Liberal, progressiv und konservativ

Bärbel Meurer publiziert Beiträge zu Werk und Person Marianne Webers

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum eine der Theoretikerinnen der ersten Frauenbewegung sang das Hohelied des "ethische[n] Ideal[s] der Einehe" als "höchste[r] Form erotischer Gemeinschaft" mit solcher Inbrunst wie Marianne Weber. Es mag sein, dass Max Weber ihre diesbezüglichen Ansichten theoretisch teilte. Gerichtet hat er sich jedoch nicht nach ihnen. Bekannt sind seine langjährigen 'ehebrecherischen' Beziehungen etwa zu Minna Tobler und Else Jaffé. Man mag erstaunt sein, dass die Ehe an ihnen nicht zerbrach. Außergewöhnlicher noch ist aber, dass Marianne Weber mit beiden Frauen eine Freundschaft verband, die weit über den Tod Max Webers im Jahre 1920 hinausreichte und bis zu ihrem eigenen Tode 1954 Bestand hatte.

Über Else Jaffé liegen bereits einige Aufsätze und auch die eine oder andere Monographie vor. Nicht so über Minna Tobler. Eine Lücke, die M. Rainer Lebsius mit seinem Aufsatz "Mina Tobler, die Freundin Max Webers" füllt. Nachzulesen ist er in einem von Bärbel Meurer herausgegebenen Sammelband zu Werk und Person Marianne Webers, einer im Vergleich mit ihrem Mann von der Forschung bislang sträflich vernachlässigten Persönlichkeit der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Der Band geht auf eine vom Oerlinghausener Marianne Weber-Institut im September 1998 veranstaltete Tagung zurück, beschränkt sich jedoch nicht auf die Publikation der dort gehaltenen Vorträge. Der erste seiner zwei Teile gilt Persönlichkeit, Familie und Freundinnen Marianne Webers. Hier stellt Christa Krüger deren "Konzept einer Partner-Ehe" vor, Guenther Roth, der kürzlich mit der Familien-Biographie der Webers hervorgetreten ist (vgl. literaturkritik.de 01/2003), beleuchtet noch einmal die "Geschlechterproblematik in der Weberschen Familiengeschichte", der er "illustrativen Wert" für die Geschlechtergeschichte und Frauenbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beimisst. Ingrid Gilcher vertritt in ihrem Aufsatz "Modelle 'moderner' Weiblichkeit - Diskussionen im akademischen Milieu Heidelbergs um 1900" die These, "daß die bildungsbürgerliche Lebensführung eine spezifisch bildungsbürgerliche Antwort auf die 'Frauenfrage' der Zeit" hervorgebracht habe die "'wirtschaftsfern' und ästhetisch-intellektuell verengt" gewesen sei. So sei die "Idee der Gleichheit" nur in eine "das Handeln bestimmende Norm auf der Ebene der Geschlechterbeziehungen" und in den "Bereich der Erotik und Sexualität" überführt worden, wodurch die "doppelte Sexualmoral", die "Männern gewährte, was sie Frauen verwehrte" gebrochen worden sei. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin - ebenso wie im vorliegenden Band auch Therese Wobbe - auf die theoretische Kontroverse um "zwei miteinander konkurrierende Modelle von Weiblichkeit" zwischen Marianne Weber und Georg Simmel, welche die seinerzeit weithin virulente Diskussion über die Rolle der Frau bestimmt habe. Während Simmel den kognitiven und emotionalen Unterschieden zwischen Männern und Frauen große Bedeutung beimaß und die "existentielle Bestimmtheit" ersterer aus deren "weibliche[r] Natur" beziehungsweise ihrem "Weib-Sein" ableitete, betrachtete Marianne Weber das "Sondersein" der Frau lediglich als ein "Sondergut"; ansonsten sei sie ebenso wie der Mann an ihrem "Menschsein" zu messen. Daher, so referiert Gilcher-Holtey die Auffassung Webers, betrachtete sie es als "'Los' und 'Pflicht' der 'modernen', 'neuen' Frau' den Weg zur Selbstvollendung auf eigenen Füßen zu gehen".

Weitere Beiträge dieses ersten Teils widmen sich bekannten Feministinnen, die in der bürgerlichen Frauenbewegung Seite an Seite mit Marianne Weber stritten und mit ihr durch freundschaftliche Bande verbunden waren: Marie Baum, die von Heide-Marie Lauterer vorgestellt wird, Camilla Jellinek, der Klaus Kempters Beitrag gewidmet ist, und natürlich Marianne Webers "Kampfgefährtin im Bund Deutscher Frauenvereine", Gertrud Bäumer. Margit Göttert zeichnet die "über 50 Jahre währende Freundschaft" kenntnisreich nach. Allerdings bleibt zu bemängeln, dass ihre Ausführungen nicht klar zwischen der von der Boheme gelebten "Freien Liebe" und der von Helene Stöcker propagierten "Neuen Ethik" unterscheiden. (Zu einem jüngeren Reanimationsversuch letztere vgl. literaturkritik.de 05/2004). Darüber hinaus neigt sie gelegentlich dazu, den gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung für die ganze zu nehmen. So etwa, wenn sie meint, Helene Lange sei die "damals prominenteste Führerin der Frauenbewegung" gewesen. Doch dies wird durch die aufschlussreichen Einblicke, die sie in das Verhältnis zwischen Weber und Bäumer gewährt, mehr als aufgewogen. So kann sie zeigen, dass beide von Anfang an "voller Bewunderung" für einander und über lange Jahre hinweg "in fast allen Grundsatzfragen" einig waren. So war ihnen etwa unstrittig, dass "[w]eiblich-sexuelles Begehren, sofern es nicht eigentlich auf Mutterschaft als seine eigentliche Vollendung abzielte", zu "Sinn- und Persönlichkeitsverlust" führen könne. Mehr noch als Mutterschaft idealisierte Weber allerdings die "asketisch-jungfräuliche Frau", da es ihr möglich sei, eine "vom Männlichen unabhängige Subjektposition" zu etablieren. Was Marianne Weber, die Göttert zu Recht als "die Expertin in Sachen Ehe" des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung bezeichnet, darüber hinaus zu Ehe und Sexualität zu sagen hat, stellt die Autorin in einigen pointierten Sentenzen wie etwa der folgenden vor: "Von der Natur 'geheiligt' sind also zweifellos nur diejenigen Geschlechtsverbindungen, die den Willen zur Zeugung, zum Kinde einschließen, nicht aber diejenigen, die absichtsvoll nur der Lustbefriedigung dienen."

Im zweiten Teil des Buches - "Marianne Webers wissenschaftlicher Ansatz" - geht Stephan Buchholz deren "Bedeutung für die Rechtsgeschichte" nach. Hiermit verwandt ist auch das Thema von Klaus Lichtblaus Beitrag. Er untersucht die Bedeutung von Marianne Webers vielleicht wichtigstem und wirkungsmächtigstem Buch "Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung". Therese Wobbe eröffnet in ihrem Aufsatz über "Marianne Webers kultursoziologische und frauenpolitische Perspektive" einen Zugang zu deren "bislang unbeachteten kultursoziologischen Schriften". Auch sie widmet sich insbesondere Webers bereits von Lichtblau beleuchtetem Buch und kommt zu dem Ergebnis, dass Marianne Webers Überlegungen bis "an unsere Gegenwart" heranreichen. Die Herausgeberin selbst untersucht im abschließenden Beitrag "Marianne Webers wissenschaftliche Arbeit und ihr Verhältnis zur Wissenschaft Max Webers".

Wenngleich, wie die Herausgeberin bemerkt, auch nach der Publikation des vorliegenden Sammelbandes noch einige - etwa Marianne Webers Arbeit und Leben nach Max Webers Tod betreffende - Desiderate bestehen bleiben, so ist mit diesem wichtigen Band doch ein Anfang zu einer hoffentlich intensiven Forschungsarbeit zu der Heidelberger Feministin und Wissenschaftlerin gemacht.

Titelbild

Bärbel Meurer (Hg.): Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person.
Mohr Siebeck, Tübingen 2004.
292 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3161481623

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