Herrschaft und Dienst

Der Briefwechsel zwischen Stefan George und Friedrich Wolters

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"D. M. hat Ihren brief erhalten. - sagt Ihnen schönen dank dafür und wünscht Ihnen weiter gutes ergehen. Weitere nachrichten erreichen d. M. in Darmstadt."

Geht so ein Briefwechsel? D. M. steht für "der Meister", wie Stefan George sich ohne jede Scheu von seinen Anhängern titulieren ließ; diese Notiz ließ er 1918 einen anderen seiner Jünger verfassen, als Antwort auf einen anderthalb Druckseiten umfassenden Feldpostbrief, in dem sich Friedrich Wolters darüber beklagte, dass er auf seine letzten drei Nachrichten keine Reaktion erhalten habe. Herausgeber Michael Philipp zählt in seinem Nachwort 151 Briefe Wolters', denen 52 Briefe Georges und 49 solch häufig erniedrigende Bestellungen gegenüberstehen. Doch sind auch die Bemerkungen Georges in der Regel lakonisch und beziehen sich meist nur auf Reiseplanungen, soweit sie nicht Anweisungen zur Literaturpolitik des George-Kreises enthalten. Über weite Strecken ist die Korrespondenz ein Monolog Wolters'.

Sehr originell ist es nicht, was er zu schreiben hatte. Was ihm 1904 im frühesten erhaltenen Brief über Andrians "Der Garten der Erkenntnis" einfiel, ist recht trivial und wurde wohl auch keiner Antwort gewürdigt. Die Gedichte, die Wolters besonders in den ersten Jahren seiner Jüngerschaft dem "Meister" schickte und deren Hauptinhalt zum Teil das Lob Georges ist, sind von beschränktem literarischen Wert und wurden meist stillschweigend akzeptiert. Während des Ersten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren kam Wolters häufig auf Politik zu sprechen; innerhalb des George-Kreises nahm er eine extrem nationalistische Position ein und versuchte auch, die Kulturpolitik des Kreises entsprechend zu beeinflussen. Beim "Meister", der den Ersten Weltkrieg von Beginn an nicht als Erfüllung seiner Zukunftsvorstellungen sah, stieß er damit auf keine positive Resonanz. Andererseits findet sich in den Briefen nur wenig an Gegenargumentation; George formulierte seine Skepsis kurz, soweit er sie nicht überhaupt nur durch Dritte ausrichten ließ.

Die wichtigsten Briefe finden sich deshalb gegen Ende des Bandes. In den zwanziger Jahren kam es zu einer engeren Zusammenarbeit. Wolters führte nun den auf die Vorkriegszeit zurückgehenden Plan einer Geschichte des George-Kreises aus. Nicht nur, weil er die Gründungszeit nicht miterlebt hatte, sondern vor allem, weil das Buch die Sicht des "Meisters" wiedergeben sollte, erforderte dies ständige Rückfragen. Der größere Teil dieser Kooperation ist nicht zu erschließen: Wie schon in früheren Jahren, wohnte George über Wochen hinweg bei Wolters. Was sich in den Briefen findet, reicht jedoch aus, um den maßgeblichen Einfluss Georges auf "Stefan George und die Blätter für die Kunst" zu belegen.

Abgesehen von solchen Einblicken in die interne Kommunikation des "Staates", wie die George-Anhänger sich selbst bezeichneten, sind die Briefe gerade in ihrer Einseitigkeit als Psychogramm zweier Männer erhellend. Recht einfach zu verstehen ist dabei, welches Interesse George an diesem Kontakt hatte und wie er seine Macht ausübte. Für ihn war Wolters seit seiner Schrift über "Herrschaft und Dienst" von 1909 ein nützlicher Propagandist, und vor allem deshalb missfielen George dessen politische Ambitionen: "Mit meiner Zeit schreibt er patriotische Reden", soll er, wie Philipp in seiner Einleitung zitiert, geäußert haben. Lehrreich ist, wie er Wolters lenkte, der für jeden publizistischen Schritt die Erlaubnis des "Meisters" einholte. Nie verbot George etwas explizit. "Lieber Wolters: vor diesem verlag würd ich sehr warnen", hieß es höchstens, nachdem der Jünger angefragt hatte, ob er im Insel Verlag publizieren solle; später zum gleichen Verlag: "in der verlagsache würd ich abzulehnen raten". Ähnlich lautete es bei Entscheidungen zu Wolters' weiterem Leben. Dazu, ob er nach dem Ersten Weltkrieg eine Stelle an der deutschen Gesandtschaft in Bern annehmen soll, möchte er "gern den meisterlichen rat" hören. Die Antwort: "überlegen Sie sehr eine solche auswanderung! MICH brächte auch ein goldener Wagen jezt nicht fort. " Und noch der Ordinarius Wolters fragt, ob er zu einem Kongress nach Spanien fahren solle, ob der "Meister" an einer würdigen Vertretung Deutschlands Interesse habe: "Ist das nicht der fall so fällt für mich die sache hin." Wieder kein Befehl, der doch einer ist: "Wegen der spanischen Jahrmarktsbude des Rohan würd ich nicht streng abraten - dies jahr jedoch! denken Sie selber! - sehr Herzlich G". Das genügte.

Brauchbar war auch der Professor Wolters; nicht weil George von Wissenschaft viel gehalten hätte, sondern weil Wolters auf diese Weise für George jugendliche Anhänger finden konnte. Die besten, wie Max Kommerell, den Wolters in seiner Marburger Zeit gewann, wurden ihm bald entzogen und in die engste Umgebung des "Meisters" versetzt, so dass Wolters mehr als einmal klagt, von den Jüngsten gar nichts mehr zu hören. Und wenn doch, so waren es häufig Zurückweisungen: "Ferner teilt er [George] auf Ihre anfragen mit - dass sein befinden noch nicht so weit vorgerückt sei - um über geschäftliche dinge bereits einen entscheid fällen zu können. Ausserdem sei die sache für ihn von zu geringem belang als dass er ihretwegen angegangen zu werden brauche: Er bittet Sie - nach Ihrem gutdünken darin zu handeln".

So Kommerell als zwanzigjähriger Student zum etablierten Professor. Das Rätsel dieser Briefe ist Wolters. Er trat als Achtundzwanzigjähriger auf George zu - in einem Alter, in dem Kommerell sich nach einem katastrophischen Konflikt bereits wieder vom Kreis gelöst hatte. Was kann einen Erwachsenen zur schwärmerischen Anrede bewegen: "HERR und MEISTER, ich hob EUCH diesen kelch - Ich bitte nehmt ihn an", und zur Schlussformel: "HERR und MEISTER, ich bin EUCH in tiefer Ehrerbietung ergeben"? Allmählich wird zwar der Stil sachlicher, ohne je den Bereich distanzierter Ironie, der George in seinen Briefen auch zur Verfügung stand, zu erreichen, oder gar den Geschäftston, in dem die anderen Jünger die meisterlichen Anweisungen übermitteln. Doch bleiben stets Dienst und Unterwerfung. Wolters erscheint als schwache Persönlichkeit, die den Gehorsam braucht, weil sie zu eigener geistiger Existenz nicht in der Lage ist. Ganz in hierarchischem Denken befangen, erscheint sein Nationalismus nicht als die Abirrung, als die George ihn wohl sah, sondern als Konsequenz, als Aggression gegen das, was Wolters als das Unten wahrnahm: "Das getümmel von völkern und sprachen hier erscheint völlig sinnlos, untauglich ein eigenes gestaltetes leben hervorzubringen und nur auf die herren zu warten die wieder sinn setzen: nacken genug gibt es für die zukünftigen söhne um herrschaft darauf zu errichten", schrieb Wolters 1924 von einem Kuraufenthalt in Osteuropa.

Ein solcher Charakter wird mit wohldosierter Gunst am besten benutzt. George durchschaute vermutlich, wie er Herrschaft ausübte. Eine überlieferte Äußerung kurz nach dem Tod Wolters' 1930 bewegt sich auf der prekären Linie, die Einfühlung und Zynismus trennt: "einmal noch bei ihm in die allererste Reihe zu kommen, sei in den letzten Jahren der grösste Wunsch von Wolters gewesen - und dieser Wunsch sei ihm erfüllt worden. "

Die Briefedition hat Vor- wie Nachteile. Zu den Vorteilen zählt die kenntnisreiche Einleitung, die Wolters' politische Positionen nicht beschönigt und wichtige Informationen für die Lektüre bereitstellt; als "versöhnliche Note", wie Philipp meint, sollte man Georges Rückblick freilich nicht lesen. Die Kommentierung ist meist hilfreich, wenngleich nicht ohne Schwächen und zuweilen überladen. Wenn Wolters im Ersten Weltkrieg etwa über die "erz- und kohlengruben von Longwy und Mézieres" schreibt, wäre ein Hinweis auf die deutschen Kriegsziele hilfreich und nicht Philipps Angaben zur geografischen Lage der beiden Städtchen. Was mit den "Jugendbewegungen" der Jahrhundertwende gemeint ist, braucht man einem Interessenten für diesen Band wohl nicht zu erklären. Biografische Angaben sind zuweilen benutzerunfreundlich versteckt; vorgestellt werden Personen nämlich grundsätzlich, wenn sie das erste Mal in den Briefen erwähnt werden, nicht aber, wenn sie in Philipps Zwischentexten auftreten. So hilft auch das Personenregister nur bedingt, die rettende Anmerkung zu finden.

Die Textgestalt ist leserfreundlich bearbeitet. Manche Kürzel sind vom Herausgeber ausgeschrieben, was man bedauern mag, trat doch im Original anschaulicher hervor, wie kurz Wolters zuweilen abgefertigt wurde. Immerhin sind hier die Ergänzungen kenntlich gemacht. Zu weit geht, dass in Wolters Briefe Absätze eingefügt wurden, "um sie etwas übersichtlicher zu machen". Unterstreichungen in der Handschrift wurden gelegentlich, aber "nicht immer", im Druck durch Kapitälchen wiedergegeben; ein Kriterium dafür, was Philipp als hervorhebenswert befand, wird in der editorischen Nachbemerkung leider nicht angegeben. Dennoch bleibt die Edition im Ganzen brauchbar und erlaubt wertvolle Einblicke in die Kommunikationsformen von "Herrschaft und Dienst".

Titelbild

Stefan George / Friedrich Wolters: Briefwechsel 1904-1930. Mit einer Einleitung herausgegeben von Michael Philipp.
Castrum Peregrini Presse, Amsterdam 1998.
332 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 9060341015

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch