Die B-Movies der Literatur

Ein halbtrefflicher Balladen-Doppelschlag in Schrift und Ton

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da fließt Blut und stürzen Türme, krachen Balken in wütenden Flammen, da zermalmt einer Hirnschalen gemeiner Banditen, da fordern freche Fräulein Mutproben im Bestienkäfig, das Schicksal schwingt sein sausendes Zepter, und die Männer kämpfen gegen Wellen und Widersacher und ihr Weh, umsaust von Hexen, von Feen und Dämonen. Wahrlich, Balladen haben an starken Reizen keinen Mangel. Sie sind die B-Movies der Literatur, schamlos jede Grenzziehung des guten Geschmacks verachtend, der Überwältigungsästhetik zugetan und im besten Fall von einer Kraft, die klare Verhältnisse schafft und Widerworte im Wirbel ihrer Wirkungsmacht erstickt. An der Wortmusik von Balladen kann man sich besaufen. Der Schritt von der Rezitation zum Melodram, zum Singen ist deshalb klein und öffnete weitere Wirkungskreise für die Ballade.

Ihr widmen sich Frank T. Zumbachs "Balladenbuch" und eine vier CDs umfassende Sammlung der "schönsten deutschen Balladen", gesprochen von renommierten Schauspielern. Das klingt spannend und ist es auch im Fall des Buches, denn die Ballade entzieht sich so sehr allen Definitionsversuchen, dass man außer auf die üblichen Verdächtigen in jeder neuen Sammlung auf Überraschungen stößt. Bei einem Umfang von 824 Seiten und über 750 Texten kann Zumbach lustig in allen Epochen wildern und neben den bekannten Gedichten mancherlei aufführen, das nicht einmal von ferne einer Ballade gleicht (das Volkslied "Tambourgesell", "Der Schatten" von Trakl, "Befürchtung" von Grass). Wegen der Entdeckungen und selten gedruckten Gedichte (Friedrich Theodor Vischers "Das Bankett" oder Ferdinand Freiligraths "Piratenromanze" oder Johann Friedrich Löwens "Die Wut der Frauen") stören die paar Fremden auf dem bunten Balladenball aber überhaupt nicht.

Zumbach betont in seinem schwerfällig-ungeschickten Vorwort, dass die Balladen zum Vortrag ermuntern sollen. Natürlich, ohne ihn sind sie höchstens die Hälfte wert! Aber wie soll man sie rezitieren? Seit den 60ern gibt es nämlich ein Problem. Da fiel die Ballade plötzlich dem Verdacht zum Opfer, sie sei reaktionär in ihrer Feier des Irrationalen. Gleichzeitig verwarf man eine Art der Sprechkunst, die jeden Konsonanten, jeden Vokal zelebrierte, die alle Register stilisierten Redens zu ziehen verstand, allerdings auch die Gefahr schnarrenden Hofbühnentons barg.

Was damals verloren ging, zeigt ein kurzer Vergleich zwischen Thomas Quasthoff, der Schuberts "Erlkönig"-Komposition singt, und Otto Sander, der Goethes "Erlkönig" spricht. Es liegt nicht nur an der Musik, dass Quasthoffs Interpretation umwirft, während die von Sander nur gut anhörbar ist. Sänger trauen sich noch, die Dynamik, das Tempo, die Klangfarben, die Dramatik des Inhalts und die Wortmusik bis ins Extreme auszukosten, wohingegen Sprecher zu einer Mittellage verdammt zu sein scheinen, weil eine politische Mode die traditionelle Rezitationskunst verbot. Wie wenig Dramatik traut sich Ulrich Mühe in Schillers "Bürgschaft" zu: "Das sollst du am Kreuze bereuen" klingt bei ihm wie "ich muss jetzt leider gehen". Genauso schwächlich Otto Mellies "Wild zuckt der Blitz" in Meyers "Die Füße im Feuer", doch baut er immerhin eine Spannung auf, die bis zum Schluss anhält. Keiner der zum Teil genialen Schauspieler wagt einmal ein Schreien, meistens bleiben sie im halblauten Plauderton oder in der getragenen Lyrikstimme, raunen gern, wobei die Wortklänge oft ineinander schwimmen. Was kann Susanne Lothar mit ihrer Stimme alles und wie wenig macht sie daraus, wenn sie Kaschnitz' "Die Katze" spricht! Viel zu selten versetzen sie und ihre Kollegen sich in die Figuren hinein, trennen oft nicht einmal klar zwischen Rolle und erzählenden Passagen. Man spürt förmlich die Angst vor den großen Gesten und Kontrasten. Doch davon lebt die Ballade.

Wer wissen will, was Balladen-Rezitation bedeutete, sollte sich einmal Albin Skoda anhören. In seine altmodische Art muss man sich zwar einhören, doch spricht er den Text so, wie ein Musiker seine Noten spielt: Jeder einzelne Buchstabe zählt, und immer geht es um das Ganze.

Titelbild

Frank T. Zumbach: Das Balladenbuch. Deutsche Balladen von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2004.
824 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3538069867

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Titelbild

Die schönsten deutschen Balladen. 4 CDs.
Gelesen von Dirk Bach, Ben Becker, Susanne Lothar, Otto Mellies, Ulrich Mühe, Otto Sander, Ulrich Tukur u. a.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2004.
261 Minuten, 22,95 EUR.
ISBN-10: 3491911494

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