Einmal um die ganze Welt

Odysseen - Fahrten, Passagen und Wanderungen im Space-Jahr 2001?

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Umschlag des Sammelbandes tritt dem Leser ein Bild des englischen Malers Sir Lawrence Alma-Tadema (1836-1912) entgegen: "A Reading from Homer". Es ver- und entzaubert den Band mit einem Blick. Es ist die Verheißung, die Hoffnung und die unbeschreibliche Neugier, die Suche und das Scheitern, die in den Odysseen die Reisenden bewegen, einen Ort zu verlassen, einen anderen Ort aufzusuchen, von A nach B zu reisen und manchmal doch nur nach C zu gelangen. Und es ist auch keine Geschichte der Rezeption des homerischen Epos, die man in Händen hält, sondern, und das erklären die Herausgeber Walter Erhart und Sigrid Nieberle in dem einleitenden Text auf das deutlichste: "Der vorliegende Band versucht erst gar nicht, eine Wirkungs- und/oder Rezeptionsgeschichte der 'Odyssee' zu schreiben, sondern setzt statt dessen ein markantes Datum dieser Geschichte: '2001 - A Space Odyssey', jenen legendären Film, mit dem Stanley Kubrick im Jahre 1968 das Genre der 'science fiction' auf spektakuläre Weise neu zu begründen versuchte. Das Vorbild der 'Odyssee' scheint darin freilich verblasst, Anspielungen auf das Geschehen der antiken Geschichte finden sich kaum. Und doch ist der Titel dieses Films nicht zufällig oder unbedacht gewählt. Die 'Odyssee 2001' wiederholt das Urmotiv des homerischen Textes: die Irrfahrt und den Aufbruch in eine fremde Welt, die - voll von 'außerirdischen' Gefahren - über die Grenzen der bislang bekannten Welt hinaus führt, stets bedroht von der Unmöglichkeit jeglicher Heimkehr, Ausdruck der Richtungslosigkeit und des menschlichen Unvermögens, über Zweck und Ziel der eigenen Reise zu verfügen."

Neben dem einleitenden Beitrag der Herausgeber begeben sich zwölf weitere Beiträger auf die avisierte Reise. In dem abgesteckten Rahmen kann der Leser Beiträge aus einem weiten Spektrum unterschiedlicher 'Odysseen' erwarten. 'Sokraktes und Odysseus' (Renate Schlesier) reisen miteinander, Johann Heinrich Voß macht sich 1781 mit seinen Homer-Übersetzungen auf den Weg zu einer "bürgerlichen Gesellschaftsutopie" (Adrian Hummel), über die "Odysseus im Exil" und in der "deutschen Literatur vor und nach 1945" wird ebenso referiert, wie Kubricks "Odyssey" Gegenstand einer Untersuchung (Marie-Luise Angerer) ist. Michael Ott greift in seinem Beitrag die "Personengruppe" der Argonauten auf und verknüpft diese, unter Hinzuziehung von wissenschaftlicher Literatur aus dem Bereich der anthropologischen Feldforschung, mit den Medienerlebnissen legendärer Kultfiguren wie Spock und McCoy aus der Serie 'Raumschiff Enterprise'. Argonautische Odysseen werden hier zum "Beginn der eigenen 'Zivilisiertheit'" im Eroberungs- und Expansionsmythos der Antike.

Nicht unerwähnt bleiben soll die Analyse von Florian Werner, der dem Odyssee-Gedanken in dem amerikanischen Überraschungserfolg "O Brother, Where Are Thou?" nachspürt. In dem als Film sehr erfolgreichen Epos sind die Elemente "einer" Odyssee deutlich zu spüren, und es wird dem Leser klar, wie sehr die Medien gewechselt haben, in denen moderne "Irrfahrten" stattfinden. Es ist der gleiche Zustand, der auch schon im Beitrag und im Ausgangsszenario aufgegriffen wurde: 'A Space Odyssey'. In der 'Südstaaten-Odyssee' verhält es sich differenzierter: "Von Ulysses unbemerkt, kreuzt der blinde Seher, der Prophet seines Schicksals und immanente Erzähler seiner Irrfahrt, ein zweites Mal seinen Weg. Er stimmt in den Gesang der Kinder mit ein, hält die Räder der Draisine am Laufen und fährt weiter, zu einem fernen Horizont. Die Farben verschwinden, das Bild wird langsam schwarz-weiß. Allmählich verbleicht auch diese Szene. Die Leinwand ist schwarz, der Gesang geht weiter. Wir sitzen im Dunkeln."

Die Leser sitzen am Ende nicht im Dunkeln, geben doch fast alle Beiträge beredete Auskunft über die Odysseen des Jahres 2001, und man ist unversehens erstaunt, wie die Brückenschläge zwischen dem homerischen Epos und dem 21. Jahrhundert gelingen. Dass die Perspektiven für das dritte Jahrtausend wie "Schmuggelware" in den Beiträgen mitgeliefert werden, ist kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern kalkulierte Absicht der Herausgeber. Eigentlich könnte es der Eröffnungsband für eine Reihe von "Odysseen des dritten Jahrtausends" werden.

Titelbild

Walter Erhart / Sigrid Nieberle (Hg.): Odysseen 2001. Fahrten - Passagen - Wanderungen.
Wilhelm Fink Verlag, München 2003.
217 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-10: 3770537238

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