Ach und in demselben Flusse ...

Jetzt lieber nicht an die "Buddenbrooks" denken: Sibylle Mulots "Die Fabrikanten" - Roman einer Familie

Von Dorothee ReinhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothee Reinhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nimmt man den neuen Roman von Sybille Mulot zur Hand, wird man unweigerlich an Thomas Manns "Buddenbrooks" erinnert - nicht nur, weil es sich ganz allgemein um eine Familiengeschichte handelt, sondern vor allem durch die Worte, die den Klappentext überschreiben: "Aufstieg und Niedergang einer Familie". Eine Parallele, die nicht unbeabsichtigt ist, wie bei der Lektüre deutlich wird. Auch in "Die Fabrikanten" steht eine junge Frau im Mittelpunkt, die für ihre Familie auf eigenes (Liebes-) Glück verzichtet. Wie Toni Buddenbrook widmet sich die Protagonistin dieses Romans - Lis Kahn - ausschließlich dem Wohl der Familie, nachdem der einzige, gefühlsmäßig als Ehemann in Frage kommende junge Mann verlassen werden musste. Auch hier werden zwei Brüder beschrieben, von denen, wie bei Christian und Thomas Buddenbrook, der eine das schwarze Schaf der Familie ist, während der andere die Tradition der Familie fortführt. Und just Letzterer ist es, der einen inneren Konflikt zwischen Pflichtgefühl und Begabung zur Kunst in sich austrägt. So kommen "Die Fabrikanten" im Fahrwasser der "Buddenbrooks" daher, eine Familie, die allerdings nicht mit Getreide, sondern mit Holz handelt; mit Sitz in Berndorf - und Lübeck.

Ganz schön mutig! Doch solche Bezüge können für einen neuen Roman nur zum Verhängnis werden - besonders dann, wenn die Künstlerschaft der Autorin nicht annähernd so ausgeprägt ist wie bei dem Autor des Vorbildes. Die einmal geweckten Erwartungen lassen sich leider nicht einfach ignorieren. Ob man zum Beispiel in einer Tasse Tee vermutet, dann aber überraschend Kaffee trinkt, oder ob man Weltliteratur erwartet und Trivialliteratur vorgesetzt bekommt, ist in etwa das gleiche Gefühl: nicht sehr angenehm. Auf diese Weise gerät der Roman von Mulot zu einem einzigen Ärgernis. Dies fängt bei der Sprache an, die sich nicht zwischen Umgangston und einem oft unpassend dick aufgetragenen poetischen Klang entscheiden kann und setzt sich fort bei den Perspektivwechseln - es wird aus auktorialer und personaler Perspektive wie auch aus verschiedenen Ich-Perspektiven erzählt - die jedoch sprachlich nicht umgesetzt werden.

Es gibt viel Gerede in diesem Buch über die faszinierende Familie Kahn, über die angebetete Großmutter, die ganz groß "die Pharaonin" genannt wird, oder über schreckliche Familiengeheimnisse. Die literarische Umsetzung der solchermaßen angekündigten Ereignisse und Personen gerät dagegen eher fad. Würde man nicht immer wieder daran erinnert, dass die Kahns eine ganz und gar außerordentliche Familie seien, könnte man es tatsächlich vergessen. Keine Figur bzw. ihre Geschichte - es werden insgesamt vier Generationen beschrieben - ist hier wirklich originell. Wenn nicht blasser Abglanz der "Buddenbrooks", bedienen sie sämtliche Klischees, die man sich im Zusammenhang mit Familienromanen nur vorstellen kann.

Auf der einen Seite ist der Roman sehr um Zeitcolorit bemüht - die Pharaonin lässt französische Ausdrücke in ihre Rede einfließen, die entsprechende Weltausstellung wird erwähnt usw. -, auf der anderen Seite scheint jedoch manches Verständnis für die Zeit zu fehlen. So läuft Wilhelm, derjenige, der zwischen Kunst und Pflichtgefühl schwankt, in seinen jungen Jahren Schauspielerinnen hinterher, die er aber nicht zur Geliebten, sondern immer gleich zur Ehefrau begehrt. Er hält ernsthaft um die eine oder andere Schauspielerin an (als Sohn einer reichen angesehenen Familie!), wird jedoch stets von ihnen abgewiesen, da sie Tenöre und Regisseure interessanter finden als Reichtum und enormen sozialen Aufstieg. Die wenigsten Szenen wirken authentisch. So kriecht etwa Hans, der älteste Sohn der Pharaonin, während er seiner Mutter von seiner heiklen Verlobung mit einer jüdischen jungen Frau erzählt, unter den Flügel, um etwas aufzuheben ("Mutter, ich bin Kaufmann! rief Hans unter dem Flügel hervor"). Oder es reicht ein Gast während des hoch offiziellen Essens zur Einweihung des Stammhauses ein Stück brennendes Benzoe-Papier herum - während des Essens. Solch ein Verhalten ist für die Zeit am Anfang des 20. Jahrhunderts unmöglich und, wenn man es recht bedenkt, auch heute kaum vorstellbar.

Besonders merkwürdig ist der Versuch Mulots, den Antisemitismus der damaligen Zeit zu erklären - der ja durchaus erklärungswürdig ist, da die jüdische Bevölkerung an die übrige Gesellschaft in jenen Jahren so angepaßt lebte wie selten zuvor: "Damit [mit der Verachtung] waren aber nicht die bekannten Juden gemeint, sondern die fremden, verkörpert in einem, den man vielleicht einmal flüchtig gesehen hatte, der versucht hatte, die Preisabsprachen der Fabrikanten zu hintertreiben." Diese naive Erklärung verankert einen eigentlich irrationalen Aspekt des Antisemitismus in einer konkreten Situation, einer realen Person und impliziert damit, dass die Juden bzw. 'schwarze Schafe' unter ihnen den Antisemitismus selbst verursacht haben.

"Die Fabrikanten" sollte wohl ein ganz großes Werk werden, ein bisschen wie "Buddenbrooks", nur zeitgemäßer - die vierte Generation lebt in den 80er und 90er Jahren - und mit kritischem Blick etwa auf den Antisemitismus und die Diskriminierung von Frauen. Die Ohnmacht Lis Kahns angesichts des Verhaltens der Familie ihr gegenüber - sie wird ausgenutzt und nicht angemessen entschädigt, weil sie eine Frau ist -, vermag den Leser sogar zu berühren. Im Übrigen kann von einer tiefgreifenden Gesellschaftskritik, wie sie Thomas Mann fast wie beiläufig gelingt, hier allerdings nicht die Rede sein - alles bleibt an der Oberfläche, im nichtssagenden Klischee verhaftet.

Titelbild

Sibylle Mulot: Die Fabrikanten. Roman einer Familie.
Diogenes Verlag, Zürich 2005.
388 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257064675

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