Was ein Keiler über seine Jäger denkt

Die Fantasy-Geschichte "Die Prinzessinnen von Bamar" gefällt durch eine ängstliche Heldin und ungewöhnliche Einsichten

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei ungleiche Schwestern, Spannung und Abenteuer, verbunden mit einer Liebesgeschichte und einer positiven Botschaft: Das ist der Stoff, aus dem die Geschichte "Die Prinzessinnen von Bamar" gemacht ist. Die amerikanische Autorin Gail Carson Levine hat dabei einen in sich stimmigen Fantasy-Kosmos geschaffen, in dem sich bekannte Fabelwesen von Zauberern über Feen bis zu Drachen tummeln - und der doch immer wieder für Überraschungen sorgt.

Die Handlung ist schnell erzählt: Während die mutige und draufgängerische Königstochter Meryl nichts so sehr ersehnt wie große Abenteuer, ist ihre Schwester Addie schüchtern und überaus ängstlich. Addie gibt sich Gefahren allenfalls in Büchern, Erzählungen und vor allem in ihren eigenen phantasievoll gestickten Wandbildern hin. Doch eines Tages erkrankt Meryl an einer im Reich Bamar gefürchteten - und tödlichen - Krankheit, dem "Grauen Tod".
Aus Liebe zu ihrer Schwester macht sich ausgerechnet die furchtsame Addie auf die gefährliche Reise, um ein Heilmittel zu suchen. Und so erfüllt sich am Ende eine Prophezeiung, nach der das Heilmittel gefunden wird, wenn die Ängstlichen Mut finden und über ganz Bamar Regen niedergeht.

Doch ganz so vorhersehbar wie diese Zusammenfassung klingt, ist die Geschichte nicht. Die Autorin arbeitet in das insgesamt sicherlich konventionelle Fantasy-Muster immer wieder Brüche und originelle Wendungen ein, die "Die Prinzessinnen von Bamar" über den gewöhnlichen Unterhaltungswert hinaus wirklich lesenswert machen. So ist das Inventar von Fabelwesen und Märchenmotiven zwar altbewährt, doch liefert Gail Carson Levine jeweils eine spezielle "Bamar-Version" von Geistern, Drachen, Elfen und Ungeheuern. Beispielsweise werden Bamars Zauberer geboren, wenn ein Blitz in Marmor einschlägt, wachsen ohne Eltern und Geschwister auf, haben weiße Wimpern, kennen keinen Schlaf, können ohne Besen fliegen, brauchen zum Leben nur Luft - und verlieben sich dennoch hin und wieder in ein Menschenkind. Bamars Drachen hingegen haben ein eigenwilliges Ritual entwickelt, sich von ihren Opfern tage- und wochenlang unterhalten zu lassen, bevor sie ihrer überdrüssig werden und sie töten.

Beides, die Liebe zu einem Zauberer wie die Bedrohung durch einen Drachen, lernt Addie auf ihrer Suche nach dem Heilmittel für ihre Schwester Meryl kennen. Besonders gelungen ist dabei das Katz- und Maus-Spiel mit der alten Drachendame Volly, die die Menschenprinzessin Addie mit der Drachen-Geschichte von Bamar verwirrt. Ihre säuberlich in Gut und Böse aufgeteilte Welt wird für einen kurzen Moment ins Wanken gebracht: "[...] es war trotzdem sonderbar, die Drachenversion zu hören, so als würde man plötzlich erfahren, was ein Keiler über seine Jäger dachte." Leider hat diese Einsicht für die Geschichte keine Folgen. Weder Keiler noch Jäger, weder Drache noch Mensch kann aus seiner Haut heraus - der Drache muss töten oder getötet werden.

Dass Gail Carson Levine hier nicht aus der Konvention ausbricht, erzeugt sicherlich ein gewisses Pathos in der Geschichte. Das ist schade, zumal die Stärke des Buches gerade ist, dass eine ängstliche Heldin über sich hinauswächst und dem Schicksal trotzt. Aber vielleicht folgt ja irgendwann eine weitere Erzählung - genügend Stoff bietet diese Fantasy-Welt von Bamar auf jeden Fall.

Titelbild

Gail C. Levine: Die Prinzessinnen von Bamar. Ab 12 Jahre.
Übersetzt aus dem Englischen von Janka Panskus.
C. Bertelsmann Verlag, München 2003.
256 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3570127052

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