Von Stefan George zu Martin Buber

Ludwig Strauß als Mittler zwischen deutscher und jüdischer Kultur

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literarische Aufmerksamkeit erregte Ludwig Strauß in weiteren Kreisen zuerst durch ein Mißverständnis. 1918, zum fünfzigsten Geburtstag von Stefan George, veröffentlichte er zusammen mit Albrecht Schaeffer im Insel-Verlag den Band "Die Opfer des Kaisers, Kremserfahrten und die Abgesänge der hallenden Korridore", der Parodien auf die Dichtung Georges enthielt. Dabei war Strauß ein großer Verehrer des Dichters und wollte seine Parodien durchaus als Hommage verstanden wissen. Jedoch man glaubte ihm nicht. Es gab einen Skandal, in dessen Folge Strauß die Möglichkeit verlor, im Insel-Verlag zu veröffentlichen. Was es damals bedeutete, George zu parodieren, zeigt zudem der Umstand an, daß selbst Gershom Scholem, beileibe kein überzeugter Georgeaner, aufgrund der unerhörten Gedichte den Kontakt zu Strauß abgebrochen hat.

Daß jüdische Deutsche dem Dichter George anhingen, war nichts besonderes: die Mehrzahl der Jünger, Verehrer und auch Kritiker Georges sind jüdischer Herkunft gewesen. Viele jüdische Intellektuelle folgten jedoch nur dem Dichter und Poetiker George und nicht dem staatsbildenden Führer des "Geheimen Deutschland". Dementsprechend schätzten sie vor allem das frühe Werk bis zum "Jahr der Seele" und dem "Teppich des Lebens", dessen elitärer Einsamkeitsgestus offenbar der psychosozialen Befindlichkeit der jüdischen Intellektuellen um die Jahrhundertwende stark entgegenkam. Seine Ablehnung des späten George kondensierte Strauß in einem Aphorismus aus der Sammlung "Wintersaat", in dem es entsprechend heißt, "daß heute der Weg von der Schönheit zur Gemeinschaft nicht gangbar ist." Auch wenn dieser Weg auf Georges Spuren nicht gangbar war; zu gehen versuchte Strauß ihn schließlich dennoch. Gemeinsam mit vielen anderen jüdischen Autoren (darunter auch zahlreiche andere Georgeaner wie Wolfskehl und Erich von Kahler) veröffentlichte er 1913 in dem Sammelbuch "Vom Judentum", das der "Verein jüdischer Hochschüler BAR KOCHBA in Prag" unter der Führung von Martin Buber herausgegeben hat. Schon der Titel von Strauß' Beitrag, "Die Revolutionierung der westjüdischen Intelligenz", ist getragen von dem expressionistischen Pathos der "jüdischen Renaissance", die Martin Buber, dessen Schwiegersohn Strauß später wurde, ins Leben gerufen hatte. Unter dem Einfluß von Bubers "Drei Reden über das Judentum" forderte Strauß hier die Schaffung einer nationaljüdischen Kultur, und zwar auf Kosten jener kulturellen Tradition, mit der er doch überaus eng verbunden war: der deutschen. Diese für den deutsch-jüdischen Diskurs kurz vor dem ersten Weltkrieg typische Bewegung strukturiert auch die frühe Prosa von Ludwig Strauß, die im ersten der vorliegenden Bände enthalten ist.

Denn obwohl Ludwig Strauß seiner Lyrik stets den Vorrang vor den anderen Gattungen gegeben hat, haben die Herausgeber seiner Werke den Beginn ihrer Werkedition mit dem Band "Prosa und Übertragungen" und mit den "Schriften zur Dichtung" gemacht. Auf den eigentlichen Ludwig Strauß wird man also noch warten müssen. Dennoch sind gerade die zuerst erschienenen Bände deshalb von besonderem Interesse, weil in ihnen zahlreiche bislang unveröffentlichte Texte zu finden sind, Texte, die in die 1963 von Werner Kraft besorgte Ausgabe der "Dichtungen und Schriften" nicht aufgenommen worden waren. Als besonders hilfreich erweist sich jedoch vor allem der gelehrte Kommentar (für den Prosa-Band zeichnet Hans Otto Horch verantwortlich), anhand dessen sich nun die Bedeutung und Stellung der einzelnen Schriften innerhalb des Gesamtwerks von Strauß'ohne große Mühe nachvollziehen läßt. So wird in der frühen Novellensammlung "Der Mittler" die in den zeitgenössischen Debatten diskutierte Mittlerfunktion, die man den Juden bezüglich der deutsche Kultur zuschrieb, durch die symbolische Rückkehr zu den schöpferischen Ursprüngen des Judentums ersetzt. Da der 1892 geborene Strauß zur Zeit der Abfassung dieser Novellen kaum älter als zwanzig Jahre war, erhält der deutsch-jüdische Konflikt literarisch zumeist noch eine pubertäre Einkleidung: etwa wenn eine laszive Femme fatale zur Allegorie für die deutsche Kultur herhalten muß. Die Auseinandersetzung selbst jedoch tritt in ihrer psychischen Bedrohlichkeit stets deutlich hervor. Nicht ohne Grund ist der gewaltsame Tod, der Mord, eines der Hauptmotive der Novellen. In der letzten Erzählung kommt es dann jedoch zu einer Lösung des Identitätsproblems: das Fremde, das bei Strauß in bezeichnender Spiegelung seiner psychischen Situation für die deutsche Kultur steht, muß nun nicht mehr zerstört und durch das Eigene, die jüdische Kultur, ersetzt werden. Strauß will nun die Polarität des Deutschen und des Jüdischen in sich austragen und gerade in dieser Spannung den Impuls für eine neue Form deutsch-jüdischer Dichtung finden.

Da die Prosa für Strauß der literarische Ort war, die Auseinandersetzung zwischen den deutschen und den jüdischen Ich-Konstruktionen auszutragen (die Lyrik blieb von den Identitätskämpfen weitgehend unbelastet), ist es nur konsequent, daß nach dem "Mittler"-Band die Arbeit an den Erzählungen aussetzt: vorläufig schien der Konflikt bewältigt zu sein. An die Stelle der Erzählungen tritt nun eine Reihe von bedeutenden literaturwissenschaftlichen Schriften, mit denen Strauß sich Ende der zwanziger Jahre promovierte und habilitierte. Die Arbeiten über Hölderlin verdienen es dabei nach wie vor, von der Wissenschaft wahrgenommen zu werden - und das will bei einem Alter von fast 75 Jahren einiges heißen. Bestechend ist hier vor allem die stilistische Eleganz von Strauß' wissenschaftlicher Prosa. Unbedingt lesenwert ist aber auch der Aufsatz zur "Struktur des deutschen Distichons" von 1948, der den Fachmann in Sachen Metrik und Rhythmik deutlich verrät.

1935 wandert Strauß in der Hoffnung nach Palästina aus, "daß vor einer neuen Gemeinschaft der Weg zu neuer Schönheit sich öffne." Seine Bemühungen, in Deutschland eine sinnvolle deutsch-jüdische Existenz zu führen, waren gescheitert. Daß Strauß im Nachhinein versucht habe, diesem Skandal seines Lebens einen metaphysischen Sinn zu unterlegen und das Resultat politischer Gewalt und politischen Zwangs in die Vita eines jüdisch-deutschen Musterzionisten umzufälschen, hat wohl nicht zu unrecht Gert Mattenklott bemerkt. Von dieser Sinnsuche zeugt literarisch vor allem die vermittelnde Übertragung chassidischer Erzählungen ins Deutsche, die Strauß zu einer Zeit aufnahm, da er sich gezwungen sah, Deutschland zu verlassen. Die zahlreichen Aphorismen von Strauß - höchst kunstvoll in ihrer pointiert-nüchternen Gedankenschärfe, höchst anspruchsvoll in ihrer Bezugnahme auf die jüdische Mystik - belegen ebenfalls diese Gebrochenheit. Für eine Auseinandersetzung mit Ludwig Strauß und seiner Form des deutsch-jüdischen Diskurses sind sie unverzichtbar. Das gilt zumindest solange, bis die weiteren Bände der Ausgabe, die die Lyrik enthalten, vorliegen werden. Denn daß die Gedichte vieles von dem aussprechen, was in der Prosa ungesagt bleiben muß, verrät bereits deutlich Strauß' Essay "Über die Entstehung eigener Gedichte". "Wer ist das, der weiterspricht, wo wir abbrechen?" Diese Frage wird sich dann vielleicht beantworten lassen.

Titelbild

Ludwig Strauss: Gesammelte Werke 1. Prosa und Übertragungen.
Herausgegeben von Hans O. Horch u. a.
Wallstein Verlag, Göttingen 1998.
608 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3892442940

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Titelbild

Ludwig Strauss: Gesammelte Werke 2. Schriften zur Dichtung.
Herausgegeben von Hans O. Horch u. a.
Wallstein Verlag, Göttingen 1998.
496 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3892442959

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