Literaturhinweisen und einer umfangreicheren, grundsätzlich soliden Datenbasis punkten. Schade nur, dass einige sachliche und sprachliche Fehler stehen blieben! Und wenn man schon am mäkeln ist, Bunk gerät immer wieder mal aus der Strömung seines gediegenen Stil und driftet in den Kitsch ab. Manchmal, wie bei Horatio Nelsons "Victory", kommt das Schiff selbst auch etwas kurz, in der Regel aber kann man den knappen, doch detailreichen Artikeln technische Besonderheiten, historische Implikationen und Kuriosa sehr gut entnehmen. Am verdienstvollsten freilich ist Bunk da, wo er Mythen und Romantisierungen auf ihren wahren Kern reduziert.

Alles in allem hält der Autor also sein Versprechen aus dem Vorwort ein, die einzelnen Schiffe zu präsentieren als "eine Art Mikrokosmos, der den Zeitgeist einer Gesellschaft, einer Epoche widerspiegelt".

Titelbild

Lutz Bunk: 50 Klassiker Schiffe. Von der Arche Noah bis zur Cap Anamur.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2004.
264 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3806725489

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