"Diese performative Aktion, einen Mann zu tun ..."

Thomas Meinecke über seinen neuen Roman "Musik"

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Meinecke, Autor, Mitglied der Band FSK und Radio-DJ, hat mit "Musik" soeben seinen vierten Roman vorgelegt. Zwei Ich-Erzähler, die Geschwister Karol und Kandis, kreisen darin um Fragen sexueller Identität, hören Popmusik, lesen und reden über das Gelesene. Die Schriftstellerin Kandis schreibt an einem Roman über historische Persönlichkeiten, die alle am gleichen Tag Geburtstag haben wie sie. Karol arbeitet als Flugbegleiter, und nebenher beschäftigt er sich mit Rekontextualisierungen in der US-amerikanischen Popmusik. Es ist ein typischer Meinecke'scher Roman: Aktuelle Debatten aus den Kulturwissenschaften werden bei ihm zusammengeschnitten, die Figuren geraten immer tiefer hinein in den Strudel des Wissenwollens, schweifen ab, verzetteln sich und genießen es, als frei schwebende Intellektuelle mitten ins Zentrum der Gegenwart zu gelangen. Meineckes Ton ist ironisch, manieriert, seine Sätze bilden endlos rhythmische Schleifen, mäandernd durch die unübersichtlichen Theoriegebäude des Gender- und Popmusikdiskurses.

Ulrich Rüdenauer: Herr Meinecke, wie würden Sie Ihren neuen Roman "Musik" im Kontext Ihrer bisherigen Bücher sehen?

Thomas Meinecke: Eigentlich steht das Buch in der Kontinuität dessen, was ich mir in den letzten beiden Romanen schon vorgenommen hatte. Vielleicht addiert sich hier einiges, oder es entstehen auch ein paar Synthesen. Ich habe das Gefühl, nochmals einen Rückgriff vollzogen zu haben auf das, was der vorletzte Roman ganz im Zentrum stehen hatte, nämlich das Verhältnis der Geschlechter. Diesmal habe ich etwas gemacht, was ich mir bei "Tomboy" noch nicht zugetraut hatte. Damals dachte ich, es sei verboten, dass man als Mann ein Buch schreibt, das auf feministischen Theorietexten beruht - und es dann aber auf die Männer anwendet. Darum war "Tomboy" auch weitgehend im weiblichen Milieu angesiedelt. Im nächsten Roman "Hellblau", in dem es sehr stark um den jüdischen Mann ging, der eben - als antisemitisches Stereotyp - "kein richtiger Mann ist", habe ich mir überlegt, was denn diese performative Aktion, "einen Mann zu tun", eigentlich ist. Im neuen Buch gibt es zwei Protagonisten, einen Mann und eine Frau, Geschwister, aber der Mann ist doch ziemlich zentral ins Bild gerückt.

Ulrich Rüdenauer: Musik ist die treibende Kraft und ein strukturgebendes Moment in Ihren Texten. Inwieweit spiegeln sich in der Popmusik für Sie gesellschaftliche Entwicklungen?

Thomas Meinecke: In der Popmusik ist ja gerade interessant, dass auch im Mainstream oder dem, was wir vielleicht sogar als angepasst empfinden, ganz supersubversive Diskurse virulent sein können. Ob das jetzt neuester R'n'B ist, den ich alle zehn Minuten auf MTV sehen kann und wo trotzdem quecksilberartige Modelle an Rollen ablaufen, die noch etwas ganz anderes thematisieren als in den Vocals transportiert wird. Oder ob es früher schon so etwas wie Disko sein konnte, das aus dem schwulen Untergrund gekommen war, dann zum Mainstream wurde und irgendwann wieder in den Untergrund abtauchte. Diese Rekontextualisierungen finde ich in der Popmusik immer schon am schnellsten. Daher kommen die Impulse.

Ulrich Rüdenauer: Kulturwissenschaftliche Diskurse sind das Fundament Ihrer Bücher. Wo liegt der Unterschied zu einem Essay oder zu wissenschaftlicher Prosa?

Thomas Meinecke: Das literarische Moment an meinen Texten besteht darin, dass ich in gewissem Sinne nicht verantwortlich bin - und L'art pour l'art sein darf und ich es eher experimentell anlegen kann. Ich muss selber noch nicht wissen, was unten rauskommen wird. 350 Seiten, die sich so über zwei Jahre erstrecken, bilden natürlich auch meinen eigenen Erkenntnisprozess ab, den ich schließlich auf meine Protagonisten verteile.

Ulrich Rüdenauer: Ihre Figuren finden zwar immer wieder Neues, finden aber nicht unbedingt etwas heraus. Sehen Sie Ihre Romane auch als Persiflage wissenschaftlichen Arbeitens?

Thomas Meinecke: Es stimmt, Fragen werden gesammelt und nicht unbedingt beantwortet in meinen Büchern. Das ist so, weil es mir selbst genauso geht. Es ist eine Art Akkumulation, es wird angehäuft. Es ist auch eine Art Tautologie. Aber ich will mich damit eigentlich nicht über diese Art zu denken oder zu forschen und zu suchen lustig machen, denn eigentlich ist es mein eigenes Leben, das so abläuft. Das ist eine Art Sammlertum, eine Art Nerdtum, aber nicht im Sinne eines Vollständigkeiten-Sammelns. Es geht darum, immer weiter zu sammeln und von jedem nur eins haben zu wollen. Es ist nicht akribisch, sondern es ist eher wildpitch, es geht querfeldein. Der Stilwillen zielt darauf, das zu bändigen und möglichst irgendwie im Zaum zu halten.

Ulrich Rüdenauer: Wie halten Sie das Gesammelte im Zaum?

Thomas Meinecke: Wie sich diese Materialien im Buch anreichern oder auch aufreihen, hat bei mir ganz stark etwas mit den Leseprozessen zu tun, die ich im Grunde nur verschriftliche. Das ist es auch, was schon die letzten beiden Romane angetrieben hat: lesen, verschriftlichen, den Lesenden mir eigentlich nur beim Schreiben über die Schulter gucken lassen. Dieses Schreiben will ich auch immer ausstellen als einen künstlichen Prozess. Die Leute sollen nicht hineingezogen werden in eine Geschichte. Natürlich kommt auch viel Unvorhersehbares von außen, nämlich die tägliche Zeitungslektüre, Nachrichten, neue Schallplatten, Filme. Es gibt einen Zufallsinput. Und einige Sachen muss ich ganz klassisch recherchieren. Im neuen Roman geht es stark um eine Welt, die ich nicht kannte, nämlich die der Flugbegleiter - einer der beiden Erzähler arbeitet bei einer Fluglinie. Ich musste Gewährsleute "beschaffen", die mir Einblick gewährten.

Ulrich Rüdenauer: Literatur, Literaturbetrieb und literarische Themen waren in Ihren bisherigen Büchern eher ausgespart. Das hat sich nun ein wenig geändert.

Thomas Meinecke: Das neue Buch ist ziemlich poetologisch angelegt. Eine der beiden Hauptfiguren, die Schwester des Flugbegleiters namens Karol, heißt Kandis und ist Schriftstellerin. Sie kann sich - das ist für mich sehr praktisch - mit poetologischen Fragestellungen auseinander setzen, die auch meine sind. Sie kann im Grunde genommen meine Positionen vertreten, gleichzeitig forscht sie aber auch nach dem so genannten weiblichen Schreiben.

Ulrich Rüdenauer: Sie sind Mitglied der Band FSK und Radio-DJ. In den letzten Jahren aber werden Sie verstärkt als Schriftsteller wahrgenommen. Hat sich auch in Ihrer eigenen Wahrnehmung etwas geändert?

Thomas Meinecke: Als ich in Interviews in den 80ern sagen sollte, wer oder was ich bin, ging es mir nicht leicht von den Lippen zu antworten: "Ich bin Musiker". Damals habe ich immer gesagt, ich sei Nicht-Musiker - im Sinne von Brian Eno, der von "treatments of instruments" gesprochen hat. Ich hatte immer das Gefühl, kein richtiger Musiker zu sein. Schriftsteller aber erst recht nicht. Es ist erst dieser Literaturbetrieb selbst, der mich darauf gebracht hat, dass es Spaß machen kann, sich in diesem Betrieb zu bewegen. Man kann sich ja auch als Dissident darin aufhalten, man kann auch im guten Sinne schlechte Laune verbreiten. Mir machen auch die ganzen kleinen Kulturkämpfe, die damit verbunden sind, Spaß - Stichwort Popliteratur. Jetzt sage ich halt in Interviews: Ich bin Schriftsteller und Musiker. Ich könnte auch "Nicht-Schriftsteller" sagen, das wäre vielleicht mal was.

Ulrich Rüdenauer: Eine Ihrer Figuren trägt nicht ganz zufällig den Taufnamen des Papstes: Karol. Überhaupt scheint der Katholizismus im neuen Roman ein wichtiges Motiv darzustellen.

Thomas Meinecke: Katholizismus ist für mich ein Faszinosum, das sich durch all meine Bücher zieht. Das geht schon bei "The Church of John F. Kennedy" los, wo ein afrokatholischer Spleen von mir forciert wurde. Man findet das auch bei Hubert Fichte, um einen seriösen Gewährsmann zu nennen. Dort wird der Katholizismus ebenfalls als sinnliches Getriebe gesehen - im Gegensatz zum Protestantismus, der immer bremst und ausbremst. Das Thema ist bei mir aber sehr popistisch gelagert. Katholizismus heißt für mich immer auch ganz stark: Madonna, Martin Scorsese, Andy Warhol, der vielleicht größte Katholik des 20. Jahrhunderts.

Ulrich Rüdenauer: Man könnte Ihren Büchern vorwerfen, dass sie sich auf rein theoretischer Ebene mit sozialen Problemen und Phänomenen beschäftigen - konkretes politisches Handeln aber gar nicht auftaucht.

Thomas Meinecke: Ich denke nach wie vor, dass sehr viel politisches, progressives Potenzial in theoretischen Überlegungen und auch Lektüren liegt, überhaupt in dem etwas anstrengenden, theoretisch wirkenden Diskurs. Ich weiß immer noch nicht, wie man sonst zurückkommen könnte zur politischen Wirklichkeit. Ich denke, das ist die politische Wirklichkeit. Die findet auf so einer reflexiven Ebene statt. Wir erleben ja auch jetzt gerade in den Nachrichten, wie problematisch das so genannte konkrete Soziale sich gestalten kann. Ich finde das gerade sehr kompliziert und brauche Lektüre, die meinen Blick schärft und auf das Strukturelle richtet.

Titelbild

Thomas Meinecke: Musik. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
371 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3518416383

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