Umherschweifende Videoproduzenten

Der Postfordismus im Spiegel der Neuen Medien

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maurizio Lazzarato war es, der die Subjektwerdungen in postfordistischer Arbeitsorganisation als neuen autoritären Diskurs analysierte und die Abkehr von tayloristischen Strukturprinzipien zum partizipativen Management als Machttechnik zur Produktion und Kontrolle aktiver Subjekte interpretierte. Anstatt einfache Kommandos in steilen Hierarchien befolgen zu müssen, wird nunmehr das Kommunikations-, Kooperations- und Koordinationsdiktat verhängt. "Man muß sich ausdrücken und sich äußern, man muß kommunizieren und kooperieren. Der 'Ton' ist derselbe geblieben, wie er unter dem tayloristischen Kommando vorherrschte, es hat sich lediglich der 'Inhalt' verändert". Selbstkontrolle und Selbstverantwortung sind die Substitute des Kommandos, die sich in das Subjekt und die Kommunikation selbst einlagern. Unter dem Begriff der immateriellen Arbeit fasste Lazzarato die neuen Netzwerkarbeiter zusammen, die für die Synthese intellektueller, handwerklicher und unternehmerischer Anforderungen stehen und ein metropolitanes, intellektuelles Proletariat ausbilden. Wie es auch die Theorie vom Arbeitskraftunternehmer will, versteht sich die postindustrielle Ökonomie nicht länger auf die Unterscheidung zwischen freier Zeit und Arbeitszeit. Das Leben fällt mit der Arbeit in eins.

In einem Aufsatz zur immateriellen Arbeit beschreibt der Autor künstlerisch-kulturelle Betätigungen auch und vor allem in den Bereichen audiovisueller Medien, Fotografie usw. als paradigmatisch für diesen neuen Typ der Unterwerfung der lebendigen Arbeit. Es ist nunmehr die affektive, sprachliche, kulturelle Kraft - das und somit das gesamte Lebendige - warenförmig wird.

Maurizio Lazzarato setzt sich in seiner Abhandlung zur Zeitwahrnehmung im Postfordismus mit Medien wie Kino, Video und Fernsehen auseinander, wobei sich die zentrale Analyse - ausgehend von Tausend Plateaus - mit einer neuen Funktion von Medien/Fernsehen befasst. Anders als Althusser, der in seinem berühmten Aufsatz "Ideologie und ideologische Staatsapparate" annahm, dass kollektive Einrichtungen wie eben Medien und digitale Netzwerke Dispositive der Reproduktion der Ideologie seien, geht Lazzarato mit Guattari von einer Reproduktion der Produktionsmittel und -beziehungen in diesen Medien aus. Schafft es der zeitgenössische Kapitalismus, nicht nur die Arbeit bzw. Arbeitszeit auszubeuten, sondern die komplette Gesellschaft bzw. Lebenszeit, wenn er es also schafft, biomächtig zu wirken, ist der Begriff des kapitalistischen Unternehmens um die Gemeinschaftseinrichtungen, um die staatlichen Institutionen, die medialen Apparate, die Arbeitsplätze und die Mehrzahl der nicht bezahlten Aktivitäten zu erweitern.

"In gewisser Weise nimmt die Konsument/in im Supermarkt einen Arbeitsplatz ein, die Fernsehzuschauer/in vor ihrem Schirm", wie es Felix Guattari formulierte. Die Bevölkerung wird in der Form nur noch als natürliche Ressource der Informationsökonomie konzipiert, indem die Produktion von Wert nicht in der Ware verortet wird, sondern in der Beziehung zum Kunden. Jeder schafft in diesem Sinne unabhängig von irgendeiner Arbeit einen Mehrwert, denn die Informationsökonomie eignet sich, einem Aufnahmegerät gleich, die Produktion der Beziehungen, der Affekte, der Subjektivitäten an, die die Gesellschaft unabhängig von ihm erzeugt.

Die Machttechnik der Zeitproduktion erläutert Lazzarato in einem weiteren Essay mit einer Verbindung von Michail Bachtins Theorie zur Funktion der Zeit in der Literatur und Walter Benjamin. Wo Bachtin der bürgerlichen klassisch hochkulturellen Literatur nachweist, die zeitgenössische Wirklichkeit, die niedere, fließende Gegenwart zu meiden, und stattdessen eine Vergangenheit zu idealisieren, die die Ausdrücke der herrschenden Kraft und Wahrheit in Kategorien der Distanz, der Vergangenheit und des Gedächtnisses wandet, stellt Benajmin die moderne Kunst mit ihrer auf die offene, unbestimmte, unvollständige, herangeholte, also undistanzierte Zukunft gerichtete Gegenwart in den Vordergrund. Das Heranholen der Dinge entdeckte Benjamin ebenso in der Rezeption der Massen als Vergnügen und Unterhaltung. Die Formen von Zeitlichkeit einer Gesellschaft, in diesem Fall differenziert in bewahrende Zeitlichkeit und schöpferische Gegenwart, sind - ob manifest in Literatur, Kino oder Video - Gegenstand von sozialen Zweckbestimmtheiten und Indikatoren für Konstitutionen von Gesellschaft. Wenn es heute nicht-kapitalistische Zeitlichkeiten, deren Koexistenz zur Zeit des Kapitals lange die Stabilität des Systems mitgetragen hat, nicht mehr gibt, sind tatsächlich Technologien, die, wie Lazzarato sie nennt, als Zeitkristallationsmaschinen operieren und damit eben diese Zeitlichkeit strukturieren, in inniger Verbindung zum gegenwärtigen Zustand des Kapitalismus zu betrachten.

Und wenn, wie Guy Debord formulierte, die Kultur die Rolle des Motors der ökonomischen Entwicklung zu erfüllen hat, wie sie einst von der Automobilindustrie und der Eisenbahn in vergangenen Zeiten erfüllt wurde, gilt dies natürlich genauso für die dort vorzufindenden Arbeitsorganisationen sowie für die Subjektivierungsstrategien der Kulturarbeit. Das von diesem etwaigen Schrittmachersegment ausgehende Implikationsnetz zu verstehen, das sich über die Gesellschaft legt und alle Bereiche erfasst, ist mit der vorliegenden Arbeit einfacher geworden. Und mit dem Verständnis ist auch das Ziel Lazzaratos klar vermittelt, eine Kritik der Informationsökonomie und ihrer kapitalistischen Wertschöpfung zu formulieren.

Titelbild

Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus.
B. Books, Berlin 2002.
190 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3933557232

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