"Da habe ich den Leser überschätzt"

Der dritte Band des "Luminars" stellt Jüngers Capriccio-Technik, seine Burgunderszene und das Friedensschrift-Chaos auf den Prüfstand

Von Jörg SaderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Sader

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Widerspruch, verstanden als Widersprüchliches, noch Aufzulösendes, doch auch als Einspruch und kritische Entgegnung auf ein Werk, dessen Bedeutung wie im Falle Jüngers außer Frage steht - dieser (programmatisch bereits im Titel dieses Bandes verankerte) Doppelsinn des 'Widerspruchs' bestimmt die meisten der hier versammelten "Neuen Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger" (u. a. Thomas Rohkrämer, Wojciech Kunicki, Helmut Lethen, Tobias Wimbauer, Piet Tommissen) in ihrer Intention, den Verrätselungen und Stilisierungen, den Camouflagen und Vexierbildern im Werk, diesen Nebenkerzen, die Jünger liebte und ein Leben lang warf, auf den (Sprach-)Leib zu rücken ...

Ernst Jünger, wohlgemerkt - denn anders, als es Unter- und Reihentitel nahelegen, ist von Bruder Friedrich Georg genau genommen lediglich in zwei Beiträgen die Rede. Immerhin eröffnet sein sehr atmosphärisches, bisher ungedrucktes Prosastück den facettenreichen Band: "Besatzung 1945", ein Kapitel aus den Nachkriegswirren am Bodensee, das die bedrückende, wenig 'charmante' Willkür der französischen Truppen schildert, das Chaos der Einquartierungen, Plünderungen und Internierungen, doch auch Kurioses, etwa die Balance verlierenden, "radfahrenden Kongoneger", nicht ausspart.

Der Beitrag von Peter Bahn leuchtet Friedrich Georg Jüngers freundschaftliche, nicht spannungsfreie Beziehung zu dem Publizisten und NS-Gegner Friedrich Hielscher aus, der im Erinnerungsbuch "Spiegel der Jahre" als Helmer auftritt. Der eigenwillige Theologe und spätere Gründer der "Unabhängigen Freikirche" hatte vor allem mit seinem Buch "Das Reich" für eine Erneuerung aus dem Religiösen geworben und damit Ernst Niekischs Kritik auf den Plan gerufen, der sich FGJ bald scharf und unmissverständlich anschloss. Hielschers Ideen sorgten unter den Nationalrevolutionären nicht nur für Krisen und Neuorientierungen, sondern bewirkten indirekt, wie Bahn zeigt, den Wechsel vom nationalstaatlichen zum universalen Weltbild.

Demgegenüber geht Thomas Rohkrämer zu den Anfängen Weimars zurück, zur Sinnkrise, die der Erste Weltkrieg hinterließ - ein gewissermaßen nihilistischer Nullpunkt, den Ernst Jünger als Chance begriff, sein vom Willen zur Macht geprägtes Ideal eines militaristischen und autoritären Staat zu propagieren und zu realisieren - "aus einem ewigen Deutschtum heraus", d. h. gegen die Ideen der Aufklärung. Rohkrämer ersetzt den Begriff der "Konservativen Revolution" durch den geeigneteren des "Neuen Nationalismus" (Panajotis Kondylis) und stellt fest: Jünger habe alles gefehlt, Märtyrer, dramatische Entwicklung, vor allem die wahre Revolution: "Ihre Idee ist die völkische", schreibt er 1923, "ihr Banner das Hakenkreuz, ihre Ausdrucksform die Konzentration des Willens in einem einzigen Punkt - die Diktatur!"

Ernst Jüngers Welt- und Geschichtsbild untersucht auch Wojciech Kunicki in seinem bereits 1992 entstandenen, inzwischen durchgesehenem Beitrag, allerdings in einem umfassenderen Sinne. Dass er zu Beginn wohltuend mit einer Jünger'schen Attitüde aufräumt, nur nebenbei: Jüngers "prätentiös und im Stil der rhetorischen ex-kathedra-Rede" sich gebende "glatte, klassische Verbindlichkeit" mache, sagt er, den Leser "dialogunfähig." Unzufriedenheit mit dem Erreichten und/oder Bearbeitungsmanie hin und her, ihr Ursprung liege, diagnostiziert Kunicki erfrischend, in einer "fundamentalen [...] Unsicherheit an dem sprachlichen Ausdruck." Das heißt nun freilich nicht, die Erfahrungen des Dichter-Historikers zu ignorieren. Scheiterte Jünger früh mit der apokalyptisch-voluntaristischen Absicht, den Frontsoldaten, der er selbst war, zum politischen Kämpfer im Sinne des Neuen Nationalismus zu machen, so musste er später akzeptieren, dass die Wirklichkeit, die er in der "Totalen Mobilmachung" wie im "Arbeiter" beschrieben hatte, sich als längst global gewordene nicht mehr auf den Staat beziehen ließ. Das hatte Folgen für die Wahrnehmung im Zweiten Weltkrieg: der "titanisch-mythologischen Dimension" der neuen Waffentechnik ist der Einzelne hilflos ausgeliefert; Jünger macht ihn mehr und mehr zum Träger anarchischer Freiheit, zum Beobachter, der im "Bilderstrom immer stärker die Raster der historischen Wahrnehmung verliert." Kunicki zeigt die Diagnosen dieses Prozesses des Verlustes, der "Weißungen" zugunsten abstrakter Zeitbezogenheit auf, der Jünger schließlich zu der Vorstellung einer Welt außerhalb der Zeit führt, in Bereiche des Nachhistorischen, die - wie in "Eumeswil" und "Aladins Problem" ablesbar - von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, vom konfliktlosen Nebeneinander der Zeitebenen geprägt sind.

Auf den Skandal eines unbegreiflichen Nebeneinanders in der NS-Zeit - etwa Swingbewegung und Rosenberg-Propaganda, Faulkner-Lektüre und Massenaufmärsche - macht Helmut Lethen in seiner mikroskopisch präzisen Analyse der "Kaukasischen Aufzeichnungen" aufmerksam, die wahrlich Maßstäbe setzt. Mit hart gefügten, auch von surrealistischer Wahrnehmung inspirierten Bildsequenzen trägt Jünger diesen Formen des gespaltenes Bewusstsein (und der Überlebenssicherung in der Diktatur) im Tagebuch Rechnung; er will den Skandal des Nebeneinander überbieten, ohne ihn zu thematisieren. Aber Lethen vergleicht auch Jüngers 'Wahrnehmungsprogramm' im besetzten Paris - der kalte Blick: die Kunst des grausamen Sehens als Verkehrsform der "satisfaktionsfähigen Gesellschaft" (Norbert Elias) - mit den 'Bildern', die er an der Ostfront vorfindet, und die ihn sogleich zurückschrecken lassen: die Kälte des Massentods, des Kollektivs toter Leiber ist in gewohnter Weise in die Aufzeichnungen, die nach Lethen dem Schema des deutschen Entwicklungsromans folgen, nicht zu integrieren. Noch in Paris hatte sich Jünger von dieser mit unterschiedlicher Begründung angetretenen Inspektionsreise neue Capriccios erhofft, nun, vor Ort, muss er feststellen, dass das u. a. von Callot und Goya herrührende Capriccio - eine Kombination aus präziser Beobachtung, naturalistischer Detailtreue und der Beschwörung der Mächte der Finsternis - versagt. Zu erdrückend sind die Verbrechen, als dass sie sich, etwa als das Nicht-Mitteilbare, das Jünger aus der archaischen Tiefe seiner Träume destilliert, um es dann im Notat spekulativ zu stilisieren, vorausahnen ließen, es sind Katastrophen, die, wenn überhaupt, nur auf den 'Oberflächen' von Photographie und Film zu zeigen sind. Hatte Jünger einst, man erinnere sich, dem kalten Blick des Kameraauges das Wort geredet, so beklagt er jetzt, es nehme ihm die Freiheit der Einbildungskraft.

Der allerdings hat Jünger, meint Tobias Wimbauer, reichlich gefrönt, als er den inzwischen meistzitierten Passus seines Werks, die umstrittene Burgunderszene, niederschrieb - ihren Status aber später in der Schwebe gehalten. Blieb ihm die Brisanz der Szene, gar die Empörungssucht seiner Gegner, die sie großzügig bediente, verborgen - oder ist das wieder nur eine seiner Nebelkerzen? Noch 1987 beharrt er auf ihr - als bare Münze, erlebte Realität: in einem Brief an Henri Plard, den wichtigen, kürzlich verstorbenen Übersetzer, stilisiert Jünger seinen Unmut über die "Untugend", den Autor eines Werks von mehreren tausend Seiten mit zwei, drei problematischen Sätze "festzunageln"; das Wort vom "Ausrutscher" fällt (in einfacher Anführung!) - "etwas, das man besser für sich behalten hätte" -, bevor diese 'abgespeckte' Version folgt: "Zu meinen Erfahrungen zählt das Glas Burgunder" [im Original-Brief: "Sekt"!] "auf dem Dach des 'Raphael' als einsamer Gruß an den Tod, während die Bomber darüber hinwegflogen. Da habe ich den Leser überschätzt".

Dass seit den 90er Jahren in diesem Punkt eine Art interpretatorischer Schubumkehr zu beobachten ist, eine auffällige Verfeinerung philologischer Erkenntniskunst, der es eine Lust war (und ist), die denunziatorischen Vorbehalte Jünger gegenüber zu kassieren, dürfte vor allem dem ungebrochenen Provokationspotenzial dieser Szene zu verdanken sein. Davon profitierte noch die erst wenige Wochen alte Rezeptionsgeschichte dieses Bandes, die einsetzte, als dieser noch gar nicht auf dem Markt war. Eine ausführliche Vorab-Rezension des Wimbauer-Beitrags "Kelche sind Körper" (FAZ 10. April) hatte Jünger-Leser bewogen (FAZ, Junge Freiheit), den Thesen des Autors mit Hinweisen beizuspringen (darunter der für die Argumentation so bedeutende einer Zeitzeugin, es habe an jenem berühmten 27. Mai 1944, anders als Jünger stilisierend insinuiert, keinen zweiten Fliegerangriff auf Paris gegeben, oder der auf Stendhal und seine ästhetisch erhabenen, eben imaginären Katastrophenbilder des Brandes von Moskau; FAZ 28. Juli).

Nun hat es wohl mancher geahnt: der Wahrheitsgehalt der Burgunderszene ist nicht sonderlich hoch - sie ist pure, lustvolle Stilisierung, ein artifizielles Vexierbild, und als solches weder auf Gefühlskälte, ästhetizistisch-barbarische Schaulust und dandyesken Untergangsgenuss zu reduzieren noch erschöpfend als inhumane Kriegsverherrlichung oder mythisierende Todesfeier zu verstehen. Zuviele Implikate deuten - dieser Einsicht haben bereits Martin Meyer und Wolfgang Brandes, vor allem jedoch François Poncet vorgearbeitet - auf eine hochkomplexe Literarizität: auf ein (tag)traumähnliches, per Imagination und Fabulation 'konstruiertes' Gebilde, das sich gängiger Motive aus Literatur, Bildender Kunst, selbst der Bibel bedient. Wimbauer schlüsselt sie umsichtig auf - von der sexuellen Symbolik der Erdbeere in Boschs "Garten der Lüste", bei Villon, Bürger und Thomas Mann, der christlichen Fisch- und Schlangensymbolik bzw. der Bedeutung des Weins, der Kelter als Zorn Gottes, über die Bilder der Apokalypse und die Opferhandlungen bei Zosimos von Panopolis bis hin zu den als literarische Prätexte nachgewiesenen einschlägigen Passagen bei E. T. A. Hoffmann, Proust (Fliegerangriffe und Walkürenritt) oder Oscar Wilde (Burgunderglas). Dieses alles als 'Humus' Jünger'scher Imagination und 'Traumarbeit' nachzuweisen, ist eine erstaunliche Rechercheleistung.

Da aber die meisten Bedeutungsschichten auf ein erotisch-sexuelles Zentrum gravitieren, lag für Wimbauer der Schluss nahe, in der Burgunderszene arbeite - und das ist nun wahrlich neu! - eine Bewältigungstechnik, die in privateste Bereiche der Jünger'schen Biographie hinabsteigt: daher könne sie auch (nicht müsse!) "ganz anders" gelesen werden, als intime Chiffrierung nämlich, als "metaphorisiert-verschleierte Schilderung einer eskalierten Liebes-Affäre", die Jünger tatsächlich zu der (im Tagebuch unter fünf Decknamen auftretenden) deutschen Kinderärztin Sophie Ravoux in Paris unterhielt, und die nach Trennungen im Mai 1944 erneut auflebte. Man reibt sich die Augen: hier schreibt ein Mann zwischen zwei Frauen, dem es nicht (oder nicht ausschließlich) um die vielgeliebte 'Kriegstheatralik' geht, der sich - darüber berichten die "Strahlungen" vielfach - von (Hotel-) Dächern bequem beiwohnen ließ, sondern um eigene Emotionen, die ihn von der ohnehin fernen Ehefrau in die Arme der Geliebten treiben. Um die These (von "hoher Wahrscheinlichkeit") zu halten, werden die in den späteren Ausgaben der "Strahlungen" getilgten Hinweise auf die Affäre mit den entsprechenden Tagebuchblättern der Ehefrau Jüngers verglichen, auch Textpassagen aus Sartres "Huis clos" herangezogen (die Uraufführung fiel just auf den 27. Mai 1944) wie schließlich Jüngers Notate vom Vor- bzw. folgenden Tag des 27. Mai selbst, die unvermutete Bezüge aufzeigen - etwa Jüngers Klage über das auf Dauer zu anstrengende moralische Verhältnisses zu anderen bzw. die infame Rolle des Bürgers, der, obwohl nicht einbezogen, immer moralisch urteile, wie schließlich der Traum vom 'ejakulierenden' Fisch oder die Lektüre der Offenbarung des Johannes. "Alles nur Zufälle?", fragt Wimbauer.

Wie im Rausch nimmt man dies alles zur Kenntnis, man möchte in jedem einzelnen Punkt zustimmen - aber das Paradox der "tödliche Befruchtung"? Die unglückselige Metapher steht im Raum wie ein erratischer Block und will nicht weichen. Wimbauer holt weit aus, um die Konnotationsreihe 'Blüte und Frucht' / 'Becher und Wein' / 'Blütenkelche = Kelche = weiblicher Körper' / 'Paris als Freundin und geliebte Stadt' im Werk nachzuweisen. Die "tödliche Befruchtung" wäre demnach Sinnbild einer verbotenen, einer ausweglosen Liebe? Das wird so nicht gesagt; dafür nutzt Wimbauer den als Blüten- bzw. "Erdbeerstecher" (!) bekannten Käfer namens 'Anthonomus rubi', der ihm zu Hilfe eilt, und den Jünger natürlich von der 'subtilen Jagd' her kannte. Der pflanze sich fort, indem das Weibchen Knospen ansteche und in dem Loch ein Ei ablege, worauf die fußlose Larve die Blütenblätter benage und schließlich zum Absterben bringe. Angesichts der sexuellen Symbolik der Erdbeere und Jüngers Gleichsetzung von Blütenkelchen "mit Körpern respektive Frauen" ist, vermutet Wimbauer, "die Verbindung von Erdbeeren-Blütenkelchen im Zusammenhang mit der 'tödlichen Befruchtung' vielleicht doch kein unlösbares Paradox mehr."

Widersprüche wieder anderer Art begegnen uns mit der "Friedensschrift", von der Jünger höchst Unterschiedliches streute. Geplant im Augenblick "der größten Ausdehnung der deutschen Front", sei ihr Zweck "rein persönlich" gewesen; "gewissermaßen als 'Übung in der Gerechtigkeit'." Warum dann, zitiert Piet Tommissen Gerhard Loose, "die Form des europäischen oder gar weltweiten Aufrufs?" Drei Jahre zuvor, 1946, hatte Jünger noch in einem (hier nicht erwähnten) Brief an Werner Milch von einem "bestimmten politischen Plan" gesprochen, von einer "außenpolitischen Mitgift für die den 20. Juli vorbereitenden Kräfte". Tommissens erste, akribisch vollständige Dokumentation der Entstehung, Drucklegung und Verbreitung der "Friedensschrift" räumt nicht nur mit unhaltbaren Legenden auf, sie berücksichtigt auch abwegig erscheinende Vermutungen: so könnte die Schrift z. B. auch "unter den Auspizien einer deutschen Hegemonie in Europa", etwa der 'Großraum-Ordnung' des SS-Intellektuellen und Jünger-Vertrauten Werner Best, konzipiert worden sein, wogegen Tommissen den umgekehrten Schluss in Erwägung zieht: "warum nicht [...] den mit der Großraumtheorie Carl Schmitts vertrauten Ernst Jünger als Ahnherrn von Bests Konzept betrachten"?

"Hinter mir geht der Rekrut", heißt es in "Das Wäldchen 125", "der heute morgen noch schnell die Maschinengewehrsalve abgab [...]". Dieser Rekrut, der Gefechtsläufer Wilhelm Marquardt im 73. Füsilier-Regiment, hatte bereits 1934 in Zeitungsartikeln seine Kriegserlebnisse mit Jünger an der Westfront geschildert; 1980 vertiefte er sie, wobei er 'zur Auffrischung' seiner Erinnerungen Jüngers frühe Kriegsbücher konsultierte und 'gegenlas'. Sein überaus positives Porträt des Vorgesetzten (hier erstmals veröffentlicht) wäre nach der Lektüre des Buchs von John King womöglich anders ausgefallen. Dies gilt auch für die Texte Franz Schauweckers und Ludwig Alwens' (erstmals 1926 bzw. 1932 gedruckt), die es an Bewunderung für den soldatischen Jünger nicht fehlen lassen. Schauwecker, der den Krieg als "förderndes Schicksalselement" unumwunden bejaht, stilisiert den Stoßtruppführer, den Leser der großen Franzosen und Deutschen und Autor von "Feuer und Blut" ("das bedeutendste Buch") zum "notwendigen Menschen" der nationalistischen Bewegung: "Persönlichkeit ist Schicksal!" Alwens' "Gespräch im Botanischen Garten" ist im Grunde ein Monolog Jüngers zur Lage der 'Revolution', die sich anders vollziehe "als alles, was man bisher unter Revolutionen verstand". Der soeben abgeschlossene "Arbeiter"-Essay, den "ganz einfache Gemüter [...] mit Nutzen lesen können", wird kommentiert und paraphrasiert. Er habe versucht, "eine kleine Kampfmaschine zu konstruieren. Es kommt nun darauf an, daß sie anwendbar ist." Jünger fordert von einer "Neue Aufklärung" die Überwindung der "gesinnungs- und weltanschauungsmäßigen" Zusammenhänge (welches Deutsch!) zugunsten "rassemäßiger" Sachlichkeit im Sinne des Arbeitsdienstes, und zieht medientheoretische Überlegungen ins Kalkül: es bedürfe "einer neuen Art zu sehen", um die Terminologien von Entwicklung und des Fortschritts zu entlarven - auch einer "revolutionären" Photographie.

Einen gänzlich anderen Aspekt des Sehens thematisiert das Prosastück "Ortners Erzählung", eine Binnenerzählung aus dem Roman "Heliopolis" (1949), die Jünger gern separat erscheinen ließ. Tobias Wimbauer geht den Bezügen und (biographischen) Hintergründen der in sich geschlossenen Parabel auf die "grundlegende Dualität der Menschheit, 'die Toren und die Wissenden'", nach und deutet sie im Lichte aktueller Forschungserkenntnisse aus.

Dass er sich gleichwohl nicht zu schade ist, auch weniger attraktive Arbeit zu leisten, sei hier wenigstens vermerkt. So lässt er seinem "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers", das an dieser Stelle nicht nur Würdigung erfuhr, in diesem Band ein verdienstvolles zweites folgen - zu "Autor und Autorschaft" (Sämtliche Werke, Band 19). Alles, was zu entschlüsseln war, enthalte es, heißt es in der Vorbemerkung. Vollständigkeit ist nicht zu haben, vielleicht aber Annäherungen an sie - durch künftige Hinweise aus der Leserschaft.

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Tobias Wimbauer (Hg.): Anarch im Widerspruch. Neue Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger. Das Luminar. Schriften zu Ernst und Friedrich Georg Jünger. Bd. 3.
Edition Antaios, Albersroda 2004.
300 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3935063539

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