Das Spiel mit der Jugend

Witold Gombrowicz' "Pornographie"

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vergessen Sie es! Ziehen Sie sich etwas anderes rein, wenn Sie dem Titel Glauben geschenkt haben. In diesem Buch gibt es nämlich höchstens ein bisschen crime. Aber (fast) keinen Sex. Nicht einmal für mind sex reicht es wirklich. Jedenfalls müsste man sich dafür schon ziemlich anstrengen. Aber Lesen kann ja ebenfalls anstrengend sein. Worum geht es also dann in Witold Gombrowicz' "Pornographie"? Nun, zugegeben, etwas Nacktheit kommt vor, sogar ein paar Berührungen. Doch abgesehen davon sind "Verführung", "Verlockung" oder "Erregung" noch die schärfsten Ausdrücke in diesem Roman. Soll man deswegen enttäuscht sein? Nicht unbedingt!

Man muss es wohl kaum wiederholen: Witold Gombrowicz (1904-1969) ist einer der großen polnischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Im vergangenen Jahr feierte man - nicht nur in Polen - ausgiebig seinen 100. Geburtstag. Das polnische Parlament hat das Jahr 2004 eigens zum Gombrowicz-Jahr ausgerufen, und auf der Genfer Buchmesse fand eine Sonderausstellung mit mehreren Diskussionsrunden statt, an denen unter anderen Gombrowicz' Frau Rita teilnahm.

Wie viele andere polnische Intellektuelle machte sich Gombrowicz immer wieder Gedanken über das Polentum und sein eigenes Verhältnis dazu. Das hatte auch damit zu tun, dass er 1939 bei Kriegsausbruch zufällig in Argentinien weilte und deshalb den Krieg in seiner Heimat nicht erlebt hat. Trotzdem ist der Krieg in seinem Werk gegenwärtig, so auch in "Pornographie", wenn er auch hier nicht im Zentrum steht. Der Roman erschien im Original 1960; die deutsche Übersetzung liegt schon länger vor, wurde aber nun anlässlich des Jubiläums vom Hanser Verlag neu aufgelegt, dem ohnehin das große Verdienst gebührt, Gombrowicz' Gesamtwerk der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht zu haben. Vor kurzem wurde "Pornographie" von Jan Jakub Kolski verfilmt.

Die Handlung des Romans spielt im Kriegsjahr 1943 in Polen. Zwei ältere Herren, Friedrich und ein gewisser "Witold Gombrowicz", der zugleich als Erzähler fungiert, besuchen auf einem Landgut den befreundeten Hippolyt. Sie inszenieren in der Folge eine Art Spiel, einen Schwank zwischen der Tochter des Hauses, der jungen Henia, und Karol, einem ebenso jungen Burschen, der mit ihr zusammen auf dem Hof aufgewachsen ist. Beide sind aber gar nicht füreinander bestimmt, denn Henia hat im Anwalt Waclaw Paszkowski bereits einen Bräutigam. Friedrich und Witold denken sich ein Stück aus, in dessen Verlauf Henia und Karol zu einem Paar werden sollen. Mit dieser Geschichte eng verflochten ist eine zweite: Hippolyt beherbergt auf seinem Gut zeitweilig Semian, einen Aktivisten des polnischen Untergrunds. Dieser wird von seiner Organisation zum Tode verurteilt, doch keiner aus der älteren Generation ist im Stande, das Urteil auszuführen. Da beschließen Friedrich und Witold, ihr Spiel weiterzutreiben ...

Gombrowicz interessierte sich in seinem Werk immer wieder für die beiden Pole Reife und Unreife, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, zwischen denen sich der Mensch befindet. Dies war schon Thema seines ersten großen Romans, "Ferdydurke" (1937; dt. 1958). Auch in "Pornographie" geht es um die Vermischung und die Vereinigung von Alter und Jugend. "Wenn sich aber in diesem Alter eine Gelegenheit bietet, sich am Blühen zu reiben, in die Jugend einzugehen, sei es auch auf Kosten von Depravation, und wenn es sich erweist, daß Häßlichkeit verwertbar sein kann, durch Schönheit absorbiert ...", sinniert der alternde Erzähler, ohne seinen Gedanken abzuschließen. Doch später wird dies zu Ende gedacht: "Die Tötung wird also durch Jugendliche vollbracht werden müssen, ins Leichte hinversetzt, ins Unverantwortliche - nur auf diese Weise wird sie möglich."

Und die Pornographie? Vielleicht liegt sie in unseren Träumen, in unserem "Drehbuch" von den anderen.

Titelbild

Witold Gombrowicz: Pornographie. Roman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Walter Tiel und Renate Schmidgall.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
245 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446205586

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