"Essentiell für Gesellschaft und Staat"

Thomas Beck und Klaus Geus stellen und beantworten 100 Fragen zur Geschichtswissenschaft

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ich vor zwanzig Jahren begann, Geschichte zu studieren, quälten mich mindestens hundert Fragen. Vierzehn Jahre nach meinem Diplom schwirren mir eher mehr im Kopf herum, wenngleich andere. Und das Fach selbst betreffend, käme ich bei mancher Inquisition immer noch in Verlegenheit; darin Augustinus gleich, der über die Zeit sagte, er wisse, wenn man ihn nicht frage, was sie sei, frage man ihn aber, so wisse er es nicht.

Zwei Historiker haben auf "einer Radtour durch unterfränkische Weinberge" das Problem, welches nicht nur Studienanfänger, sondern alle an der Geschichte Interessierten mit schöner Regelmäßigkeit quält, erkannt, und in der Folgezeit eine ebenso originelle wie klare Lösung präsentiert: einen "Katechismus der Geschichtswissenschaft", der hundert zentrale Fragen formuliert und sie in wenigen, überaus deutlichen Sätzen beantwortet. "Was ist Geschichte?" lautet die erste, "Wo liegt die Zukunft der Geschichtswissenschaft?" die letzte Frage. Dazwischen geht es um die gesellschaftliche Relevanz des Faches, um das Problem der Objektivität, um "Kollektivsubjekte" und "Kollektives Gedächtnis", darum, ob Historiker eine "harte Wissenschaft" betreiben - "ja", heißt die überzeugende Antwort -, ob es anthropologische Konstanten gibt und über welche Methoden die Geschichtswissenschaft verfügt.

Im ersten Teil wenden sich die Autoren Klaus Geus, Privatdozent für Alte Geschichte in Mannheim, und Thomas Beck, Neuhistoriker in Bamberg, den Grundlagen des Faches zu. Mit einer heiteren Deutlichkeit, die von den Mühen des Denkprozesses, der davor lag, nichts mehr ahnen lässt und dennoch die Komplexität nirgends aufgibt, erklären sie, wer "Geschichte macht", und wie sich Wahrheit, Wirklichkeit und Interpretation zueinander verhalten. Immer wieder bekennen sie sich zur hermeneutischen Methode, zur Kärrnerarbeit der Quellensicherung, Quellen-Analyse und der Quellenkritik, zur Intersubjektivität und - mit gutem Recht - zum Stil.

Im zweiten Teil geht es um die Gegenstände der Geschichtswissenschaft: "Was ist Kultur?", "Ist Geschichtswissenschaft eine Kunst oder eine Technik?" oder "Was macht den guten Historiker aus?". Solche Fragen zu stellen, ist schon an sich erfrischend, sie auf höchstens zwei Seiten, meist aber nur in drei, vier Sätzen zu beantworten, eine erstaunliche Leistung. Dass eine polemische Note, eine Forschheit, eine Freude an gespitzter Feder durchscheint, tut der Erkenntnisfreude des Lesers keinen Abbruch, im Gegenteil. So wenden sich Beck und Geus gegen Historiker, in deren Darstellungen alles ohne Rest aufgeht: "Ziel einer Wissenschaft ist es auch nicht, einen harmonischen Sinnzusammenhang zu verstehen, sondern genau umgekehrt Verständniskrisen anzuerkennen und an ihrer Lösung zu arbeiten." Selbstbewusst und durchaus kämpferisch beantworten sie denn auch die Frage 50 nach den zentralen Aufgaben und Leistungen der Historiker für den Staat: "Geschichtswissenschaft ist essentiell für Gesellschaft und Staat. Der Historiker ist Dienstleister von bisweilen lebenswichtigen Informationen. Daher besteht für ihn die Forderung, literarisch, d. h. allgemein verständlich und plausibel zu schreiben ... Milliardenschäden durch Fehleinschätzungen können durch Befragung von Historikern vermieden werden."

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Thomas Beck / Klaus Geus: Katechismus der Geschichtswissenschaft. Ein Lehrbuch in 100 Fragen und Antworten.
Utopica Verlag und Versandantiquariat, Oberhaid 2004.
89 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 393808300X

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