Märchenhaftes Theater - Eine Neuausgabe von Carlo Gozzis "Die Frau eine Schlange"

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Als Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Romantiker begannen, das moralische Aufklärungsdrama langweilig zu finden, entsannen sie sich der tragikomischen Stücke, mit denen der venezianische Graf Carlo Gozzi (1720-1806) um die Jahrhundertmitte die Theaterverhältnisse in seiner Heimatstadt aufgemischt hatte. Gegen das realistische Aufklärungsdrama seines Konkurrenten Carlo Goldoni (1707-1793) setzte Gozzi märchenhafte Spiele, die nicht belehren, sondern vor allem Spaß machen sollten. "Gozzi hat keinen anderen Plan, als zu unterhalten und Lachen zu erregen", meinte Ludwig Tieck. Dies gelang ihm auf eindrucksvolle Weise; binnen Kurzem hatte er die Bühnen Venedigs für sich erobert. Das Publikum mochte die theatralische Sittenlehre eines Goldoni nicht mehr besuchen, so dass dieser gezwungen war, nach Paris auszuwandern. Gozzis "Spielwerk für die Augen", seine bizarren und grotesken Fabeln begeisterten die Zuschauer.

Nicht nur in Venedig triumphierte Gozzi mit seinen Märchenspielen. Auch in Deutschland fand er zahlreiche Bewunderer. Zu dem immensen Erfolg in Deutschland trug insbesondere die Übersetzung der zehn "fiabe teatrali" durch Friedrich August Clemens Werthes (1748-1817) bei, die von 1777 bis 1779 in fünf Bänden erschienen war. Werthes adaptierte die ursprünglich als konservative Antwort auf neue literarische Strömungen und Tendenzen der Aufklärung gemeinten Theaterstücke für das aufgeklärt-empfindsame Publikum in Deutschland. Die krude Komik der italienischen Commedia dell'arte-Figuren wurde von Werthes gezähmt, die sozialen Hierarchien abgeflacht, übrigens mit dem Einverständnis Gozzis, den Werthes in Venedig aufgesucht hatte. Solcherart 'modernisiert' wurden Gozzis Stücke zu Dauergästen in den Spielplänen der deutschen Bühnen.

Um 1800 entdeckten dann die Romantiker Gozzis Stücke neu. Sie faszinierte die antirealistische Tendenz der Märchenstücke, die selbstverständliche Einführung des Wunderbaren, die Mischung von Ernst und Scherz, von Tragik und Komik, die geringe Rücksicht auf Glaubwürdigkeit der Charaktere, die "Aufgelöstheit des inneren Menschen" und das "Decorazionsmäßige", wie sich Friedrich Schlegel ausdrückte. Für ihn waren Gozzis Stücke wie eine "Erinnerung" der Moderne an die wahre antike Komödie. Die Romantiker sehnten sich nach der Wiederbelebung der respektlosen Komik eines Aristophanes. "Ohne ihn gelesen zu haben", meinte Hegel einmal, "lässt sich kaum wissen, wie dem Menschen sauwohl sein kann".

"Die Notwendigkeit des Komischen" hätten dann auch "fast alle neueren Dichter gefühlt", meinte Ludwig Tieck, insbesondere wenn sie "aus irgendeinem wunderbaren Märchen eine Oper zusammensetzten". Die Oper als das romantischste aller Bühnenwerke war in gewisser Weise der Fluchtpunkt, worauf die Bühnenbestrebungen der Romantiker zielten. Sollten Opern aber mehr sein als nur "ein Konzert, das auf dem Theater mit Kostüm und Dekorationen gegeben" werde, so E. T. A. Hoffmann, dann müssten sich in ihr Text und Musik auf vollkommene Weise ergänzen. Da die Musik "die geheimnisvolle Sprache eines fernen Geisterreichs" sei, "deren wunderbare Akzente in unserm Innern widerklingen, und ein höheres, intensives Leben erwecken", müsse in der Oper auch der dazugehörige Text bereits das "Wundervolle, das er in das Leben tragen soll", enthalten. "Es ist, mit einem Wort die Zauberkraft der poetischen Wahrheit, welche dem, das Wunderbare darstellenden Dichter zu Gebote stehen muss, denn nur diese kann uns hinreißen". Vorbildlich schienen Hoffmann in dieser Hinsicht eben die Stücke Gozzis. Hier greife das Abenteuerliche und Wunderbare gleichsam notwendig in das gewöhnliche Leben ein, so "dass man willig daran glaubt". Die zwanglose Verwebung des Wunderbaren und des Alltäglichen erschien Hoffmann als das Wesen der Romantik, und mithin die Romantik als die eigentliche Heimat der Oper. "Nur im wahrhaft Romantischen mischt sich das Komische mit dem Tragischen so gefügig, dass beides zum Totaleffekt in eines verschmilzt, und das Gemüte des Zuschauers auf eine eigne, wunderbare Weise ergreift". Verwundert fragte sich Hoffmann, an den "herrlichen Gozzi" erinnernd: "In seinen dramatischen Märchen hat er ganz das erfüllt, was ich von dem Operndichter verlange, und es ist unbegreiflich, wie diese reiche Fundgrube vortrefflicher Opernsujets bis jetzt nicht mehr benutzt worden ist".

Dies ließ sich der begabteste Anhänger der romantischen Kompositionslehre nicht zweimal sagen. Richard Wagner (1813-1883) griff für seine erste Oper, "Die Feen" von 1834, auf das fünfte der insgesamt zehn tragikomischen Theatermärchen Gozzis zurück: Auf "La donna serpente" (1762) bzw. auf "Die Frau eine Schlange", wie das Stück in der Übersetzung von Werthes heißt. Diese Übersetzung, die zur Grundlage für Wagners Libretto wurde, ist zusammen mit einem ausführlichen Nachwort von Julia Bohnengel und Arnd Beise im Röhrig Universitätsverlag neu ediert worden. Die Ausgabe ermöglicht es, sowohl den "poetischen Verstand" Gozzis, den Schlegel "so groß" fand, zu erleben, als auch die Quelle der Inspiration für Wagners erstes Bühnenwerk kennen zu lernen. Wagners "Feen" wurde übrigens erst fünf Jahre nach dem Tod des Komponisten uraufgeführt; zwar mit großem Erfolg, dennoch gehört die Oper zu den absoluten Raritäten auf den Musiktheaterbühnen. Das nächste Mal wird sie am 5. Februar 2005 im Pfalztheater Kaiserslautern inszeniert. "Die Frau eine Schlange" von Carlo Gozzi in der Übersetzung von Werthes gehört zur Vorbereitung eines gelungenen Opernabends auf jeden Fall dazu.

A.B.

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Titelbild

Carlo Gozzi: Die Frau eine Schlange. Ein tragicomisches Mährchen in drey Akten.
Mit einem Nachwort herausgegeben von Julia Bohnengel und Arnd Beise.
Übersetzt aus dem Italienischen von F. A. C. Werthes.
Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2004.
93 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3861103605

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