Verloren in Mexico

Keto von Waberer lässt eine 17-Jährige durch eine fremde Kultur irren

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im dem nun wieder im Berliner Taschenbuch Verlag aufgelegten Roman "Heuschreckenhügel", der zuerst 1984 bei KiWi erschien, erzählt die bekannte Gegenwartsautorin Keto von Waberer die Geschichte der 17-jährigen Cornelia, die einige Zeit bei ihrer Tante Alberta in Mexico verbringt. Cornelia weiß nur wenig über das Land, in dem sie an Weihnachten ankommt und für eine längere Zeit wohnt. Die Tante, sehr reich und von vielen Dienstboten umgeben, hält auf Etikette und Familie und einen guten Namen. Zu diesem Duo gesellt sich Cornelias Vetter Mario aus Argentinien, der in Mexico eine ungeliebte Stelle antritt. Er spielt lieber Klavier und ist für seinen Beruf als studierter Maschinenbau-Ingenieur denkbar ungeeignet. Cornelia verbringt die ersten Wochen in dem fremdartigen und ihr völlig unbekannten Land mit Malen und Besuchen, für die die Tante ihr neue Kleider kauft. Alles scheint idyllisch zu sein, wäre da nicht der Mord auf offener Straße gewesen, den Cornelia beobachtet hat, während sie mit ihrer Tante vom Chauffeur durch die Straßen gefahren wurde.

Die Krise bricht aus, als die Tante im Frühjahr für längere Zeit nach Deutschland reist und ihre Gäste allein zurücklässt. Cornelia, die trotz des Spanisch-Kurses an der Universität nur wenig Kontakt findet, erfährt, dass die Bedienstete Aureliana ihr zweites Kind erwartet und nicht weiß, wie sie mit der Situation umgehen soll. Cornelia will helfen, obwohl sie ebenfalls überfordert ist. Mario, der mit der Bekannten Maria beschäftigt ist, ist ihr keine Hilfe. Cornelia, die in diese merkwürdige Liebesgeschichte involviert ist, weil sie nachts sexuelle Begegnungen mit Mario hat, entgleitet durch Unkenntnis der fremden Kultur und der damit verbundenen Verhaltensweisen und Gegebenheiten der Überblick über die Situation. Sie gerät an einen obskuren Anwalt, der ihr Geld abschwatzt, um das Baby von Aureliana in einer guten Adoptionsfamilie unterzubringen. Das Geld nimmt sie von der Tante bzw. aus deren Schmuckkasten. Obwohl ihr jeder rät, sich aus der Situation herauszuhalten, greift Cornelia immer wieder ein und richtet ständig Schaden an. Gegen Ende fahren Mario und Maria zwei Wochen lang weg und lassen sie allein. In dieser Zeit schläft sie mit dem viel älteren Anwalt und gibt ihm ein letztes Schmuckstück, bevor dieser endgültig verschwindet - Aurelianas Kind stirbt an Unterernährung. Der Roman endet mit der angedeuteten Rückkehr der Tante und mit Cornelias Wunsch nach Heimkehr.

Spätestens beim sexuellen Akt mit dem Anwalt wird klar, dass es sich bei der Figur Cornelia um eine wirklich naive 17-Jährige handelt. Daher überzeugt die Konstellation zwischen ihr und dem Anwalt, dessen Machtstellung nicht recht einsichtig wird, nur bedingt. Auch dass die Tante weder anruft noch schreibt, wirkt etwas konstruiert, sie wird als Figur (bis auf Anfang und Ende) ausgeblendet, obwohl sie als Zentrum des Hauses ständig präsent ist. Eines wird klar: Es braucht eine Einführung in eine fremde Kultur, um diese verstehen zu können und sich adäquat in ihr zu bewegen. Doch diese Einführung, die Cornelia sich wünscht, bleibt aus, es findet sich niemand dafür. Sie ist allein gelassen und bleibt auf den eigenen kulturellen Hintergrund angewiesen. Was dazu führt, dass sie dem Anwalt vertraut und den Großeltern des Babys nicht, weil sie diese rein sprachlich nicht versteht, sich von ihnen abgewiesen und bedroht fühlt. Der Anwalt jedoch spielt mit ihrem noch unreifen Gewissen und gewinnt.

Auch wenn die Geschichte nicht durchgehend überzeugt, zeichnet sie sich doch durch einen gekonnt plastischen, dabei knapp erzählenden Stil aus. Das ist überhaupt Keto von Waberers großes Talent: Ihre Sprache ist voller Bilder, was sich in den späteren Werken, wie z. B. dem Erzählband "Fischwinter", ausgereifter zeigt. Daher sei der Roman "Heuschreckenhügel" zwar empfohlen, aber eben als Werk, das die Schreibanfänge Waberers skizziert. Und die gehören auf jeden Fall dazu, wenn man eine Autorin oder einen Autor kennen lernen will.

Titelbild

Keto von Waberer: Heuschreckenhügel. Roman.
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2004.
126 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3833301333

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