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Rebecca Swan schießt die Transgender ab

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Judith Butler das "Unbehagen" der Geschlechter und der gesellschaftlich regulierten Identifikationssysteme analysierte, wurde der mehrdeutig geschlechtliche Körper von Theoretikern, Künstlern und Aktivisten als Einschreibfläche für Subversion und Widerstand benutzt. Transgeschlechtliche Identitätsfindung und die Vielfalt körperlicher Verwandlungen erinnerten uns daran, dass die so genannten natürlichen Geschlechter hochgradig performative und vorgeschriebene Repertoires sind, die sich über die Signaturen der Uneindeutigkeit, des Verschwimmens und Verwischens nonchalant hinwegsetzen.

Die theoretische Entlarvung einer repressiven Geschlechterpolitik ist eine Sache, eine andere die tatsächliche Lockerung oder gar erfolgreiche Unterwanderung. Geschlechternormen und die daraus entspringenden Persönlichkeitsbarrieren erweisen sich oft als hartnäckig und wandlungsresistent. In den Erfahrungsberichten von Rebecca Swans "Assume nothing" ist viel über den Preis zu erfahren, den die Betroffenen für ihren mühsamen Selbstfindungsprozess entrichten müssen. Der Weg bis zum befreiten 'Ausleben' der eigenen Geschlechternuancen ist oft lang und steinig.

Da ist zum einen die unbestreitbare Tatsache, dass transidentische Menschen ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht zumeist selbst nicht als "durchlässig" beschreiben, sondern ihre Aktivitäten im Gegenteil auf eine bestimmte, männliche oder weibliche Genderidentität lenken. Da sind zum anderen die inneren und äußeren Qualen, die viele Transgender erdulden: Geschichten von inneren Beschädigungen, Verwirrung, Scham, wie sie gesellschaftliche Ächtung, geschlechtsangleichende Operationen und Hormonbehandlungen mit sich bringen. "Der rosige Optimismus einer einfachen Narration von Fortschritt und Befreiung", schreibt Judith Halberstam in ihrem klugen Vorwort, "wird der außergewöhnlich robusten Kraft der binären Geschlechterkonzepte und der stabilen Geschlechterrollen in einer männlich dominierten Welt nicht gerecht."

Aber genau diese Rückkopplungseffekte vermisst man in Swans Gender Queer Portraits. Von Zerrissenheit ist außer in den Texten so gut wie keine Spur zu finden. Die Aufnahmen idealisieren die geschlechtliche Flexibilität, ohne im gleichen Atemzug vor den falschen Behauptungen über Revolution, Transformation oder Befreiung zu warnen. Schlimmer noch: Sie sind aufdringlich statt eindringlich. Sie suchen die Mehrdeutigkeit nicht in den Körpern selbst, sondern begnügen sich mit ihrer vordergründigen Inszenierung - durch Darstellung schrittweiser 'Metamorphosen', durch Fotomontagen, Überblendungen und versuppende Unschärfen. Wo man die Ohren nach einer in sich stimmigen Bildsprache spitzt, vernimmt man ein fotografisches Stottern. Zum angerichteten Tohuwabohu passt der ekstatische Kommentar Swans: "Ich bin gezwungen Fotos zu machen, ohne ganz zu verstehen warum."

Wo Blindflug statt künstlerischer Selbstverständigung angesagt ist, da wird Utopie gerne schon einmal mit einem sonnigen Meliorismus verwechselt. Die Zeichen der Zeit aber signalisieren etwas anderes. Seit dem 11. September, dem Anlaufen der US-amerikanischen Militär- und Rüstungsmaschinerie und mit dem Erstarken nationalkonservativer Tendenzen ist die Idee einer fortschreitenden sozialen Gerechtigkeit in eine gefährliche Bredouille geraten. Das Ländchen Wohlgemut, im dem jeder seine Identität nach seiner Façon ausleben kann, ist wieder in einige Ferne gerückt. Das Zerbrechen dieser Erwartungshaltung hätte Swan beschwören können, nicht den transsexuellen oder hermaphroditischen Knalleffekt.

Titelbild

Rebecca Swan: Assume Nothing. Erotische Portraits zwischen den Geschlechtern. Mit einer Einleitung von Judith Halberstam.
Konkursbuchverlag, Weitra 2004.
112 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3887693132

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