Grau ist alle Theorie

Von Carsten Röslers "Medien-Theorien" geht keine Faszination aus

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Carsten Röslers Band ist als 14. "Einstieg" in die "Grundbegriffe der Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie" erschienen. Ein wissenschaftlicher "Einstieg" muss Verschiedenes leisten. Sicher soll wie im vorliegenden Buch die Begrifflichkeit geklärt sein und die Geschichte des Gegenstandes zumindest überblicksartig dargestellt werden. Rösler geht bis in die Antike zurück und zeigt stringent, dass Menschen schon immer die Wirkung des Mediums zu berechnen suchten. Der Hauptabschnitt des Buches dient dann freilich dazu, die neuere Geschichte der Erforschung der Massenmedien vorzustellen. Dabei werden die wichtigsten Theorien, die seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts vorgebracht wurden, recht übersichtlich auf knapp fünfzig Seiten referiert. Eine Überblickstabelle am Ende des Abschnitts verortet die einzelnen wirkungstheoretischen Theorien übersichtlich zwischen den Polen "Kommunikator, Medien, Quelle" und "Publikum, Rezipienten".

Die nächsten gut fünfzig Seiten tragen die Überschrift "Aktuelle Entwicklungen der Medienforschung". Es werden drei Modelle in verschiedenen Varianten vorgestellt: die "Wissenskluftforschung in den 1980er und 1990er Jahren", der "Nutzen und Belohnungsansatz" sowie das "dynamisch-transaktionelle Modell". Rösler schafft zwar ein gewisses Verständnis der jeweiligen Theorien auch bei nicht vorgebildeten Lesern, nützt aber überhaupt nicht die Gelegenheit, für diese höchst aktuellen Themen auch Interesse und Spannung zu erreichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser "Einstieg", wie etwa die Bücher von Pierre Bourdieu und John Fiske über das Fernsehen oder zuletzt auch Peter Huemers Bändchen "Warum das Fernsehen dümmer ist als das Radio" (alle drei Autoren fehlen übrigens im Literaturverzeichnis), Anfänger für den Gegenstand begeistern und Neugier aktivieren kann. Das hängt auch mit manchen Redundanzen zusammen, die teilweise dadurch entstehen, dass Zitate aus dem Englischen oft somewhat dull ins Deutsche paraphrasiert werden. Bei einem Buch, das in erster Linie wohl für Studieneinsteiger gedacht ist, scheint es mir nicht nötig zu sein, die englischsprachigen Belege zu übertragen.

Andererseits bietet das Buch wieder zu wenig Hilfen an. Es fehlt ein Index, der sehr nützlich wäre, da Theorien zum Teil in verschiedenem Zusammenhang mehrmals angesprochen werden; darüber hinaus ist es schade, dass das Literaturverzeichnis nicht gegliedert, geschweige denn kommentiert ist. Hier könnte eine Einführung bedeutend mehr Hilfestellung leisten.

Wer in dem Buch einen raschen Zugriff auf weniger theoretische Fragestellungen sucht und etwa konkret etwas über den Einfluss von Medien auf Aggressionsverhalten oder die Bedeutung von Bildern in der Werbung erfahren möchte, wird in dem Band "Medien-Wirkungen" nur insofern fündig, als vielleicht Studien erwähnt werden, in denen solche Fragestellungen angesprochen sind. Die Ergebnisse dieser Studien sind allerdings zumeist nur angedeutet und für die Leserin und den Leser von geringer Relevanz. Das Hauptaugenmerk Carsten Röslers liegt eindeutig darauf zu zeigen, dass sämtliche theoretischen Ansätze Schwachstellen aufweisen und so auch deren Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind. Leider droht auf diesem Weg auch noch das verloren zu gehen, was in den letzten hundert Jahren die Wissenschaft an Erkenntnissen vorzuweisen hat. Es ist unbedingt anzuerkennen (und auch einzufordern), dass Wissenschaft dazu beitragen möchte, dass die Grautöne wahrnehmbar werden. Leider geht in diesem Buch davon überhaupt keine Faszination aus.

Interessant wird das Einführungsbüchlein noch einmal im letzten (kurzen) Abschnitt unter der Überschrift "Wissenschaftstheoretische Verortung und Folgen". Rösler zeigt, dass das wissenschaftstheoretische Konzept des kritischen Rationalismus als alleinige Grundlage der Medienforschung unweigerlich an Problemen der Wirkungsforschung, wie etwa einer nach so langer Forschungsgeschichte immer noch fehlenden konsistenten Theorie, beteiligt ist. Als Zeugen der Kritik führt Rösler dabei vor allem Hergen Riedel und Gregor Halff an, dessen Fazit zitiert wird: "Wenn also die Medienforschung sich [...] aus ihrer Erkenntnisstagnation befreien soll, darf sie nicht länger auf dem kritischen Rationalismus basieren."

Zukunftweisende Anregungen in der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung, meint Rösler, seien vor allem bei Theodor W. Adorno zu finden. Zum Abschluss referiert er deshalb auch eine dialektische Vermittlungsfigur des Adorno-Fachmannes Jürgen Ritsert, die allerdings nur sehr formalistisch erklärt wird. Was die geforderte "verstehende Soziologie mit kritisch fundiertem metatheoretischen Ansatz, handlungs- und kulturtheoretischem Zugang sowie interpretativ-rekonstruktiven Methoden" wirklich bedeutet, wird, so fürchte ich, vielen Leserinnen und Lesern dieses Einstieges verborgen bleiben, vielleicht auch deshalb, weil sie nicht bis zur letzten Seite des Buches kommen.

Titelbild

Carsten Rösler: Medien-Wirkungen.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2004.
137 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3896916874

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