Generation Botox

Martin Schacht über unsere gar nicht so düstere Zukunft

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Entwarnung! So schlimm wird es nicht werden! Wer eine Überalterung der Gesellschaft am Horizont aufziehen sah, sich vielleicht bereits als Wegbereiter eines "Methusalem-Komplotts" wähnte, mag sich wieder beruhigen. Wenn Martin Schacht mit den Thesen seines Buch "Die ewige Zielgruppe" Recht hat, sieht die Zukunft nicht so übel aus. Im Gegenteil: Uns steht Großartiges bevor.

Dabei sind die Unkenrufe in den Medien derzeit unüberhörbar: Die Deutschen vergreisen, unser Sozialsystem kollabiert und wo ein Generationenvertrag war, wird ein Krieg der Generationen ausbrechen. Insbesondere Frank Schirrmacher wies in letzter Zeit nach Kräften auf die uns bevorstehende "demographische Katastrophe" hin. Und augenzwinkernd bezieht sich "Die ewige Zielgruppe" auch auf Schirrmachers "Das Methusalem Komplott": "Sie gehören dazu" überschrieb der "F.A.Z."-Herausgeber die Einleitung zu seinem Bestseller.

Mit den gleichen Worten überschreibt auch Schacht seine Einleitung. Während bei Schirrmacher jedoch ein Katastrophenszenario folgt, fährt Schacht mit einem selbstbewusst-seligen "Ich gehöre dazu" fort. Und will uns davon überzeugen, dass die Zukunft für alte Menschen kaum rosiger sein könnte. Vorrausgesetzt jedenfalls, man gehört dazu: Zu den heute 30- bis 49-Jährigen, die Schacht "die ewige Zielgruppe" nennt.

Schachts einfache Grundannahme: Diese Generation ist der nachfolgenden "Pillenknick-Generationen" zahlenmäßig weit überlegen. "Es gibt so viele von uns, an uns kommt man nicht mehr vorbei", schreibt der 38-jährige Autor.

Dieser Massierung aber muss sich die Wirtschaft anpassen. Die Fernsehwerbung zeigt uns, dass dies bereits passiert: Da liefern sich quietschfidele Rentner Autorennen mit jungen Männern, und der Opa wird am Abendbrottisch zur Zielscheibe eines "Ich-hab-dich-am-liebsten-Wettbewerbs" des Nachwuchses. Das Ende der Fixierung auf junge Kundschaft zeichnet sich längst ab, immer häufiger sind die Alten in der Werbung eine Spur kesser als die Jungen.

In der Vergangenheit ignorierten Werbung und Marketing die Generation 50plus praktisch, weil diese Nachkriegsgeneration als wenig konsumfreudig und zu markentreu galt: Wer sich 30 Jahre Rama auf sein Graubrot geschmiert hat, steigt nicht plötzlich auf Lätta um. Doch die Zeiten ändern sich. Die "ewige Zielgruppe" ist weit entfernt von der Konsumverweigerung ihrer Eltern. Hinzu kommt, so Schacht, dass die Medizin das Alter sehr angenehm gestalten wird: Anti-Ageing, Lifting, Botox-Parties - schon bald wird ein 60. Geburtstag keine Entschuldigung mehr dafür sein, nicht wie 35 auszusehen. Und Viagra und Co. sorgen für des Pensionärs dritten Frühling.

Kurz, Schachts Buch verbreitet einen ungeheuren Optimismus, und der Leser gerät in Versuchung, sich aufs Rentenalter zu freuen wie ein Schüler auf die Sommerferien. Derart mitreißend ist Schachts Optimismus, dass man seine überaus eindimensionale Argumentation am liebsten übersehen würde. Denn das eigentliche Problem der veränderten Altersstruktur der Deutschen ist eben die nicht gesicherte Rente: Immer weniger Junge müssen für immer mehr Alte sorgen. Dieses Problem ist aber für Schacht kaum der Rede wert - er plädiert für eine private Vorsorge, und fertig.

Es läuft darauf hinaus: Die Zugehörigkeit zur ewigen Zielgruppe verheißt nur dem eine sorgenfreie Zukunft, der das nötige Kleingeld zusammengespart hat. Und das wird kaum bei allen Alten der Fall sein. Längst nicht jeder wird das Geld für einen Lebensabend auf Mallorca haben. Ein Paradigmenwechsel à la "Alt ist das neue Jung" wird kaum in der von Schacht angenommen Form stattfinden. Vielmehr wird die Trennlinie weiter zwischen Arm und Reich verlaufen. Wer Geld hat wird tatsächlich zur ewigen Zielgruppe gehören und sich "nie wieder Sorgen machen müssen". Aber das ist nicht so neu.


Titelbild

Martin Schacht: Die ewige Zielgruppe. Warum sich die heute 30- bis 49-Jährigen nie wieder Sorgen machen müssen.
Argon Verlag, Berlin 2004.
224 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3870245913

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