Standardwerk in spe

Ruth Beckers und Beate Kortendieks Handbuch zu Theorie, Methoden und Empirie der Frauen- und Geschlechterforschung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem vor einigen Jahren von Renate Kroll herausgegebenen Lexikon zur Geschlechterforschung und zu den Gender Studies (vgl. literaturkritik.de 3/2003) liegt nun auch ein Handbuch zum Thema vor. Ruth Becker und Beate Kortendiek haben es in der Reihe "Geschlecht und Gesellschaft" des Verlags für Sozialwissenschaften unter dem Titel "Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie" veröffentlicht. In 90 meist zwischen sechs und acht Seiten umfassenden Stichwort-Artikeln informieren 95 WissenschaftlerInnen unter anderem über Patriarchat (Eva Cyba) und Matriarchat (Heide Göttner-Abendroth), Französischen und Sozialistischen Feminismus (Ingrid Galster und Frigga Haug), Weibliche Moral (Gertrud Nummer-Winkler) und Mittäterschaft von Frauen (Christina Thürmer-Rohr), die Konstruktion von Geschlecht (Angelika Wetterer) und die Theorie Judith Butlers (Pauly-Irene Villa), über feministische Verfahren zur kritischen Rekonstruktion von Machtbeziehungen (Margarete Jäger) und über feministische Forschungsmethodologien (Gabriele Sturm).

Die Beiträge unterliegen einer einheitlichen Gliederung und liefern zunächst einen Überblick über die zentralen Definitionen des jeweiligen Themas, gefolgt von Abrissen grundlegender Studien sowie Debatten über aktuelle Forschungsergebnisse und Theoriediskussionen. Sie schließen mit einem Blick auf offene Fragen und "Zukunftsvisionen". Die Gliederungsvorgaben der Herausgeberinnen lassen den AutorInnen jedoch alle notwendigen Freiheiten, den unterschiedlichen Anforderungen der doch sehr divergierenden Themen Genüge zu tun.

Auch wenn man wohl kaum mit allen Wertungen und Urteilen der Beitragenden einverstanden sein wird (dazu sind sie auch untereinander schon zu different), so sind die Artikel doch in aller Regel mit profunden Kenntnissen verfasst - zumindest soweit dies der Rezensent beurteilen kann, der natürlich nicht in allen Fachgebieten gleichermaßen bewandert ist, und in etlichen nicht so sehr wie die

jeweiligen AutorInnen.

Der Aufbau des Buches gliedert sich in drei Teile. Im ersten werden "Zentrale Fragestellungen und Theoriekonzepte" vorgestellt, im zweiten "Methoden und Methodologie". Der dritte Teil, der etwa die Hälfte des gesamten Buches ausmacht, gilt "Arbeitsfelder[n] und Forschungsergebnisse[n]" der Frauen- und Geschlechterforschung in den Disziplinen Soziologie, Politik, Kultur-, Geschichts-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Theologie sowie Jura und ist in sich noch einmal untergliedert, allerdings nicht nach Disziplinen, sondern nach den "thematisch zentrale[n]" Forschungsbereichen "Lebensphasen- und Lagen"; "Arbeit, Politik und Ökonomie"; "Körper und Gesundheit"; "Bildung und Kultur"; "Frauenbewegungen und Gleichstellungspolitiken".

Wie die Herausgeberinnen im Vorwort darlegen, ist es das Anliegen des Bandes, einen "Überblick über die theoretischen Ansätze, die methodischen Verfahren und die empirischen Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung" zu gewähren. Anders als das von Kroll herausgegebene, wirklich umfassende Lexikon oder die von Christina von Braun und Inge Stephan vorgelegte Einführung in die Gender Studies (vgl. literaturkritik.de 7-8/2000) konzentriert sich das vorliegende Handbuch insbesondere im dritten Teil überwiegend auf Themen und Bereiche der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften. Geistes- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen sind hingegen eher dürftig vertreten, so vermisst man etwa Themen und Forschungsfelder der Literatur- und der Musikwissenschaft ebenso wie der Kunstgeschichte und -theorie. Naturwissenschaftliche Disziplinen fehlen sogar fast gänzlich.

Gelingt es den Herausgeberinnen, diese Lücken in den (hoffentlich) kommenden Auflagen zu schließen und die Beiträge weiterhin auf der Höhe des Diskurses zu halten, dürfte sich das Buch zu einem Standardwerk für alle an Geschlechterforschung Interessierte entwickeln. In den Regalen von Studierenden und Lehrenden gesellschafts- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen sollte es schon jetzt nicht fehlen.

Titelbild

Ruth Becker / Beate Kortendiek (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004.
736 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3810039268

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