Macht oder Glaube? - das ist die Frage

Josef Imbach weist auf Schwachstellen in der Kirche hin

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Frage: "Setzen die Kirchenoberen eher auf den Glauben an die Macht oder auf die Macht des Glaubens?" setzt sich der Franziskaner Josef Imbach intensiv auseinander. Wer die Geschichte des Christentums kennt, weiß, dass diese Frage nur allzu berechtigt ist. Schon Jesus sah sich genötigt vor Machtgier zu warnen: "Wer unter euch groß sein will, soll der Diener aller sein" (Markusevangelium, Kapitel 10, Vers 43).

Doch bevor Imbach auf Machtstrukturen und Machtmechanismen im Allgemeinen und auf jene in der Kirche im Besonderen zu sprechen kommt, schildert er unter der Überschrift "Machtdemonstration" seine eigenen persönlichen Erfahrungen mit der römischen Glaubenskongregation, auf deren Betreiben hin ihm im Jahr 2002 ein weltweites Lehrverbot an katholischen theologischen Fakultäten erteilt worden war. Zur Last gelegt hatte man Imbach, nicht zuletzt auch auf Grund seines Buches "Wunder", dass er nicht an die Gottheit Jesu glaube, dass er das Lehramt der Kirche ablehne, die Evangelien lediglich als katechetische Erzählungen betrachte, die Möglichkeit von Wundern leugne und behaupte, Jesus habe kein einziges Wunder vollbracht. Diesem Kapitel hat Imbach, der von 1975 bis 2002 Professor für Fundamentaltheologie an der Päpstlichen theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom war und heute bei Basel lebt, eine Aussage von Heinrich Heine vorangestellt: "Die deutschen Zensoren ... Dummköpfe". "Die Zensur", fügt Imbach hinzu, "die Heine seinerzeit zu schafften machte, gibt es immer noch - im Vatikan."

In den folgenden Kapiteln befasst sich der Autor mit allgemeinen Machtmechanismen, wobei er zahlreiche literarische Beispiele miteinbezieht. Er wirft einen Blick hinter die Kulissen der Macht, nimmt die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und die individual- und massenpsychologischen Voraussetzungen genau unter die Lupe, die das Verlangen nach Macht und deren unkontrollierte Ausübung begünstigen. Die entsprechenden Mechanismen machten auch der Kirche in ihrer Geschichte immer wieder zu schaffen. Viele Kirchenfürsten haben sich mehr an Machiavellis "Principe" als an der Lehre Jesu orientiert. Es gibt daher, laut Imbach, kaum Unterschiede zwischen der Expansionspolitik mittelalterlicher Fürsten und den von der Kirche veranstalteten Kreuzzügen, zwischen dem Spitzelsystem in modernen Diktaturen und der Praxis der Römischen Glaubenskongregation.

Solange die christliche Glaubensgemeinschaft noch eine Minderheit darstellte, führt Imbach weiter aus, hatte sie immer wieder Verfolgungen zu erleiden. Kaum aber waren die Verfolgten integriert, wurden sie ihrerseits zu Verfolgern. Vermehrt diente nun ihr Wahrheitsanspruch dem Ausbau und der Sicherung eines christlichen Machtmonopols, das in krassem Gegensatz stand zu der vom Mann aus Nazareth initiierten Freiheitsgeschichte. Bereits gegen Ende des vierten Jahrhunderts beschränkten sich die Nachfolger der Apostel nicht mehr auf die Verbreitung der Frohen Botschaft, sondern beteiligten sich eifrig am Poker um die Macht, wobei ihnen jedes Mittel, auch Waffengewalt, recht war, um die angestrebten Ziele zu erreichen.

Anschaulich verdeutlicht der Autor, der im Februar 2005 den Preis der Herbert Haag-Stiftung für Freiheit der Kirche erhielt, das Janusgesicht der Macht und betont, dass die Macht an sich weder gut noch böse sei, weder moralisch noch unmoralisch. Wohl aber könne sie missbraucht werden, selbst von Mächtigen, die nicht ihren eigenen Vorteil, sondern das Wohl ihrer Mitmenschen im Auge haben. Nicht von ungefähr werde die Macht als Bedrohung der persönlichen Freiheit empfunden, denn wer an den Hebeln der Macht sitze, sei kaum bereit, auf seine Position zu verzichten.

Imbach beschäftigt sich ferner mit Fanatismus und Fundamentalismus, Macht und Autorität, Amts- und Sachautorität, Kompetenz und Machtmissbrauch sowie den Symbolen der Macht, zu denen Wappen und Orden gehören. Auch durch ihre Kleidung unterscheiden sich die Mächtigen vom gemeinen Volk. Das zeigt sich besonders krass in Rom auf dem Petersplatz, wenn eine päpstliche Kommission im Vatikan ihre Sitzung beendet hat. "Dann spucken Torbogen und Portale die Bischöfe mit ihren violetten Käppchen, goldenen Brustkreuzen und edelsteinbesetzten Ringen gleich grüppchenweise aus." Aber nicht nur das, historische Fakten werden nicht selten bewusst verdreht, um Machtansprüche geltend zu machen. Exemplarisch belegt Imbach diese Behauptung an Stefan Heyms Roman "Der König David Bericht".

Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, legt der Verfasser dar, umso ungebrochener ist die Macht der Kirche und entsprechend intolerant ihre Haltung gegenüber Andersdenkenden. Man erinnere sich nur an die Verfolgung der Juden, an den Krieg gegen Muslime, an die rücksichtslose Eliminierung Oppositioneller sowie an die Inquisition. Die Kirche habe, behauptet Imbach ferner, Gewaltanwendung so lange praktiziert, wie sie dazu die Möglichkeit hatte, obwohl die Vertreter des Lehramtes aufgrund ihrer Bibelkenntnisse es besser hätten wissen müssen.

Dass ein Christ sich auch der Verkündigung gemäß verhalten kann, habe dagegen Franz von Assisi bewiesen, der auf Erbe und Vorrangstellung verzichtete, um als Bettelbruder zu leben. Für Josef Imbach ist er ein leuchtendes Beispiel praktizierender Menschenliebe. An ihm könnten die Kirchenoberen lernen, wie wichtig es ist, statt auf das Gleichgewicht auf das Schwergewicht des Vertrauens zu setzen. Wir müssen, mahnt der Autor, unsere menschlichen Triebe und Urinstinkte, zu denen auch der Machttrieb gehört - oft symbolisiert durch das Bild des Wolfes oder, wie in der Psychoanalyse, durch den Schatten -, akzeptieren und integrieren. Steckt doch in jedem Menschen ein kleiner Machiavelli.

Imbach verkennt nicht, dass sich die Haltung der Kirche, nicht zuletzt durch das Zweite Vatikanische Konzil unter Papst Johannes XXIII. Mitte der sechziger Jahre, gegenüber anderen Religionen und Andersdenkenden inzwischen stark verändert und dass der Weg von der erbitterten Bekämpfung über die widerwillig geübte Toleranz bis zur Anerkennung der Gewissensfreiheit geführt hat. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass trotz mancher noch heute in der Kirche restriktiven und gelegentlich geradezu verbohrten Haltung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Zudem sollte man, schlägt Josef Imbach vor, statt permanente Nabelschau zu betreiben, sich lieber den eigentlichen Problemen zuwenden, wie etwa der Verdunstung des Gottesglaubens, der Entchristlichung der Gesellschaft und der Kommerzialisierung der Sexualität. Zu klären sei auch, wie die Frohe Botschaft noch als solche heute verkündet werden könne, solange die Erfahrungen mit der Kirche eher bedrückend als befreiend seien.

Titelbild

Josef Imbach: Der Glaube an die Macht und die Macht des Glaubens. Woran die Kirche heute krankt.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2005.
248 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3491724899

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