Ernst Jünger: Politik - Mythos - Kunst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wer sich selbst kommentiert, geht unter sein Niveau." Mit seinem bekannten Bonmot aus den Epigrammen zu "Blätter und Steine" (1934) hat Ernst Jünger die auch unter Autoren beobachtbare Neigung, nicht nur Zeugnis abzulegen bis zum Letzten, sondern auch das eigene Werk interpretierend zu deuten und gegebenenfalls zu rechtfertigen, frühzeitig für sich ausgeschlossen. Mit gutem Grund: Es kann nicht Aufgabe des Autors sein, den Lesern und Deutern seines Werkes vorzugreifen und ihnen die eigenen Lesarten zu präsentieren, und es darf seinen Zeitgenossen nicht einfallen, dem Autor bei der Kommentierung seines Œuvres den Primat zu geben.

Harro Segeberg, Beiträger des hier zu annoncierenden Buches, hat daher die beliebte Praxis, Interpretationen mithilfe von Autorentheorien abzustützen, für die Jünger-Philologie zurückgewiesen - und so wäre generell zu zeigen, dass der Tagungs-Band "Politik - Mythos - Kunst" nicht von Jünger-Jüngern erarbeitet wurde, sondern von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, die sich in kritischer Distanz zum Autor gegen eine "Affektübertragung" (Harald Weilnböck, Berlin) immunisiert haben.

Das internationale Ernst-Jünger-Symposium im November 2002, vom Herausgeber initiiert und von der DFG gefördert, führte Jünger-Spezialisten ebenso wie Wissenschaftler, die sich publizistisch noch nicht als Kenner seines Werkes ausgewiesen hatten, zusammen, um der Jünger-Forschung neue Impulse zu geben. Diese Mischung aus Bewährtem und Neuem führte zu dem vergleichsweise geschlossen wirkenden Ertrag der Tagung.

Michael Ansel (München) widmet sich den "literarischen Karrieren" Gottfried Benns und Ernst Jüngers, während Helmuth Kiesel (Heidelberg) einen anderen Vergleichsautor wählt, nämlich Brecht, um am Beispiel von moralischen Lehrstücken zu zeigen, wie unterschiedlich beide Autoren mit dem humanistischen Erbe umgehen. Beide Ansätze fügen sich ein in die Jünger-Forschung der 90er Jahre, die, wie Tom Kindt (Göttingen) und Hans-Harald Müller (Hamburg) ausführen, unter dem Leitbegriff einer "kalten Moderne" Jüngers "unheimliche Nachbarschaft" mit avantgardistischen Autoren der Zwischenkriegszeit entdeckt hat. Wie Kai Köhler (Seoul) ausführt, reflektierte der Autor sein eigenes Verhalten in der Zwischenkriegszeit und im 'Dritten Reich' weder umfassend noch konsistent, und noch "Heliopolis" kann, wie Hans Krah (Passau) ausführt, als "aporetisch-komplexitätsreduzierende Utopie" erwiesen werden.

Der Fiktionalisierung tradierter Muster widmen sich Volker Mergenthaler (Tübingen) am Beispiel von Jüngers Erzählung "Afrikanische Spiele" (1936), Claus-Michael Ort hinsichtlich der Erzählung "Die Eberjagd" (1952 und 1960) und Danièle Beltran-Vidal (Lyon) mit Blick auf Jüngers Roman "Die Zwille" (1973), während Helmut Mottel (Dresden) die Selbstbegegnung im eigenen Werk, wie am Beispiel von Jüngers Nachwort (1980) zu seinem Essay "Die totale Mobilmachung" (1931), erläutert.

Sieht man von seiner politischen Publizistik ab, die Jünger nicht in seine Werkausgaben aufnahm, so vollzog der Autor keine demonstrative Abkehr von seinem kämpferischen Frühwerk, sondern ließ in seinen Mitteln ebenso wie in seinen Motiven eine erstaunliche Kontinuität erkennen. Ihm stand, wie Rotraut Fischer (Darmstadt) zeigen kann, immer beides zu Gebote, Feder und Schwert, wobei es sein Bestreben war, die in der Zwischenkriegszeit und in der politischen Publizistik gewonnenen Denkfiguren später auf anderen Feldern zu erproben. Steffen Martus (Berlin) spricht von einer "Ästhetisierung des Politischen", Gerhart Pickerodt (Marburg) von einer permanenten "Suchbewegung" der "Annäherungen" (1970), die, wie Ulrich Baron (Hamburg) bekräftigt, Ausdruck einer Lebenskunst sind, die sich auch diachron in dieser "Ausnahmebiographie" demonstrieren lässt.

Schwerpunktverschiebungen konstatieren Thomas Gloning (Marburg), der die Wortschatzentwicklung vom frühen Jünger der "Stahlgewitter" über den Reisetagebuchautor der 50er Jahre ("Am Sarazenenturm") bis hin zu "Siebzig verweht" untersucht, um den Verfasser als "Spiegel öffentlicher Themen seines Jahrhunderts" zu erweisen, Christina Ujma (Loughborough), die den Weg Jüngers "vom Krieger zum Reisenden" nachzeichnet und Ulrich Fröschle, der am Beispiel des Konzepts vom "politischen Dichter" zeigt, wie sich Jüngers frühe Orientierung an einer Schriftstellerexistenz mit einem "kulturrevolutionären Programm" verknüpfen ließ.

Während der Dichter-Krieger seine tiefe Sympathie für die Romania und den mediterranen Raum bekundet, bleiben ihm Amerika und die amerikanische Kultur fremd, wie Sven-Olaf Berggötz (Bonn) darstellt. Bild- und Textspuren in Kunst und Film verfolgen Lothar Bluhm (Oulu), Reinhard Wilczek (Essen) und Rainer Zuch (Marburg). Die von Jünger mit "Stereoskopie" bezeichnete optische Kodierung von Wahrnehmung findet in Film und Kunst Entsprechungen, deren Ikonografie auf Jünger zurückgewirkt hat. Wie sehr Jüngers Werk auf die Bildmedien referiert, führt Karl Prümm (Marburg) in seinem Beitrag über Jünger als Medientheoretiker aus, sich hier mit Harro Segeberg treffend, der weniger die Aktualität als die Modernität des Zeitdiagnostikers und Medientheoretikers Jünger herausarbeitet.

Marianne Wünsch (Kiel) rekonstruiert schließlich anhand von Jüngers "Der Arbeiter" (1932) das "lebensideologische Denkmodell" der Frühen Moderne, während Stefanie Arend (Erlangen) für den frühen Jünger einen "integralen Nationalismus" ebenso wie einen "integralen Ästhetizismus" konstatiert.

L. H.

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Titelbild

Lutz Hagestedt (Hg.): Ernst Jünger. Politik - Mythos - Kunst.
De Gruyter, Berlin und New York 2004.
524 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3110180936

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