Ansichten eines Schreibers

Karl-Markus Gauß Journal "Mit mir, ohne mich" - ein "Monatsbuch" zwischen Essay und Glosse

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt drei Kategorien von Menschen: Die Denker, die Redner und die Schreiber. Letzteren rechnet sich auch Karl Markus Gauß zu. Damit ist sogleich über den Entstehungsgrund seines 2002 erschienenen Journals "Mit mir, ohne mich" Transparenz geschaffen, das Gauß nicht nur niederschrieb, um seine Gedanken für die Öffentlichkeit aufzubereiten, sondern vor allem, weil ein Schriftsteller "nur, indem er schreibt, über die unklaren Dinge Klarheit bekommen" könne.

"Mit mir, ohne mich" reflektiert die sich zwischen August 2000 bis Juli 2001 ereigneten Feuilleton-Debatten, politisch gravierende Ereignisse und Kontemplationen über vergessene bzw. namenlose Schriftsteller. Dabei ist die Bezeichnung "Journal" zunächst irreführend, evoziert sie doch bei den meisten Menschen die Vorstellung einer bebilderten Zeitschrift informierenden oder auch unterhaltenden Inhalts. "Journal" meint aber auch noch eine - im Gegensatz zum Tagebuch - mehr nüchterne Art der Aufzeichnung tatsächlicher Geschehnisse der Außenwelt, etwa über Politik, Literatur oder Unterhaltung.

Welches Sujet auch immer, das markanteste an seinen Abhandlungen ist und bleibt die Manier, mit der er seine unerbittliche Rolle als Kritiker wahrnimmt. Die Wenigsten kommen bei seinen stechenden Tiraden unverletzt davon. Besonders hat er es auf gewisse Persönlichkeiten abgesehen, die die Volksverdummung mit ihrem hohlen, lediglich mit Promotion gefülltem Gehirn blind vorantreiben. "Schauspielerinnen, die keine zehn Bücher gelesen haben" und für ihr erstes selbst geschriebenes Buch von Verlegern Vorschüsse erhalten, "wie sie kein ernsthafter Schriftsteller je gesehen hat", oder aber sich mit dem Attribut "kritisch" titulierende Talkshows, die das literarische Werk eines Pop-Stars minutenlang vor das Glasauge der Kamera pressen, "um möglichst viele Leute, die keine Bücher lesen, dazu zu bringen, dieses Buch zu kaufen, das im emphatischen Sinne des Wortes kein Buch mehr ist".

Die wetzende Kritik gegen TV-Reality-Serien mit ihren Containergefängnissen, die nach Gauß den experimentellen Beweis liefern sollen, "daß das, was bisher als Einschränkung, Verletzung, ja als Folter empfunden wurde, auch lustvoll erlebt werden kann", und sein Wettern gegen ein immer mehr in den Bereich des Niveaulosen absinkenden Kulturverständnisses sind durchsetzt von einer Angst vor dem Gültigkeitsverlust der gerechten Werte unserer Gesellschaft.

Sie treffen in seinen Invektiven gegen den italienischen Premierminister und Medienmogul Berlusconi auf ihr Äquivalent, das durch seine dominierende Stellung im Bereich der nationalen Print- und TV-Medien als Bedrohung für die Demokratie erkannt wird.

Fragen nach den Werten der Demokratie und ihrer porösen Oberfläche überhaupt füllen - mal mehr, mal weniger ironisch pointiert - in "Mit mir, ohne mich" zahlreiche Seiten. So etwa bei Gauß' Bericht über einen Aufmarsch ehemaliger Waffen-SS-ler, bei dem "ein Rudel alter Herren, die Montur mit Naziorden bestückt, durch den Friedhof zieht und ziemlichen Wirbel um seine Helden macht." Das parallel dazu ausgesprochene Versammlungsverbot gegenüber einer Gruppe, die zum Protest dieser extremistischen Gedenkfeier der namenlosen Opfer solcher Nazi-Helden gedenken wollte, sei für Salzburg nicht ungewöhnlich, habe es in der Stadt doch, so lange er sich erinnern könne, "überhaupt nur sozialdemokratische Polizeipräsidenten gegeben, die es für ihre Pflicht hielten, auf das langhaarige Demonstrantengesindel eindreschen und alten SS-Kameraden den Weg zu volkgebräuchlichen Veranstaltungen frei machen zu lassen."

Karl-Markus Gauß lebt seit seiner Geburt 1954 in Salzburg. Nach seinem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete er als freiberuflicher Publizist. Seit 1991 ist Gauß Herausgeber von "Literatur und Kritik". Einen Namen machte er sich mit seinen Publikationen wie etwa "Ins unentdeckte Österreich" oder "Die sterbenden Europäer" (2001), für die er 2001 mit dem Preis des österreichischen Buchhandels für 'Toleranz im Denken und Handeln' ausgezeichnet wurde.

Dass "die Kritik radikal sein muß" und "kein Stillhalteabkommen kennt", sind Leitsätze, welche seinem Vorbild Karl Kraus, dem Herausgeber der zwischen 1899 und 1936 erschienenen "Die Fackel", entstammen. Die Rigorosität seiner Worte unterliegt dabei nicht dem bloßen Spiel eines willkürlich mit der Feder umherschwenkenden Österreichers, sondern gründet auf ein Bewusstsein um die enge Verkettung von Sprache, Macht und Politik, deren Missbrauch er gewissenhaft aufzudecken sucht.

Titelbild

Karl-Markus Gauß: Mit mir, ohne mich. Ein Journal.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002.
356 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 3552051813

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