Die Geschichte der "Unendlichen Geschichte"

Ralf Isau überzeugt mit seiner Legende von Phántasien

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden." Welcher Leser der "Unendlichen Geschichte" hat diesen Satz nicht schon verwünscht? Wer hätte schließlich nicht gerne erfahren, welches Schicksal den Felsenbeißer Pjörnrachzarck, das Irrlicht Blubb oder auch den Zentauren Caíron in Phántasien erwartet? Aber stets blieb es bei der Ankündigung einer "anderen Geschichte", die von Michael Ende nicht eingelöst wurde. Es ist deshalb eine wunderbare Idee des Verlags Droemer, die "Legenden von Phantásien" doch noch erzählen zu lassen. Eine neue Generation von Autoren versucht - so die Presseinformation -, die weißen Flecken auf der Landkarte jenes fernen Landes zu erkunden. Tanja Kinkel, Ulrike Schweikert, Wolfram Fleischhauer und Peter Freund gehören zu diesen Autoren; ebenso Ralf Isau.

Der 39-Jährige, zu dessen bekanntesten Werken die Tetralogie "Der Kreis der Dämmerung" gehört, erfindet jedoch, anders als seine Kollegen, nicht die Geschichte einer der Gestalten und Nebenfiguren Phántasiens. Ralf Isau erschafft vielmehr die Geschichte der "Unendlichen Geschichte". Er erzählt in "Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz", wie der Bibliothekar Karl Konrad Koreander in den Besitz des Buches gerät, das später ein Junge namens Bastian Balthasar Bux aus seinem Laden stehlen wird - und diese Geschichte ist beileibe nicht weniger spannend und nicht weniger fantastisch als das Original!

Zum Inhalt: Es sind finstere Zeiten, als der bücherbegeisterte, doch schüchterne und zögerliche Karl Konrad Koreander sich im Antiquariat von Thaddäus Tillmann Trutz auf eine Anzeige hin als dessen Nachfolger bewirbt. Buchhändler kann in diesen Jahren ein gefährlicher Beruf sein. Die Bibliothek von Thaddäus Tillmann Trutz enthält aber zur Überraschung des jungen Mannes nicht nur Bücher, die die Machthaber lieber auf dem Scheiterhaufen wissen würden. Sondern sie birgt auch einen weiteren riesigen Schatz: ungeschriebene Bücher, vergessene Werke - und überdies wächst die Sektion der verbrannten Bücher immer mehr ... Bevor Karl Konrad Koreander jedoch Antworten auf all seine Fragen erhält und die Geschäftsübergabe abgeschlossen werden kann, verschwindet Trutz plötzlich. Koreander macht sich auf die Suche nach dem Antiquar - und landet mitten in Phántasien, wo er zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat. Der Leser stößt dabei nicht nur auf alte Bekannte wie den Schwarz-Zentaur Caíron, die Kindliche Kaiserin oder die böse Xayide, sondern lernt auch viele neue Wesen kennen. Das Drachenmädchen Outopia mit ihrer "Fuchur", einem Prototyp-Nachbau eines Glücksdrachen, zählt ebenso dazu wie die Wolkenburg, Luftikusse (die endlos über Belanglosigkeiten reden können) oder auch Hallúzinas "Haus der Erwartungen". Kein Zweifel: Phántasien ist um einige wunderbare Geschöpfe reicher geworden.

Ralf Isau legt dabei nicht nur eine stimmige, gelungene Geschichte vor, in der er die scheinbar harmlose "Fantasy" unaufdringlich und geschickt mit politischen Spitzen auflädt. Er legt auch den Grundstein für weitere Legenden, beispielsweise den Waldschrat Amneme betreffend. Wie dieser auf erstaunliche Weise in die Alte Kaiser Stadt gelangt, führt Isau nicht aus. Denn, das hat er von Michael Ende gelernt, "das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden."

Titelbild

Ralf Isau: Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz. Die Legenden von Phantásien.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2003.
448 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3426196425

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch