Die Witwe gegen den Verlag

Um das Erbe des vor einem Jahr verstorbenen Politologen Johannes Agnoli gibt es einen bizarren Streit

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Agnoli macht Ärger. Barbara Agnoli, die Witwe des im Mai 2003 in Italien verstorbenen Politologen Johannes Agnoli, sieht das Andenken ihres Mannes beschädigt. Als Verursacher der Beschädigung hat sie den Freiburger ça-ira-Verlag ausgemacht, in dem Agnolis "Gesammelte Werke" erscheinen.

"Mein Mann gehört in diesen Kontext nicht hinein", sagt die Witwe. Der Verlag hingegen teilt mit: "Kaum war der Autor, unser Freund und Genosse, tot, da hatte die Witwe das Sagen und das Kommando."

Frau Agnoli geht es konkret um das im Oktober 2003 von Stephan Grigat herausgegebene Buch "Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weg zum demokratischen Faschismus". Es enthält einen der letzten Vorträge Agnolis, den er im Jahr 2001 in Wien hielt. Frau Agnoli sagt, der Text sei "ohne Agnolis Genehmigung publiziert" worden und gibt als Argument an: "Für eine derartige Veröffentlichung hätte er niemals seine Zustimmung gegeben."

Barbara Agnoli habe gar von "Raub" und "Betrug", von "Leichenfledderei" und "politischer Instrumentalisierung" durch so genannte Antideutsche gesprochen, heißt es in der Erklärung des Verlags.

"Johannes Agnoli war kein 'Antideutscher'", lässt seine Witwe in einer öffentlichen Erklärung zu dem Sammelband von Grigat wissen. "Hätte er all diese (und andere) von 'Antideutschen' verfassten Texte gelesen, wäre ihm gegenüber dieser geballten Unvernunft das 'Gruseln' gekommen - oder er hätte Hegels Satz über das 'in der Vorstellung bleibende Bewusstsein' zitiert."

Frau Agnoli zog vor das Berliner Landgericht und beantragte, den Vertrieb des Buches zu untersagen. Einen Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung zog sie inzwischen zurück, die Hauptverhandlung folgt allerdings noch.

Bei ungünstigem Ausgang, so rechnet man bei ça ira, könnte das "vier bis fünftausend Euro kosten", sagt Verlagsmitarbeiter Manfred Dahlmann. Für den kleinen Verlag wäre dies ein harter finanzieller Schlag. Allerdings gehen Dahlmann und seine Kollegen nicht davon aus, dass Frau Agnoli mit ihrem Anliegen durchkommt. Sie versuche, heißt es in der Presseerklärung des Verlages, "das, was sie nicht beweisen kann, in solchen für ihre journalistische Qualität bekannten Medien wie linkeseite oder indymedia glaubhaft zu machen. Sie verlegt sich aufs Politische, in der Hoffnung, dem ça-ira-Verlag an den Karren fahren und ihn in jeder Hinsicht schädigen zu können."

Juristisch wirft Frau Agnoli dem Verlag vor: Bereicherung zu Ungunsten des Autors bzw. der Witwe, mangelndes Engagement bei der Verbreitung seiner Schriften und vor allem die politische Instrumentalisierung seines Werks für die Belange der "Antideutschen". Der ça-ira-Verlag steht der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) nahe, die diesem Spektrum zugeordnet wird.

Mit solchen "prozionistischen Grüppchen" wolle Frau Agnoli nichts zu tun haben, heißt es beim Verlag, weswegen sie nichts unversucht lasse, um "uns fertig zu machen". So habe sie es einmal in einem Drohanruf ausgedrückt, sagt Dahlmann. Frau Agnoli entwickle eine "unglaubliche Energie" und habe Dahlmann telefonisch sogar zu verstehen gegeben, sie betrachte ihr Vorgehen als eine Art "Sport". An einem einzigen Tag habe sie 18 Mal einen seiner Mitarbeiter angerufen und zusätzlich den Anrufbeantworter vollgesprochen. Der Anwalt des Verlages habe Frau Agnoli mit einer Klage gedroht, wenn sie solche Telefonaktionen wiederhole. "Danach ist es ruhiger geworden", sagt Dahlmann. "Gestern waren es nur drei, vier Anrufe hier im Verlag."

Frau Agnoli bestreitet diese Darstellung energisch: "Das ist überhaupt nicht wahr, davon habe ich jedenfalls noch nichts gehört." Überhaupt sei vom ça-ira-Verlag auf ihre Vorwürfe noch nichts Seriöses geantwortet worden. "Die erzählen so viel Märchen, das gibt's überhaupt nicht nochmal. Von morgens bis abends erzählen die Märchen, machen die reinste Schlammschlacht gegen mich. Die haben eine Phantasie, das geht auf keine Kuhhaut."

Bei ça ira erklärt man sich die Wut von Frau Agnoli mit persönlichen Konflikten, die auf ein vom Verlag einst abgelehntes Manuskript der Witwe zurückgingen. Deswegen habe man auch zunächst davon abgesehen, den Streit öffentlich zu machen. Mittlerweile habe es Agnoli jedoch ihrerseits geschafft, ein größeres Presseecho zu erzeugen, schätzt der Verlag ein, daher reagiere man nun auch öffentlich.

Tatsächlich nutzten das Neue Deutschland und die Frankfurter Rundschau die Gelegenheit, sich in der Debatte kritisch über ça ira zu äußern. Velten Schäfer höhnte in der FR über "so genannte Antideutsche, die mit einem Schlenker über die Kritische Theorie zu Freunden einer militärischen Zivilisierungskampagne gegen den 'islamischen Faschismus' geworden sind". Schäfer ergreift die Partei Barbara Agnolis, die ihrerseits betont, ihr Mann habe sich stets kritisch gegenüber dem letzten Irakkrieg positioniert. Schäfer orakelt in seinem Artikel, ça ira könne jetzt sein "Zugpferd" Agnoli verlieren. Darauf reagiert man bei ça ira spöttisch. Man brauche kein Zugpferd, "wir sind nämlich motorisiert".

Seit 1990 gibt ça ira die "Gesammelten Werke" von Johannes Agnoli heraus, und Verlag und Autor arbeiteten eng zusammen. Als Johannes Agnoli vor einem Jahr starb, schrieb sein Verleger Dahlmann in einem Nachruf, Agnoli habe die "seltene Gabe" besessen, "jeden Phrasendrescher sofort zu durchschauen".

Dass man bei ça ira das Werk ihres Mannes verstanden hätte, findet Frau Agnoli nicht. Ihm sei es "um das differenzierte Begreifen der Formveränderung" gegangen, heißt es in ihrer Erklärung, "und nicht um eine plakative Etikettierung der Gegenwart als 'Faschismus', 'Postfaschismus' oder gar 'Postnazismus'".

Bei ça ira ist man sich hingegen sicher, dass Agnolis analytisches Werk gut ins Verlagsprogramm passt. Sein mit einem Essay von Peter Brückner erschienenes Werk "Transformation der Demokratie" gilt bis heute als Standardwerk linker Demokratiekritik. 1967 erschien es zunächst im Berliner Voltaire Verlag, später bei der Europäischen Verlagsanstalt, und war bis in die frühen achtziger Jahre hinein gut lieferbar.

1990, als sich ça ira des Buches annahm, konnte es nur noch in einer Auflage von 3.000 Exemplaren nachgedruckt werden. Mittlerweile liegen Agnolis »Gesammelte Werke« in sechs Bänden vor, und dass er mit der Betreuung seines Werkes durch den Freiburger Kleinverlag unzufrieden gewesen wäre, ist nie laut geworden.

Tatsächlich ist in dem skurrilen Streit für Außenstehende nur schwer erkennbar, wo Agnolis Werk von dem Verlag, der ihn so lange unterstützt hat, neuerdings Schaden zugefügt worden sein soll. In seinem Vorwort zu dem von der Witwe angegriffenen Sammelband schreibt der Herausgeber Grigat, Agnoli habe früh zu "auch heute noch relevanten Auseinandersetzungen mit Postfaschismus und Postnazismus" Stellung bezogen. Grigat stellt Agnoli damit an die Seite Theodor W. Adornos. Wie treffend der Vergleich auch immer sein mag: In schlechter Gesellschaft ist der Autor innerhalb einer solchen Einordnung wohl kaum. Von einer Vereinnahmung ist in dem inkriminierten Band ohnedies nichts zu erkennen. Grigat betont ausdrücklich, dass die im Buch versammelten Autoren "keineswegs einem einheitlichen Spektrum" zuzuordnen seien, "was nicht zuletzt in den unterschiedlichen Akzentsetzungen der Beiträge zu merken ist".

Barbara Agnoli hingegen sieht das anders. "Ingesamt gesehen", fasst sie ihre Kritik an Grigats Buch zusammen, "zeugt das alles von Dummheit und Fanatismus. Agnoli war weder dumm noch Fanatiker." Dem letzten Satz stimmt man bei ça ira auch zu.