Schönheit als Phantasma

Über prekäre Darstellungsweisen maskuliner Ästhetik

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der schöne Mann die längste Zeit der Kulturgeschichte eine Krisenfigur war, diese These stellt Wilhelm Trapp an den Anfang seiner Studie zur Erzählung von ästhetisierter Männlichkeit. Mit den lacanistisch/zizekianisch geprägten Begriffen des Phantasmas und des Begehrens operierend, zeigt Trapp literatur-, kunst- und philosophiehistorisch, wie das Schöne stetig nur in den Frauenkörper eingeschrieben wurde, der schöne Mann hingegen eine Grenzfigur darstellte, der die Diskursordnung störte. Phantasma wird gedeutet als Produkt des Begehrens, wobei es als Ersatz oder vielmehr Notlösung für symbolische Identifikationen dient, das Subjekt also in Beziehung setzt zur Dimension des Realen. Das Begehren wird als ein dem Phantasmatischen vorgängiges Phänomen beschrieben, das die Suche nach einem phantasmatischen Objekt strukturiert: "Das Begehren schafft notwendige phantasmatische Ziele wie das Schöne, die das Subjekt vor dem traumatischen Ansturm der realen Sinnesempfindungen schützen. Die phantasmatische Verfasstheit widerspricht also nicht etwa der Materialität des Schönen, sondern ist die nowendige Bedingung dafür, dass man die Materie (vermittelt) genießen kann." Die diversen historischen Performances des Schönen werden demnach als vergleichbar erklärt, da mit der Definition der Schönheit als Phantasma jede Schönheitsbeschreibung als Szenario eines Begehrens gelesen werden kann. Ein Begehren indes, das diskursiv eingehegt produziert wird und Ausdruck kulturell-historischer Formation ist.

Die Wirkmächtigkeit des Diskurses der ästhetischen Kategorien des Schönen und des ihr diametral gegenübergestellten Erhabenen wird von Trapp besonders in den Einschreibepraxen in den jeweils verknüpften Geschlechterkonzepten untersucht. Die Femininisierung des Schönen, bei synchroner Nichtakzeptanz des weiblichen Begehrens macht für ihn den gefährlichen Status für männliche Schönheit evident.

Drei Erscheinungsformen männlicher Schönheit gilt es für Trapp zu greifen: die auffällige Verweigerung bzw. das Fehlen männlicher Schönheit, die Opferrollenzuweisung bei Repräsentation maskuliner Ästhetik oder die Konstruktion des im Gewand des Schönen auftretenden Bösen, dem maskierten Schatten. Dabei gilt jedoch, dass Schönheit als flexibler Parameter begriffen wird, der sich als historisch-diskursiver formiert und demnach in differenzierten Textproduktionen/-rezeptionen manifest wird. Dabei wird eindringlich dargestellt, an welchen Orten der Geschichte markante Verschiebungen in der Diskussion des Schönen stattfanden. So muss man es dem Autor außerordentlich hoch anrechnen, dass es ihm gelungen ist, unter der Vielfalt der Textvarianten seinen Ausgangspunkt, die geschlechtlich einseitig strukturierte Begehrensökonomie und den ebenso binär zugeordneten Kategorien der Ästhetik in einer Zeitspanne seit der Renaissance, deutlich darzustellen. Obwohl offensichtlich ist, dass erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine wissenschaftlich-rationalistische Fundierung des weiblichen Charakters der Schönheit bemüht wird, zeigt Trapp die schon vor der konkreten Definition vorhandene Rhetorik der unilateralen Schönheitsmanifestation auf. So legt er frei, wie in Shakespeares "Venus and Adonis" das Grundmuster geschaffen wird für die Bestrafung des weiblichen Begehrens durch die Opferung des phantasmatischen Objekts, welches er auch später in Oscar Wildes "Salome" Interpretation wieder erkennt. Ein Bruch zur eher impliziten, frühneuzeitlichen Diskussion des Schönen wird markiert mit der dichotomen Durchdringung des Feldes durch Edmund Burke. Ihn und seine Erforschung des Erhabenen und des Schönen positioniert Trapp mit William Hogarth und Henry Fielding zu einer Trias des Umbruchs. Vor allem Burke ist die Differenzproduktion zum Erhabenen und Schönen nachzuweisen. Seine Konzeption des Schönen, die als sinnlich-materialisierte Immanenz des Weiblichen zu umreißen ist, wird kontrastiert mit der Transzendenz des Maskulinen und den Verweisen auf etwas Verborgenes, Dahinterliegendes. Trapp verfolgt mit großer Genauigkeit die Fährte der burkeschen Begrifflichkeiten bis in medizinische Texte, die sich der inhaltlichen Festschreibungen bedienen, um ihrerseits eine Überführung der philosophisch-ästhetischen Behauptungen ins naturwissenschaftliche Vokabular zu leisten. Überzeugend ist vor allem auch, wie Trapp sich immer wieder abhebt vom Determinismus, der Theorien wie jene von Laura Mulvey, die ja ähnliche Thesen über das Begehren am Kino expliziert, schwächt. Seine Versuche, neue Sehhilfen für klassische Texte wie Fieldings "Joseph Andrews", Wildes "Salome" oder Winckelmanns kunstgeschichtliche Essays zu entwickeln, gerät nie in Gefahr Eindimensionalität zu verordnen. Stets bemüht Verzerrungen zu vermeiden, deckt er Widersprüchlichkeiten im Denken seiner Studienobjekte auf, die sich großer Anstrengungen befleißigen mussten, um ihr theoretisches Raster, die hierarchische Blick- und Charakterökonomie, stringent zu vertreten.

Die vom Buch angebotene Lösung, die Verbesserung der Möglichkeiten für maskuline Schönheit und graduelle Aufhebung der Begehrenshierarchien mit wirtschaftlichen Argumentationen verständlich zu machen, wirkt indes etwas zu kurz gegriffen. Darüber hinaus lässt die eingehende Betrachtung der großen historischen Kontinuitäten die Darstellung der letzten 50 Jahre im Ganzen ein wenig gehetzt und vorschnell wirken. Jedoch kann dadurch der analytische Wert der vorangehenden Beobachtungen kaum geschmälert werden.

Titelbild

Wilhelm Trapp: Der schöne Mann. Zur Ästhetik eines unmöglichen Körpers.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2003.
198 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3503061673

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