Gewalttätige Schweiz

Alex Capus erzählt "13 wahre Geschichten"

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Erfolg seines Romans "Glaubst du, daß es Liebe war?" im vergangenen Jahr erschien jetzt ein Bändchen mit nicht ganz neuen Geschichten des 1961 in Frankreich geborenen Schweizer Schriftstellers Alex Capus. Er ist vom Residenz- zum Deuticke Verlag gewechselt, der "13 wahre Geschichten" versammelt hat, die als Serie zwischen 2002 und 2004 in der "Schweizer Familie" und zum Teil in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen. Die Texte beanspruchen meist etwa 15 Buchseiten und eigenen sich gut als Lesefutter für zwischendurch. Der gelernte Journalist demonstriert erneut, dass er sein Handwerk gelernt hat, weshalb auch diese Geschichten für das Lesepublikum häppchengerecht aufbereitet sind.

In einer Zeit, die es gelernt hat mit Wahrheit vorsichtig umzugehen, kann der Titel des Bändchens wohl nur als Provokation aufgefasst werden. Oder auch als smarte Entscheidung eines Werbefachmannes, denn natürlich ist trotz aller Unsicherheit die Sehnsucht nach Wahrheit geblieben, und mancher und manche greift gerne zu, wenn sie wohlfeil angeboten wird. Andererseits bekennt der Autor in einem Interview, dass er Geschichten erzählen möchte, die "wahr sein könnten". Für ihn bedeutet dies, dass die Texte mit "Gesehenem, Gehörtem, Erlebtem, Realem" zu tun haben. Im Fall der vorliegenden dreizehn Texte wird das am Schluss beglaubigt durch die Angabe von Quellen für jede einzelne Geschichte. Also der Autor hat Recherchen betrieben, Archive besucht, Menschen befragt und auch schon mal einen Schauplatz bereist. Diese Vorgangsweise ist für Capus nicht neu. Indem er subjektives Für-richtig-Halten und Wahrheit der Einfachheit halber gleichsetzt, bekennt er: "Natürlich geht man von Gegebenem aus, und schöpft daraus eine neue Wahrheit. Für 'Glaubst du, dass es Liebe war' gab es auch ein reales Vorbild für diesen Tunichtgut von einem Fahrradhändler. In dem Städtchen, in dem ich wohne und dessen Skizze ich als Ausgangspunkt genommen habe, alles darüber hinaus ist natürlich Fiktion."

Die 13 Miniaturen haben allesamt einen sehr starken Schweiz-Bezug, indem entweder ihre Protagonisten Schweizer sind oder das berichtenswerte Ereignis in der Schweiz passiert ist. Das Erzählte spielt in verschiedenen Jahrhunderten, die Spanne reicht vom 14. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Zumeist stehen Männer im Blickpunkt, aber in der Geschichte "Der Spuk von Stans" spielt auch eine Frau eine wichtige Rolle. Jeder der dreizehn Beiträge hat neben dem Titel einen barock anmutenden Untertitel, der vorneweg der Leserin und dem Leser klar macht, womit er es zu tun bekommen wird. Also etwa: "Wie die gottesfürchtige Bauersfrau Veronika Gut nach dem Franzoseneinfall 1798 zur Waffenschmugglerin und Gotteskriegerin wurde, und wie es nach ihrem Tod zu spuken begann."

Alex Capus verwendet seine Quellen geschickt. Er versteht es, die Authentizität des Berichteten durch Zitate an den dramaturgisch richtigen Stellen hervorzuheben und gleichzeitig durch zeitgemäße Sprache das Lesevergnügen wachzuhalten. Dabei geht er mitunter vielleicht etwas zu weit, wenn er etwa drei verzweifelte Revolutionäre des Schweizer Bauernaufstands, die zuletzt höchst grausam von der Obrigkeit bestraft werden, einführt als "drei nicht mehr ganz jugendliche Halbstarke", die sich 1653 "auf die Lauer" legten, "um den Luzerner Landvogt und den Schultheißen totzuschießen". Nicht zu überlesen ist, dass die Sympathie des Autors den Betrogenen und Enttäuschten gilt. Angenehm, dass er durchwegs auf einen didaktischen Zeigefinger verzichtet und mit der Urteilskraft des Publikums rechnet. So werden diese Texte zu einem historischen Anschauungsmaterial, welches dabei helfen kann, das Interesse für Geschichte (und Geschichten) wach zu halten.

Überrascht wird man vielleicht erinnern, dass auch die Geschichte der friedlichen und prosperierenden Schweiz eine Geschichte voller Gewalt und heftigster Auseinandersetzungen gewesen ist. Der Beitrag über den so genannten "Italienerkrawall" aus dem Jahre 1896 in Zürich, als "die Zürcher Arbeiter ein Pogrom gegen alle italienischen Mitbürger veranstalteten", belegt beispielhaft, dass die zugrunde liegenden Konflikte, durchaus auch in der heutigen Gesellschaft vorhanden sind.

Um noch einmal auf die Wahrheit zu sprechen zu kommen - was sie betrifft, ist Alex Capus nicht dogmatisch. Er weiß, dass er sich ihr nur annähern kann. Getrieben ist er von der Überzeugung, davon erzählen zu müssen und herausfinden zu können, wer vom Unglück der Menschen profitierte. Wenn man ihm darin zustimmt, handelt es sich tatsächlich um "13 wahre Geschichten".

Titelbild

Alex Capus: 13 wahre Geschichten.
Deuticke Verlag, Wien 2004.
198 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3216307387

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch