Vollkommen schutzlos

Steven Bloom erzählt in "Offene Ehe" ganz typische "New Yorker Geschichten"

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So mag man seine New Yorker: neurotisch, nervös, intellektuell, humorvoll, charmant, sehr europäisch, liberal (but to a degree) und voller Schuldkomplexe. Steven Bloom, 1942 in Brooklyn geboren, hat mit "Offene Ehe" elf fast prototypische "New Yorker Geschichten" vorgelegt. Selten war eine Gattungsangabe so stimmig. Alle Ingredienzen, die Woody Allen zu Filmen verrührt, finden sich auch in den pointierten Erzählungen des Wahl-Heidelbergers Bloom: Beziehungsprobleme, Psychiater, ganz gewöhnliche Lebenskrisen. In der Titelgeschichte etwa eröffnet die erfolgreiche Literaturagentin Katherine ihrem Mann, dem Hochschullehrer Jon, künftig ein wenig mehr Schwung in ihren sehr vorhersehbaren Alltag bringen und Schriftsteller "sammeln" zu wollen. Den ersten hat sie sich bereits ins Bett geholt - und gesteht das offen ein. Sie weist mit einigem argumentativen Geschick nach, dass die Seitensprünge ihrer nicht gerade jungen Beziehung nur gut tun könnten. Am Ende allerdings kehrt sie von ihren Sehnsüchten kuriert ins traute Eheglück zurück, da hat Jon bereits notgedrungen eine aufregend-verstörende Affäre mit einer Kollegin erlebt.

Steven Blooms Texte verdanken ihren Charme nicht zuletzt den punktgenauen, sehr flotten Dialogen, die an bessere Screwball-Komödien erinnern und von Silvia Morawetz gelungen ins Deutsche gebracht wurden. Bloom hat das Talent, jüdischen Witz und die Melancholie des Metropolenbewohners beiläufig in ein schönes Gleichgewicht zu setzen. Ganz leicht wirkt es, wie er den festen fiktionalen Boden immer wieder unter den Augen des Lesers wegzieht, wie er auf wenigen Seiten Charaktere und aus wenigen Andeutungen Lebensgeschichten entwirft, die gehöriges Potential zum Scheitern in sich tragen. Was der betrogene und betrügende Jon nach seinem eigenen Abenteuer ahnt und am liebsten nicht recht wahrhaben möchte, trifft auf alle Bloomschen Großstadtneurotiker zu - und das nicht erst seit dem 11. September: "Sie waren alle vollkommen schutzlos. Nichts würde wieder so sein, wie es mal war."

Titelbild

Steven Bloom: Offene Ehe. New Yorker Geschichten.
Übersetzt aus dem Englischen von Silvia Morawetz.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2004.
156 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 390214470X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch