Närrischer Alltag

David Sedaris' Debütroman "Nackt"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich beschreibt er nur seine Kindheit und Jugend, und daß das so grotesk wird, liegt nicht an ihm - nicht immer jedenfalls. Nur manchmal ist sein Verhalten, nun ja, ein klein wenig ausgefallen: "Zu Hause berührte ich die Haustür mit jedem Ellbogen siebenmal, eine Aufgabe, die erschwert wurde, wenn noch jemand dabei war. Im Haus wollen Lichtschalter und Türstopper befriedigt sein. Nachdem ich die vierte, achte und zwölfte mit Auslegware bezogene Stufe geküßt hatte, wischte ich mir die Katzenhaare von den Lippen, und weiter ging es in die Küche, wo ich Befehl hatte, die Brenner des Gasherds zu streicheln, die Nase gegen die Kühlschranktür zu drücken und Kaffeemaschine, Toaster und Mixer in einer Reihe auszurichten. Es gab Glühbirnen zu lecken und Badezimmerwasserhähne zu überprüfen." Daß der Kleine überhaupt durchs Leben kommt, ist nur dem Rauchen zu verdanken, denn das beschäftigt stets seine Hände.

Niemand erwarte von diesem wunderbar witzigen und entlarvenden Buch biographische Enthüllungen, eine hochgestochene Pathographie. Es ist eine leicht überzogene, och immer irrwitzig genaue Wahrnehmung des verdrehten Alltags, dem Kind und Jugendlicher ausgeliefert sind. In siebzehn Geschichten erzählt Sedaris von den kleinen und größeren Katastrophen seines jungen Daseins. Ist ein Fettnäpfchen in der Ferne zu sehen, tritt er oder jemand anderes unweigerlich hinein. Wunderbar, als eine Lehrerin die Mutter des Jungen besucht, um über dessen Ticks zu reden, und die Mutter ihn nachahmt, bis die Lehrerin vor Lachen fast unter dem Tisch liegt. Gelungen auch die Satire über die Theaterbegeisterung des Sohnes, die nur so lange anhält, bis er mitbekommt, wie korrupt dieser Betrieb ist. Aber bis dahin redet er mit seiner Familie nur in Blankversen. Sedaris erzählt von einem Weihnachtsfest, in dem eine Hure die Hauptprolle spielt, von seinen Trampererlebnissen, auch von den Todesängsten seines Vaters, der zu allem eine grauenvolle Geschichte zu erzählen weiß.

Sedaris' Buch ist eine bittersüße, absurde, unsentimentale, bizarr witzige Schilderung mit Weisheit, mit komischen Obertönen, und sehr ernstem Unterton. Diese Prosa ist eine Entdeckung, eine fast perfekte Satire auf Biographien und auf das Leben.

Titelbild

David Sedaris: Nackt. Übersetzt von Harry Rowohlt.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1999.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 325100431X

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