Die Geschichte von Snöggelinduralthorma und Baskarien oder: Kulturaustausch zwischen Nord und Süd

Der neue Roman von Karen Duve ist ein Mix aus Märchen, Roman und umgearbeiteten Mythen und Sagen

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nichts Geringeres als den Stoff der Gudrun-Sage hat sich Karen Duve ausgewählt, um daraus eine Geschichte zu machen, die ihr besser gefällt als das Original. Am Ende kriegen sich die, die sich lieben - ganz in traditioneller Märchenmanier. Auch das Personal ist aus verschiedenen Märchen, Sagen und Stoffen übernommen und der neuen Geschichte angepasst worden. Wer allerdings gut und wer böse ist, erfahren die Leser nicht so genau, Macken haben sie jedenfalls alle.

Im Roman geht es um zwei Königreiche, die unterschiedlicher nicht sein können: das im kalten Norden liegende Snöggelinduralthorma und das ganz der Gartenkunst und den schönen Dingen des Lebens verpflichtete und im Süden gelegene Baskarien. In beiden Ländern regeln Königinnen und Könige, Ritter und Prinzen und Grafen die Politik, die ganz von Tagesform und Laune bestimmt wird. Es geht allen mehr oder weniger gut, jedes Land und jede königliche Familie hat so ihre Probleme, wie im richtigen Leben. Das Unheil beginnt, als Prinzessin Lisvana, zwar schön und jung, aber mit einer unzulänglichen Mitgift ausgestattet, durch ein Lied des fahrenden Sängers Penegrillo zu neuen Ehren gelangt, wenn auch ausschließlich beim 'schwarzen Prinzen', Prinz Diego von Baskarien. Er setzt sich in den Kopf, die Prinzessin zu umwerben. Was gründlich misslingt, sodass er sie nach Baskarien entführt. Lisvana, von Liebe auf den ersten Blick zum feschen Prinzen erfüllt, weiß um die Ehrverletzung, die mit dieser Entführung einhergeht, und verweigert sich dem Reichtum, der Pracht und nicht zuletzt dem heimlich geliebten Prinzen. Dessen Mutter, die sich eigentlich nur um ihre hochgezüchteten Gärten kümmert, wird die Sache zu bunt: Lisvana muss in Leinen gekleidet Wäsche waschen und andere niedere Dienste tun, während Prinz Diego alles versucht, um die Geliebte umzustimmen. Er verlässt sogar seine Heimat und schifft sich ein, um in Lisvana Sehnsucht nach ihm zu wecken. Diese empfindet die stolze Prinzessin nach ihrer zweiten Entführung durch den Drachenforscher Großer Gaspajori, der eine Sympathieverbindung seines noch jungen und kläglich versagenden Drachens Grendel mit einer königlichen Jungfrau benötigt, um seinen Zögling zu Höchstleistungen zu bringen. In der Zwischenzeit tritt Ritter Bredur, der ebenfalls die Prinzessin liebt, allein die Reise vom Nordland nach Baskarien an, um allen zu beweisen, vor allem seinem den nichtsnutzigen Sohn verachtenden Vater, was er für ein toller und mutiger Ritter ist.

Wie es der Zufall will, treffen er und Prinz Diego auf dem Schiff zusammen, freunden sich an und stehlen von der Insel der Glückseligkeit einen der seltenen Goronzienbäume, auf die Diegos Mutter so versessen ist. Bredur jedoch, der sich in die dort lebende Prinzessin Sarilissa verliebt und in ihrer ersten und letzten gemeinsamen Nacht das ihr prophezeite Schicksal erfüllt - sie stürzt und stirbt durch einen Mann - muss fortan auf der Insel bleiben, was ihm - allein unter 400 Frauen und ausgestattet mit einem reichlichen Opiumvorrat - zunächst keine Schwierigkeiten bereitet. Nach einem unfreiwilligen Entzug entschließt er sich jedoch, nach Baskarien zurückzukehren und Lisvana zu befreien.

Also ziehen die beiden Freunde wieder los und begeben sich zum Großen Gaspajori, können schließlich Prinzessin Lisvana befreien, haben allerdings damit auch den Drachen am Hals, der besonderer Pflege bedarf, und ziehen gen Nordland, Diego als Gefangener, Bredur als der große gefeierte Held. Am Hochzeitstag von Bredur und Lisvana kommt es zu einer nicht ganz überraschenden Wende. Bredur, der endlich zur Ruhe kommt nach all den Abenteuern, begreift, dass er Lisvana zwar mag, aber nicht heiraten möchte, weil sein Herz der toten Sarilissa nachtrauert. Also bekennt er seinen ersten Fehler, der überhaupt erst die Verwicklungen zwischen den beiden Ländern ausgelöst hatte: Als Prinz Diego um die Prinzessin warb, stellte ihm Bredur ein Bein, sodass der Prinz stolperte und auf die Nase fiel. Was nicht nur zu diplomatischen Querelen führte, sondern eben zu just der ersten Entführung Lisvanas und letztendlich zum Krieg zwischen den beiden Völkern.

So wird am Ende doch noch alles gut: Lisvana heiratet den, der sie entführt hat und den sie liebt (entgegen dem Ausgang in der Gudrun-Sage, was Karen Duve immer gestört hat), die beiden ziehen ins warme Baskarien, Bredur zieht mit Drache und Pferd in die Verbannung, nicht ohne vorher von seinem Freund Diego eine Grafschaft mit Blick aufs Mittelmeer erhalten zu haben, und fristet sein Leben fortan als Drachenforscher. Die Könige feiern Frieden, die Hofdame Lisvanas erkennt ihre Liebe für den Zwerg Pedsi und alle sind zufrieden. Bis auf Ritter Luntram, der nun auf die Hofdame verzichten muss, Bredurs Vater Fredur Wackertun, der die Schandtat seines Sohnes nicht verzeihen kann und ihn dafür an den Galgen wünscht, und Lisvanas Bruder Jörgur, der während der Abwesenheit seiner Schwester eine hässliche Prinzessin heiraten musste, wie das eben so ist bei Familie König.

Die verwickelte Handlung, die zahlreichen Motive aus Märchen und Sagen und nicht zuletzt die Figuren, die liebevoll mit Neurosen und anderen Befindlichkeiten ausstaffiert sind, machen den neuen Roman von Karen Duve zu einer wirklich sehr vergnüglichen Lesereise durch Nord- und Südland. Ein weiteres Mal bleibt die Autorin ihrem Talent treu, stilistisch zu ironisieren und literarische Konventionen zu durchbrechen. Beispielsweise hat das Silberglöckchen, das Bredur von einer Alten im Wald erhält, eine kleine Beule, so dass sich die drei Wünsche, die er äußert, auf etwas andere Weise erfüllen, bis hin zur letzten Diskussion mit der Wunschfee, die darauf beharrt, dass er sich seinen vierten Wunsch einfach selbst erfüllt, statt sie damit zu nerven.

Und natürlich geht es in dem neuzeitlichen Epos um große Leidenschaften, Kampf, Ehre (nicht nur der Männer, sondern auch der Frauen, auf die aber am Schluss gottseidank gepfiffen wird), gebrochene Herzen, die große Liebe, erfüllte und unerfüllte Träume und die Auseinandersetzung mit Eltern, Konventionen und Hierarchien. Die Wunderwelt der Karen Duve, ließe sich sagen, führt dabei die zusammen, die sich im Herzen füreinander entscheiden, wie es in den besten Märchen vorkommt, und fügt alles zu einem befriedigenden Ende. Sogar der Held muss nicht einsam in die Welt ziehen, sein Knappe möchte dann doch wieder bei ihm arbeiten. Nur eines sollte klar sein: Wer sich in diese Welt begibt, landet nicht in Fantasien oder in Hogwarts. Sondern bei den Nord- und Südländern, und die haben so ihren ganz eigenen Charakter. Wie der ganze Roman.

Karen Duve hat bereits in der Vergangenheit ihre literarische Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Neben Erzählungen und mehreren Romanen hat sie einen Comic "Bruno Orso fliegt ins Weltall" veröffentlicht, zusammen mit Thies Völker das "Lexikon berühmter Tiere", danach das "Lexikon berühmter Pflanzen" und vor kurzem "Weihnachten mit Thomas Müller". Da passt "Die entführte Prinzessin" wunderbar hinein.

Wir dürfen gespannt sein, was Karen Duve als nächstes Projekt vorlegt. Es heißt, dass sie ein ganz frühes Werk, "Prinz Dachs", noch in der Schublade hat. Warum wieder ein Märchen?, fragt man sich. Weil die Autorin Märchen "total gerne" mag. Das merkt man dem Roman an, der - es sei lobend erwähnt - sehr ansprechend gestaltet ist.

Titelbild

Karen Duve: Die entführte Prinzessin. Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
397 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3821809523

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