Ein Feuer, stärker als Gott

Denis Johnsons Novelle "Train Dream"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Robert Grainier war Tagelöhner im Nordwesten der USA, irgendwo in der Gegend von Washington, Idaho, Montana und Oregon, im Grenzgebiet zu Kanada. 1886 wurde er geboren, seine Eltern hat er nie kennen gelernt. Er arbeitete hart, vorwiegend im Wald, er schlug Bäume, half beim Brücken- und Gleisbau. Mit Anfang dreißig lernte der einfache, gottesfürchtige Mann eine Frau, Gladys, kennen. Er baute eine Hütte auf einem kleinen Stück Land, das Paar bekam ein Mädchen, Kate. Der Mann ging wieder in die Wälder, und als er zurückkam, war das Land, auf dem seine Hütte stand und auf dem seine Frau und sein Baby lebten, von einer furchtbaren Feuersbrunst zerstört worden. All das konnte Robert Grainier nicht verstehen, nicht fassen. Er durchlebte Jahre des Umherirrens, bis er schließlich auf eben jenem Land wieder eine Hütte baute und sich einen Wagen und zwei Pferde leisten konnte, um als kleiner Fuhrunternehmer seine Existenz bestreiten zu können. Lange Zeit verbrachte er mit einer ihm zugelaufenen Hündin, heulte abends oder nachts den Mond an (wie die Wölfe und Kojoten in den Wäldern ringsum) und hatte einmal eine Erscheinung seiner verstorbenen Frau Gladys. Schließlich ist noch ein weiteres Ereignis hervorzuheben: Ein Wolfsmädchen, eine Kreatur halb Kind, halb Tier, das sich auf allen Vieren fortbewegt, kam einmal an seiner Hütte vorbei. Er glaubte darin seine Tochter Kate wiederzuerkennen, verband ihr den Fuß, hielt sie aber nicht auf, als sie wieder ging. Er lebte "bis weit in die 1960er hinein und wurde über achtzig Jahre alt."

Wenn man die 112 Seiten umfassende Novelle "Train Dreams" von Denis Johnson gelesen hat, kann man nicht recht einordnen, was man da gelesen hat. Es ist eine Literatur, so zeitlos und rein, so eigenständig, dass man erst einmal eine Weile braucht, um das Gelesene aufzunehmen. Dann drängen sich nach und nach mögliche Vergleiche auf, William Faulkner (und speziell seine Erzählung "Monk"), die düsteren Visionen eines Cormac McCarthy (beispielsweise "Draußen im Dunkel" und "Verlorene"), Stewart O'Nans apokalyptischer Roman "Das Glück der anderen" oder das Alte Testament.

Dieser Text, der im Original in der Zeitschrift "The Paris Review" erschien, ist jenseits aller modischen Literatur, sein Protagonist so weit von anderen literarischen Figuren entfernt, die gewählte Region so wenig schillernd, dass man sich fragt, wie ein Autor einen solchen Stoff findet. Dazu ist es hilfreich, ein wenig über Denis Johnson zu erfahren, der, so "Die Welt", zur "Elite der US-Literatur" zählt. Denis Johnson sagt über sich selbst, dass es fast 20 Jahre her ist, dass er "das letzte Mal was genommen" hat. Er blickt auf eine lange Zeit als Trinker und Drogenkonsument zurück. Doch würde es zu kurz greifen, den medienscheuen Johnson als Drogenopfer zu zeigen, das dadurch zu seinen wüsten, düsteren Themen gekommen ist. Vielmehr ist es seine große Skepsis gegenüber der heiter schillernden Welt, die ihn in immer neuen Büchern zu literarischen Gegenentwürfen treibt. Seine Geschichten spielen fernab der teuren Boulevards, wo mediengerecht gestylte Zeitgeist-Vertreter ihr Blabla und ihr Geld ungefragt verteilen. Johnson zeigt das dunkle Amerika, das der Verlierer und Außenseiter.

Klar, dass man damit nicht zum beliebten Bestsellerautor wird, doch der selbst ernannte "Writers-Writer" sagt: "Mein Erfolg bei der Masse ist zwar eher gering, doch dafür darf ich die wahren Leser meine treusten Leser nennen, Schriftsteller, Verrückte, Seher, Ausgeflippte." Zu diesen Lesern zählen u. a. seine Kollegen Don DeLillo, Philip Roth, Robert Stone und Tobias Wolff.

Es ist eine große Freude, dass nach den Romanen "Schon tot", "Engel" und "Fiskadoro" sowie der Story-Sammlung "Jesus' Sohn" nun ein weiterer Text von Denis Johnson vorliegt. Dem Marebuchverlag sei Dank.

Titelbild

Denis Johnson: Train Dreams. Novelle.
Übersetzt aus dem Englischen von Bettina Arbabanell.
Mare Verlag, Hamburg 2004.
120 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3936384150

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