Hollywood-Glamour blendet

Antonio Skármetas "Das Mädchen mit der Posaune" als Entscheidung zwischen Leben und Schein

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eher hätte der Titel zu Antonio Skármetas erschienenen Roman "Das Mädchen an der Posaune" lauten müssen. Schließlich hatte sich die zweijährige Magdalena mit ihren kleinen und zierlichen Armen an einen Posaunenspieler und das goldglänzende Blasinstrument auf ihrem Weg von Europa zu ihrem Großvater Stefano Coppeta nach Chile gehängt.

Magdalena ist Waise; weder weiß sie ihren richtigen Namen, noch hat sie eine andere Erinnerung an die Eltern, als dass diese sich den kämpfenden Partisanen anschlossen. Trotz der höchst umstrittenen Verwandtschaft nimmt sich der malizianische Einwanderer ihrer verantwortungsvoll an. Doch Coppeta ist alt, seine Lunge von seiner Kettenraucher-Leidenschaft völlig ruiniert und der Körper von einer Arthritis befallen, die ihn dazu zwingt, seinen kleinen Lebensmittelladen in Antofagosta aufzugeben und mit Magdalena nach Santiago überzusiedeln. Aus Sorge um die Zukunft seines Ziehkindes heiratet er Jovana, ein graues, aber tüchtiges Mauerblümchen, das nach seinem absehbaren Tod die Erziehung von Magdalena übernimmt.

Es ist die Blütezeit des amerikanischen Kinos der Nachkriegszeit, die die Jugendjahre der kleinen Magdalena und ihrer Freunde prägt. Die große mondäne Stadt ist nur interessant und lebendig durch die bunte Kinowelt, die sich von dem gewöhnlichen Alltag und den armen Verhältnissen des Chile der 40er und 50er Jahre abhebt, wie ein Farb- von einem Schwarz-Weiß-Film.

Sie und ihre Freunde leben in der Kinowelt, eifern ihren Stars in nachgespielten und selbst improvisierten Szenen der frisch angelaufenen Hollywood-Streifen nach, üben sich in Filmküssen und träumen von einem Leben jenseits der bedrückenden Armut. Wie bei so Vielen wird der amerikanische "way of life" auch zum Traum und Sinnbild der südamerikanischen Jugendlichen für ein besseres Leben. Anders als ihre Freunde setzt sich die verbissene Magdalena dies zum Ziel, das zu erreichen auch der unerfüllte Wunsch des verstorbenen Coppetas war. Sie will nach New York und findet dabei einen Gefährten in ihrem Freund Pedro Pablo Palacios, ein stürmischer, temperamentvoller Junge mit "kastanienbraunen Locken" und "struppigen Brauen", der in seiner schwarzen Lederjacke "etwas von einem Gesetzlosen" hat.

Hinter den Namensänderungen Magdalenas und Pedros in Alia Emar Coppeta bzw. York New verbirgt sich ein Identitätswechsel, der für die geplante Inangriffnahme der Auswanderung in die amerikanische Hauptstadt und die Distanzierung von dem zukunftslosen Leben in Chile steht. Über die neuen Namen verleiht Skármeta den Charakteren ein selbstbewusstes, weitaus dezidierter wirkendes Auftreten gegenüber ihrer Umgebung, das sich in energisch-konsequentem Handeln, in einem unstillbaren Durst nach Freiheit offenbart, und in der Gestalt des aufsässigen Pedros mitunter sogar radikale Züge annimmt.

Magdalenas neuer Name verweist emblematisch nicht nur auf den Identitätswechsel der Heldin. Indem er den Vornamen ihrer Großmutter Alia Emar mit dem Nachnamen ihres Ziehopas vereinigt, wird Magdalenas eigene Geschichte durch die ihres Großvaters unterzeichnet. Neben der darin chiffriert nahe gelegten Akzeptanz Stefanos als Großvater, für den ein Zusammenleben mit ihrer Großmutter Alia Emar ebenso unerreichbar geblieben ist wie die Auswanderung in die Vereinigten Staaten, bedeutet die Namens-Symbiose zugleich die Verwirklichung seiner verfehlten Träume in ihrer Person.

Gerade den letzten Wunsch symbolisiert das Abbild des Empire State Buildings auf Stefanos Taschenuhr, die er kurz vor seinem Tode seiner Enkelin vermacht hatte. Sie wird für Magdalena zum Wahrzeichen der Freiheit, einer Freiheit, die sie - anders als ihr Großvater - zu verwirklichen gedenkt.

Doch es kommt anders. Die Wahl zwischen Schwangerschaft oder Karriere, New York oder Chile führt die nun zu einem Paar zusammengewürfelten Charaktere aus dem amerikanischen Freiheitstraum heraus in ein familiäres Beisammen-Leben in südamerikanischen Verhältnissen.

Antonio Skármetas "Mädchen mit der Posaune" schließt inhaltlich an den kurz zuvor veröffentlichten Roman "Die Hochzeit des Dichters" an. Dort entfaltet sich die Liebesgeschichte zwischen Stefano Coppeta und Magdalenas Großmutter Alia Emar auf der idyllischen Mittelmeerinsel Gema, die in "Das Mädchen mit der Posaune" nur am Rande Erwähnung findet.

Erzähltechnisch ist Skármetas Roman nicht gerade eine schriftstellerische Glanzleistung. Sieht man von Kleinigkeiten - wie etwa einem überreichten Geschenk, das zuvor detailliert beschrieben wird und dann nicht mehr auftaucht - einmal ab, bleiben die kontemplativen Ausschweifungen seiner Ich-Erzählerin, die derartig weit führen, dass die Handlung nicht nur zur Stagnation, sondern auch den Leser um sein Erinnerungsvermögen gebracht wird, noch das mindere Übel.

Gerade dann, wenn die fiktive Ich-Erzählerin, die das ältere Ich der Protagonistin verkörpert, in ihren Beschreibungen einer ehemaligen Klassenkameradin Töne anklingen lässt wie: "Ihre Lippen wölbten sich in schwellender Hitze, die direkt von ihren Schenkeln heraufstieg" bzw., dass diese "selbst nach ihren saftigen, steinhart gewordenen Brüsten" tastete, sobald ein Junge sie zu küssen gedachte, glaubt man sich inmitten einer Erotikszene, die von einem männlichem Betrachterstandpunkt aus geschildert wurde, wiederzufinden. Sein angestrebtes Ziel, "als Autor so ganz in der Nähe der Hauptfigur zu bleiben", führt zu einem Stilbruch, bei dem die Rolle der Ich-Erzählerin durch die Überlagerung des Figuren- mit dem Autorstils einen Großteil ihrer Plastizität einbüßt.

Ebenso klaffen die Erzählungen der Kindheit mit denen über Magdalenas Jugend in ihrer Darstellungsweise derartig weit auseinander, dass man das Gefühl hat, allein die Namen der Hauptaktanten würden die beiden Geschichtchen zusammenkitten. Das Einarbeiten einer politischen Atmosphäre des Chiles Ende der 50er Jahre in das Werk bietet dem Leser zwar eine historische Orientierung, die jedoch zu stark für eine zeitliche Einordnung, hingegen weitaus zu schwach für einen Roman von politischem Gepräge ist.

Was bleibt ist die simple, aber lebensfeste Lehre, die der gebürtige Chile seinen Lesern in "Das Mädchen mit der Posaune" - verpackt in eine Kritik an der Hollywood-Glamour-Welt der Fünfziger Jahre - mit auf den Weg gibt: Persönliches Glück lässt sich durch Ruhm nicht ersetzen.

Titelbild

Antonio Skármeta: Das Mädchen mit der Posaune. Roman.
Übersetzt aus dem Chilenischen von Willi Zurbriggen.
Piper Verlag, München 2003.
335 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3492239811

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