"Der Sturm und die Dunkelheit werden eines Tages vorüber sein ..."

Die Tagebücher des rumänischen Schriftstellers Mihail Sebastian

Von Iulia DondoriciRSS-Newsfeed neuer Artikel von Iulia Dondorici

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Name Mihail Sebastian, rumänischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, ist hierzulande nur wenigen Lesern vertraut. Noch immer wird rumänische Literatur von nur einigen wenigen Insidern gelesen, zumal das Bild Rumäniens nach wie vor von Klischees und Reminiszenzen an die Ära Ceaucescu bestimmt ist. Rumänische Schriftsteller sind - mit wenigen Ausnahmen wie Eugène Ionesco, Mircea Eliade oder Emil Cioran - eine terra incognita auf der literarischen Karte Europas.

Ein merkwürdiges Schicksal von früher Popularität, langem Vergessen und einer plötzlichen Renaissance nach mehreren Jahrzehnten kennzeichnet das Werk Mihail Sebastians. In den dreißiger Jahren wusste selbst Thomas Mann nur Löbliches über ihn zu berichten. Schon in jungen Jahren hatte sich Sebastian mit seinen Erzählungen, Essays, Romanen und zahlreichen Artikeln in das Bewusstsein einer breiten rumänischen Öffentlichkeit hineingeschrieben. Er wurde 1907 in Braila, einer kleinen Stadt an der Donau, in einem jüdischen Elternhaus geboren. Unmittelbar nach seiner Übersiedlung nach Bukarest im Jahr 1927 schloss er sich der Gruppe junger Intellektueller um Nae Ionescu, einem hochintelligenten und weithin geschätzten Philosophieprofessor der Universität Bukarest an. Ionescu war zugleich Leiter einer der wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Er bestimmte Sebastians Leben wie kein Zweiter. Und er beeinflusste auch die Zukunft einer ganzen Schriftstellergeneration, der so genannten "Jungen Generation" der modernistischen Schriftsteller Rumäniens maßgeblich. Viele von ihnen folgten ihm bedenkenlos in seiner Wende zum rumänischen Faschismus. Unter Nae Ionescus Einfluss begann Eliade antisemitische Artikel zu verfassen; Cioran wurde zum begeisterten Verehrer Hitlers und Corneliu Zelea Codreanus, dem Gründer der "Eisernen Garde", der rumänischen Variante der Nationalsozialisten. Als Jude gerät Mihail Sebastian in zunehmende Isolation. Ab 1937 wurden auch in Rumänien strenge antisemitische Gesetze erlassen, die das Leben für Juden nahezu unmöglich machten. Sebastian verliert seine Approbation als Anwalt, ein generelles Publikationsverbot für Juden wird erlassen. Er hat mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ab 1940 wird die Lage immer prekärer. Sebastian lebt unter ständiger Angst vor Arbeitseinsätzen, Deportation, Pogromen oder einer möglichen Auslieferung nach Deutschland.

Sebastians Tagebücher geben Auskunft über das Leben eines europäischen Juden während der Zeit des Zweiten Weltkrieges und sind darin vergleichbar mit den Tagebüchern Victor Klemperers. Für den rumänischen Schriftsteller bedeutet das Tagebuch aber auch so etwas wie den Nachweis, dass er noch am Leben ist. Es hilft ihm zu überleben. Er schildert darin ganz authentisch "die Atmosphäre dieser Tage", seine frischen, unmittelbaren Eindrücke und Erlebnisse jener Monate und Jahre. Es soll ihm helfen, sich an die Absurdität und das Groteske der alltäglichen Barbarei und Verfolgung zu erinnern. Unter den bereits beschriebenen Bedingungen distanzierte sich Sebastian zwangsläufig von seinen früheren Freunden. Er schildert mit großer Sensibilität und einer ihm spezifischen besonderen Offenheit und Luzidität die langsame Annäherung seiner Freunde an die antisemitische Ideologie. Freundschaft ist eines der wichtigsten Themen dieser Tagebücher. Am 25. Februar 1937 notiert er: "Die Situation wird immer peinlicher. Ich sehe mich nicht imstande, die Doppelzüngigkeit zu ertragen, zu der uns unsere Freundschaft nötigt, seit sie alle zur "Eisernen Garde" bekehrt worden sind. Mirceas [Eliade] letzte Artikel in der Vremea sind immer legionärsfreundlicher geworden. Einige wollte ich gar nicht mehr lesen. Den letzten habe ich erst heute früh gelesen, obwohl er schon am Freitag erschienen ist und mir alle Leute davon erzählten. Ist denn eine Freundschaft mit Menschen möglich, die eine ganze Reihe mir fremder Ideen und Gefühle teilen, derart fremde Ideen, dass es schon betretenes Schweigen auslöst, wenn ich ins Zimmer komme?" Trotz dieser schwierigen Situation zeigt Sebastian gerade im Umgang mit seinen ihm fremd werdenden Freunden ein erstaunlich großes menschliches Verständnis und versucht alles, um die Freundschaften zu erhalten. Er nennt die rechtsextremistische Ideologie seiner vormaligen Weggefährten einen "schrecklichen Fehler" oder auch einfach "Blindheit". Die Worte: "Ich kann weder an diesem Land, an dem mein ganzes Leben verbunden ist, noch an Menschen verzweifeln [...]. Der Sturm und die Dunkelheit werden eines Tages vorüber sein, aber wie vielen von meinen damaligen Freunden werde ich noch auf den Weg reiner Ehrlichkeit begegnen können?", die er 1936 in einem Brief an einen engen Freund schreibt, drücken den von Sebastian bis zum Schluss aufrecht erhaltenen Glauben an die Würde des Menschen aus sowie seine Überzeugung, dass eine friedliche und bessere Zeit kommen wird.

Sehr subtil schildert er im Tagebuch auch seine Annäherung an das Judentum. Er lebte das Leben vieler assimilierter Juden in Europa vor ihrer Vernichtung in den Gaskammern der Nazis. Sebastian fühlte sich gleichzeitig als Rumäne und Jude. Aber erst der weit verbreitete Antisemitismus veranlasste ihn, über sein Judentum nachzudenken. Ein Beispiel dafür ist sein Roman "Seit Zweitausend Jahren" (1934). Darin hatte Sebastian die jüdische Identität thematisiert. Nae Ionescu attestierte ihm im Vorwort des Buches rassische Minderwertigkeit. Sebastian ließ es dennoch unverändert drucken, woraufhin der Roman zu einem Skandal in der rumänischen Öffentlichkeit wurde. Die Abwertung von Sebastians schriftstellerischem Werk war eine direkte Folge dieses Eklats. Während des Kriegsjahre sieht Sebastian seine jüdische Identität in einem neuen Licht. Als Freunde ihm 1941 raten, zum Katholizismus zu konvertieren, um der sicheren Vernichtung zu entgehen, lehnt er das entschieden ab und notiert in sein Tagebuch folgenden Gedanken: "Auf einer sonnigen, sicheren und friedlichen Insel irgendwo im Ozean wäre es mir gleichgültig, ob ich Jude bin oder nicht. Aber hier und jetzt kann ich nichts anderes sein. Und ich will auch nichts anderes sein." Denn Jude sein hieß für ihn jetzt auch, als Außenseiter außerhalb der Geschichte stehend, unschuldig zu sein an den schrecklichen Ereignissen dieser Jahre. Die "Geschichte der Juden" von Dubnow zählt Sebastian immer wieder zu seiner Lektüre. Nur die klassische Musik tröstet ihn über die einsamen Stunden hinweg. Auch das gelingt nicht mehr, als man ihn zwingt, sein Radiogerät abzugeben. Zuletzt verliert er die Wohnung durch die untragbar erhöhten Mieten für Juden. Die letzten Kriegsmonate werden zu einer Zeit der bittersten Entbehrungen und großer Not. Die Niederlage Deutschlands und das Ende des Krieges erlebt der Schriftsteller als großen persönlichen Triumph.

Immer wieder wird im Tagebuch der Wille deutlich, die Ereignisse und die Menschen mit "offenen Augen" und "gesteigerter Aufmerksamkeit" zu betrachten. Nicht für Abstandnahme und innerliche Distanz von den schrecklichen Ereignissen plädiert Sebastian, sondern für verantwortliche Stellungnahme, Mitleid mit den Opfern, Verständnis und Kompromisslosigkeit. Er lehnt es ab, Literatur allein als Ort der Flucht vor den Widrigkeiten des Alltags zu betrachten und reflektiert zugleich über die Sinnlosigkeit jeder kulturellen Aktivität in Zeiten von Krieg und Terror. Erstaunlicherweise gelingt es ihm, unter diesen unmöglichen Bedingungen seine besten Theaterstücke und den Roman "Der Unfall" (1940 postum veröffentlicht, Dt. 2001) zu schreiben.

Für die Zeit nach dem Krieg plante er nicht nur einen Roman über die tragischen Ereignisse dieser Epoche, sondern auch eine sehr offene und ehrliche Auseinandersetzung mit seinen vormaligen Freunden, die während der Antonescu-Diktatur zu Antisemiten geworden waren. Leider hat er das Ende des Krieges nur um wenige Wochen überlebt. Auf dem Weg zu einer Vorlesung an der Universität Bukarest wird er von einem Lastwagen überrollt.

Die nach dem Ende des Krieges installierte kommunistische Diktatur hatte für das literarische Werk Sebastians keine Verwendung. Erst 1996 sind seine Tagebücher in Rumänien erstmals veröffentlicht worden und fanden sofort einen großen Widerhall in der literarischen Debatte des Landes. Zahlreiche Übersetzungen, unter anderem ins Französische, Englische und Spanische, liegen inzwischen vor. Mit der Herausgabe der deutschen Edition ist ein wichtiger Schritt getan, um Sebastian auch für die Leser hierzulande in die Tradition jener jüdischen Schriftsteller, die über die Zeit der Verfolgung und Ermordung Zeugnis ablegen, zu stellen. Aber auch unabhängig davon sind die Tagebücher Mihail Sebastians ein großartiges und überaus lesenswertes Stück gesamteuropäischer Literatur.

Titelbild

"Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt". Tagebücher 1935-1944.
Herausgegeben von Edward Kanterian.
Übersetzt aus dem Rümänischen von Edward Kanterian und Rainer Erb.
Claassen Verlag, München 2005.
864 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3546003616

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