Wagnis: Stadt

Die Stadt als Ort traumatischer Prozesse

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Lichte der großen Geschichtsdiskussionen der ersten Monate des Jahres 2005 besehen, kommt eine Analyse zum Verhältnis von "Stadt und Trauma", wie sie nun ein Sammelband präsentiert, zur richtigen Zeit. Das betonen die beiden Herausgeberinnen Bettina Fraisl und Monika Stromberger bereits in ihrem Vorwort, geschrieben im Frühling 2004, wohl wissend, dass die mediale Aufmerksamkeit für die Stadtverheerungen des Zweiten Weltkrieges so schnell kein Ende nehmen wird. Folgerichtig ist der erste Schwerpunkt des Buches auch aktuell besetzt und stellt unterschiedliche Aspekte des Bombenkrieges dar. Japans Stadtdiskurse im Kontext des Krieges sind dabei spannenderweise ebenso Thema wie die deutschen Erinnerungsdebatten. Damit die traumatischen Implikationen von kriegerischer Gewalt im Stadtraum nicht nur anhand des Zweiten Weltkrieges behandelt werden, integriert das Buch auch ganz aktuell produzierte Traumata, die im Zusammenhang mit terroristischen Initiativen oder neueren Kriegen zu sehen sind.

Der zweite Teil des Buches, der angibt, sich künstlerischen Reflexionen von Stadttraumata zu widmen, kann sich der Omnipräsenz der Weltkriegsthematik nicht gänzlich erwehren und gesellt sich mit zwei Beiträgen partiell zu den politisch-historischen Eruierungen des ersten Abschnitts hinzu. Dass es hier jedoch auch Beiträge gibt, die aus diesem Rahmen herauszutreten vermögen und sich - wie in einer Untersuchung zu Emmy Hennings und Irmgard Keun - ausgezeichnet mit strukturellen Krisenmomenten in der Stadt auseinander setzen, macht sicherlich einen Reiz der Publikation aus. Der Unzufriedenheit, die sich beim Leser gerade angesichts der Wahl der künstlerischen Reflexionen einstellt, ist wohl von Herausgeberseite kaum beizukommen, da sich gerade bei dieser sehr weiten und weidlich verwendeten Thematik stets sehr viele Leerstellen finden lassen. So bleibt der Fokus auf filmische Darstellungen städtischer Traumata sehr marginalisiert, obwohl viele Autoren die zeitliche Verwandtschaft von Stadt und Film betonen und auch die Bemühung erkennbar ist, an die Konjunktur der Stadt im Film-Themen anzuknüpfen. Neben den randständigen filmischen Einwürfen sind es aber in der Hauptsache Annäherungen an literarische Konzeptualisierungen, die raumgreifend sind und neben denen im Rahmenplan der Herausgeberinnen keine anderen Kunstformen bestehen können. Zu beiden Blöcken kann so zwar durchaus Kritik an bedauerlichen Lücken und zeitgeistigen Verengungen formuliert werden, aber als schlaglichtartige Komprimierung ist der Entwurf dennoch vertretbar.

Da der Trauma-Begriff - wie eingangs erklärt wird - infolge inflationärer Verwendung unscharf geworden sei, gibt Bettina Fraisl eine präzise Einführung, die neben fachlexikalischen Definitionen vor allem die Überleitung zum kontrovers diskutierten kollektiven Trauma herstellt. Hier kommt das nicht nur für diese Publikation so wichtige Modell des kollektiven Gedächtnisses ins Spiel, das als Ausgangspunkt für Gruppentraumata genommen wird. Dabei wird der vermittelte Charakter solcher Trauma-Erzählungen deutlich, wenn betont wird, dass die Bedeutung eines Ereignisses und die Art seiner Repräsentation als kultureller Klassifizierungsprozess zu begreifen ist, eine soziale Krise also nur dann ein kulturelles Trauma wird, wenn die Verarbeitung so funktioniert. Sie muss demnach kulturell bedeutsam und in den "institutionellen Arenen" wirkmächtig werden. Fraisl arbeitet dem Buch ungemein vor, indem sie ein Fundament für die weiteren Beiträge legt. So können die sehr interessanten Einsichten, die aus städtebaulicher wie auch gedächtniskultureller Sicht zum post-atomaren Hiroshima in zwei Texten ausgefaltet werden, nur vor dem Hintergrund der Feststellung von Fraisl gelesen werden, dass kollektive Traumata nicht von der historischen Wahrheit leben, sondern von dem Gefühl, durch ein miteinander geteiltes, auserwähltes Trauma verbunden zu sein.

Dass die gruppendynamische Aktivierung von Traumata im Sinne identitärer Kollektivprojekte gerade im Kontext kontemporärer Opferdiskurse relevant wird, zeigen vor allem die Ausführungen von Carola Hein zu den Bemühungen, aus der Symbolkraft Hiroshimas Kapital zu schlagen und diese als Friedensstadt zu behaupten, die weniger auf die Rolle und die Fehler als Täter- denn als Opfernation hinweist. Auch in der Nachkriegsgeschichte Pforzheims, das im Februar 1945 Ziel britischer Luftverbände war, entdeckt Christian Groh solche Tendenzen. Er weist in seiner Untersuchung zur Verarbeitung des Traumas in dieser Stadt mit Max Frisch auf die Gefahr einer Aneignung von Opferdiskursen hin, die stets im Raum stehe, wenn sich das Land, das die Verantwortung für die totale Kriegsführung trägt, mit dem daraus entstandenen eigenen Leiden beschäftigt. Dass diese Beschäftigung dennoch stattfand und zwar vornehmlich in teilöffentlichen, privaten, zumindest aber kommunalen Kreisen, kann Groh an seinem Beispielobjekt nachweisen. Auch hier wird - ähnlich dem Beispiel Hiroshimas - aus der Zerstörung eine Verantwortung für die Gegenwart entwickelt. Pforzheim wird zur humanitären Friedensstadt erklärt, deren bürgerschaftliche Gemeinschaft durch das gemeinsame Erbe verbunden ist und mit dieser neuen Kollektividentität nach außen strahlen muss. Dass dabei die Februar-Bomben als "die" Katastrophe schlechthin fungieren, das Stadtbild vor der Zerstörung eine verklärte Idealisierung erfährt und damit auch der Wiederaufbau historischer Gebäude begründet werden kann, zeigt vielleicht auch einen mitunter paradigmatischen Umgang deutscher Städte mit der Kriegsvergangenheit.

Gerade weil das eigentlich sehr umsichtige und bedachtsame Konzept des Bandes, Urbanität nicht modernisierungskritisch als inhärent traumatischen, also grundsätzlich prekären Raum zu begreifen, so konsequent umgesetzt wird, ist man vor allem im ersten Themenblock mit Ereignissen konfrontiert, die in erdrückender Mehrheit Krieg oder Kriegsäquivalenzen wie Terrorismus meinen und zu Auslösern von städtischen Traumata erklärt werden. Nicht alle Beiträge jedoch sind gleichermaßen plausibel. So wird versucht, den islamistischen Anschlag auf der Ferieninsel Bali mit einem der touristischen Urbanisierung geschuldeten Trauma zu erklären, was durchaus die Gefährlichkeit eines solchen Trauma-Ansatzes verdeutlicht. Denn Attentäter, die - wie bei diesem Anschlag auf die Diskothek in Bali - es in genauer Kalkulation darauf abgesehen hatten, möglichst viele Menschen zu töten, scheinen kaum durch vorgeschlagene Initiativen zur stärkeren Partizipation am Gemeinwesen zu befrieden zu sein. Solche hanebüchenen Erklärungsversuche, die darin enden, nach rationalen Begründungen für traumatische Strukturen im islamistischen Terrorismus zu suchen, findet man jedoch selten. So kann zum Beispiel ein Aufsatz, der sich dem höchst spannenden, wenngleich weniger populistischen Thema des baltischen Nationalismus und den daraus folgenden architektonischen, denkmalpolitischen Mechanismen widmet, durch wichtige und selten zur Sprache gebrachte Kritik an den Gedächtnispraxen der betroffenen Länder glänzen.

Im zweiten Block überrascht nicht nur die äußerst instruktive Arbeit zu Hennings und Keun, in der Medien und vor allem Filme als Kulturtechniken analysiert werden, die zu angeeigneten, ermächtigenden Instrumenten von Frauen werden, die durch städtisch-kapitalistische Verelendungsprozesse zu Fall gebracht wurden, sondern auch Sabine Diemers Text zu Comic-Superhelden. Letztere macht auf eine interessante Dichotomie in den Stadtdarstellungen diverser Comics aufmerksam. Sie arbeitet heraus, dass die diametralen Charakterbilder der Stars in enger Korrespondenz zu den Stadtimaginationen stehen. Die durch und durch traumatisierten Figuren "Batman" und "Daredevil" kann sie so vor dem Hintergrund ihrer metropolitanen, abgründigen Herkunft lesen und kontrastieren mit den kleinstädtisch aufgewachsenen und deutlich weniger traumatisierten Figuren "Superman" und "Spider-Man". Als pointiertes Ergebnis stellt Diemer fest: "Die Stadt und ihre Helden sind eins."

Gerade bei der Lektüre derartig vielversprechender Ansätze ist es besonders schade, dass die Belichtung filmischer Erinnerungsformen gegenüber der literarischen Seite zu kurz kommt. Dieses Gefühl verstärkt sich noch, wenn man Alison Landsbergs Theorie vom Film als "prosthetic memory" berücksichtigt. Eine Diskussion der dort postulierten Behauptung, Film kompensiere als erlebnis- und betroffenheitsorientierte Kulturtechnik die geschriebener Geschichte anhaftende Abstraktheit und lasse Erlebnisse anderer Menschen in anderen Zeiten durch die mediale Verbreitung in nahezu para-traumatischer Struktur körperlich nachempfindbar werden, hätte gerade einer Reflexion über filmische Gedächtnisleistungen gut getan. Da ein Schwerpunkt des Buches explizit in der Aufarbeitung katastrophischen Stadtgedächtnisses besteht, ist das Ausbleiben einer Diskussion der sehr viel "sinnlicheren" Ästhetik einer immersiven Bildsprache hier sehr ärgerlich. Nicht minder schade ist, dass sich Alexander Pichugins Vergleich von W. G. Sebalds und H. E. Nossacks Luftkriegsthematisierungen in etwas banalen Unterscheidungen verrennt, was aber dem durchaus positiven Gesamteindruck des Sammelbandes keinen Abbruch tut.

Titelbild

Bettina Fraisl / Monika Stromberger (Hg.): Stadt und Trauma. Annäherungen - Konzepte - Analysen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2004.
332 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3826027566

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