Rasante Fahrt durchs Jammertal

In Kathrin Schrockes Kinderbuchdebüt gibt Fernfahrerin Olle Lolle richtig Gas

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Heiliger Blechschaden!" Als die resolute Lastwagenfahrerin Lolita Lolle - kurz Olle Lolle genannt - an einem Sonntagnachmittag in das bis dahin ruhige Leben der Familie Olle im Erbsenzählerweg 99 bricht, geht so einiges durcheinander. Nicht nur, dass Lolles gewaltiger Sattelschlepper den gepflegten Vorgarten völlig verwüstet und sich im Lkw eine ganze Ladung von Kinder-Albträumen, die entsorgt werden müssen, findet. Kaum betritt Lolle das Wohnzimmer der Olles, packen die Eltern kurzerhand die Koffer und machen sich auf zu einem Urlaub nach Bora-Bora. "Tante Lolle wird netterweise auf euch Acht geben", erklärt der Vater den verdutzten Zwillingen Anna und Hannes lapidar, und Olle Lolle schnappt nur entsetzt nach Luft: "Tante?"

Es ist ein rasanter Einstieg, den Kathrin Schrocke in ihrem ersten Kinderbuch "Lolle und die furchtlosen Zwillinge" hinlegt. Und auch auf den folgenden 154 Seiten gibt die 29-jährige Jungautorin, die zuvor in der Presseabteilung eines Verlages gearbeitet hat, mächtig Gas. Denn natürlich fällt es der Fernfahrerin Lolle nicht im Traum ein, bei Olles im Erbsenzählerweg Däumchen zu drehen. Sie muss schließlich ihre Ladung Albträume abliefern - und zwar im Jammertal. Und weil sie die beiden Kinder nicht allein zurücklassen kann, nimmt sie sie mit - Abenteuer garantiert.

Sicher, das alles ist nicht unbedingt neu. In den 80ern knallte bekanntlich ein Außerirdischer vom Planeten Melmac auf das Garagendach der amerikanischen Durchschnitts-Familie Tanner. Oder ein sommersprossiges Sams taucht urplötzlich beim sehr korrekten Herrn Taschenbier auf. Und nicht zuletzt erinnert das "Leben nach Plan", das die Olles führen, auch an die zwanghafte Normalität gewisser Dursleys im Ligusterweg Nr. 4. Überall bringt ein unvorhergesehenes Ereignis die heile Welt völlig aus dem Gleichgewicht, sind Abenteuer zu bestehen - und nichts ist wie vorher.

So auch bei "Lolle und die furchtlosen Zwillinge". Doch gefallen die pfiffigen Ideen und Details, mit denen Schrocke die Reise durchs Jammertal ausschmückt. So kann die hiesige Radiostation gar nicht anders als Schluchzwelle heißen, ist eine gewisse Hermine Hasenfuß die mutigste Person im ganzen Tal und verlegt sich dort die "launische Autobahn" ganz einfach selbst immer wieder neu.

Weniger stimmig sind hingegen die Figuren geraten. So schön der Entwurf von Olle Lolle - äußerlich einer Art Klementine aus der Waschmittel-Werbung der 80er in Fernfahrerkluft - gedacht ist: ganz überzeugend angelegt ist die Truckerin nicht. Unterhält sie sich auf den ersten Seiten mit den Zwillingen stolz über ihren Lkw und schnauzt die beiden munter an, wird im zweiten Kapitel plötzlich erklärt, Olle Lolle fürchte sich vor Kindern. Ähnliche Unstimmigkeiten finden sich später im Verhalten der Zwillinge.

Letztlich hätte die Autorin hier besser inhaltlich gestalten denn behaupten müssen. Auch die etwas beliebig eingestreuten Passagen, in denen die jungen Leser von der Erzählerin direkt angesprochen werden, wirken eher deplatziert und oberlehrerhaft. Dass Kathrin Schrocke diesen Ton eigentlich nicht nötig hat, beweisen einige gelungene, temporeiche Kapitel der Geschichte. Davon würde man gerne mehr lesen. Wie übrigens auch die Zeichnungen sehr gefallen - die junge Illustratorin Marion Elitez hat die Figuren und Szenen perfekt umgesetzt.

Am Ende, zurück im Erbsenzählerweg, bleibt den Zwillingen Anna und Hannes nur die Erinnerung an all die Abenteuer im Jammertal. Olle Lolle macht sich wieder alleine auf die Reise - und freut sich allerdings schon "gewaltig auf das nächste Abenteuer mit Anna und Hannes". Na also, wenn das mal keine Fortsetzung gibt.

Titelbild

Kathrin Schrocke: Lolle und die furchtlosen Zwillinge.
Illustriert von Marion Elitez.
Loewe Verlag, Bindlach 2004.
155 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3785551703

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