Dem gewandelten Schillerbild Rechnung getragen

Aktuelle Ausgaben laden ein, Schiller neu zu entdecken

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der zweihundertste Todestag von Friedrich Schiller hat uns etliche Neuauflagen seiner Werke beschert, darunter auch die Aktualisierung der seit langem bewährten Hanser-Ausgabe, die, wie die Hamburger Goethe-Ausgabe vor sechs Jahren zu Goethes 250. Geburtag, auch im Deutschen Taschenbuch Verlag seitenidentisch, aber erheblich billiger als bei Hanser zu haben ist.

Die zunächst von Gerhard Fricke, Herbert G. Göpfert und Herbert Stubenrauch betreute Edition der Schiller-Werke im Hanser Verlag erfreut sich seit fünfzig Jahren großer Beliebtheit, wie man an ihren insgesamt zehn Auflagen (zuletzt im Jahr 2000) unschwer erkennen kann. Helmut Koopmann attestierte ihr noch 1998, "allen Ansprüchen an eine kommentierte Gesamtausgabe" zu genügen.

Dieses Lob verdient zweifellos auch die im Herbst 2004 in fünf starken Dünndruckbänden herausgegebene Sammlung. Sie enthält zwar keine Briefe, aber sämtliche Werke und ausgezeichnete Kommentare. Zudem ist sie handlich, sorgfältig ausgestattet mit Zeittafeln, Inhaltsverzeichnissen, einem Namensverzeichnis zur antiken Mythologie im ersten Band, und für Schule und für Studium ebenso geeignet wie für die Lektüre interessierter Schillerfreunde. Alle Texte des Dichters wurden von namhaften Wissenschaftlern gründlich revidiert und neu kommentiert. Hinzu kommen Textfunde, die hier erstmals veröffentlicht werden, sowie Anmerkungen zu den einzelnen Werken, in die der heutige Forschungsstand eingegangen ist. Zuweilen wurde, insbesondere bei der Kommentierung der Dramen auf umfassende Erläuterungen der Schiller-Nationalausgabe zurückgegriffen. Manches wurde neu geschrieben, überarbeitet, ergänzt oder gestrafft und Marginales ausgeschieden. Offensichtlich waren die Herausgeber bemüht, sowohl den veränderten Bildungsvoraussetzungen beim Lesepublikum als auch dem gewandelten Schiller-Bild der letzten Jahrzehnte Rechnung zu tragen.

Wie üblich beginnt die Ausgabe mit Schillers Lyrik, die in zwei Hauptgruppen unterteilt ist: in die "frühen" Gedichte bis 1788 und die späteren ab 1788. Die Balladen wiederum stehen in der von Schiller beabsichtigten Ordnung, während die Gruppe "Parabeln und Rätsel" auf einen sachorientierten Reihungsvorschlag von Rudolf Alexander Schröder zurückgeht.

Natürlich fehlen auch die "Philosophischen Gedichte" mit "Die Götter Griechenlands", die Elegien und die überwiegend zwischen Oktober 1795 und September 1796 entstandenen "Xenien" nicht, mit denen Schiller und Goethe auf satirische Weise das Publikum im Geiste der klassizistischen Autonomie-Ästhetik zu disziplinieren versuchten.

In Band zwei sind Schillers wichtigste Dramen versammelt sowie kleinere dramatische Arbeiten. In den sich anschließenden Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass die Pläne zum Wallenstein-Projekt auf den Winter 1790/91 zurückgehen, als Schiller Quellenstudien für seine "Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" betrieb. Mit dem Stoff der "Maria Stuart" hat sich Schiller dagegen schon im Winter 1782/83 in Bauerbach auseinander gesetzt und sich gegenüber den Quellen erhebliche Freiheiten erlaubt, als er die Königinnen Maria und Elisabeth erheblich verjüngte, um die erforderliche erotische Attraktivität gewinnen zu können, die den dramatischen Konflikt entscheidend bestimmt.

Die Legenden der Schweizer Geschichte von Wilhelm Tell haben Schiller ebenfalls schon geraume Zeit vor dem Tell-Projekt beschäftigt. Goethes spätere Behauptung im Gespräch mit Eckermann am 6. Mai 1827, er habe Schiller das Tell-Sujet vererbt, gehört, wie hier zu erfahren ist, in den Bereich der biografischen Mythenbildung. Zutreffend sei vielmehr, dass Goethe im Oktober 1797 von seiner dritten Schweizer Reise den Plan eines Tell-Epos mitbrachte, den er ausführlich mit Schiller erörterte, aber aus eigener Skepsis gegenüber dem "naiven" Sujet selbst niemals realisierte.

Während Schillers Originalmanuskripte der vollendeten Dramen verloren gegangen sind, hat sich ein Großteil der Vorarbeiten, Exzerpte und Skizzen zu den Fragmenten erhalten. In dieser Laune der Überlieferung liegen Reiz und Bedeutung der Entwürfe für ein Verständnis seiner klassischen Dramatik. Bemerkenswert ist - wie Band drei deutlich macht - das Themenspektrum der Entwürfe, das im Vergleich zu den abgeschlossenen Dramen manche Überraschung und etliche Experimente mit neuen, oft konträren Formen und Stoffen bietet.

In Band vier findet man Schillers historische Schriften, Vorlesungen, darunter auch seine berühmte Antrittsrede "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" sowie den Essay "Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde", in dem Schiller, angeregt durch Kants Abhandlung "Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte" (1786), zu beweisen sucht, dass die Entwicklung des Individuums unter dem Gesetz einer fortschreitenden Verfeinerung seiner Vernunftfertigkeiten vonstatten geht, deren Bedingung gerade die Vertreibung aus dem Paradies war.

Seine philosophischen Schriften der 1780er Jahre wiederum kleidete Schiller durchweg in ein narratives Gewand. Sie stehen sowohl in der literarischen Tradition des in erster Linie durch Voltaire vertretenen "conte philosophique" wie zugleich in der philosophischen des "platonischen Dialogs", den die Aufklärung ebenfalls als diskursive Form schätzte.

Bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat die Schiller-Forschung den medizinischen Jugendarbeiten des Dichters nur geringe Beachtung geschenkt. So beklagte noch 1982 Helmut Koopmann in einem umfassenden Kommentar zur neueren Schiller-Literatur die Vernachlässigung dieses Feldes im Werk des Dichters. Erst mit der Neubewertung der Schriften Schillers durch Kenneth Dewhurst und Nigel Reeves 1978 hat sich die Situation gewandelt. Inzwischen liegen umfassende Studien zu Schillers medizinischer Ausbildung und Beschäftigung mit der Medizin vor.

Daher unterscheidet sich auch von früheren Ausgaben der Textteil des fünften Bandes durch die Aufnahme der zuvor fehlenden zweiten medizinischen Dissertation Schillers "Tractatio de discrimine febrium inflammatoriarum et putridarum" (Über die Unterscheidung von entzündungsartigen Fiebern und Faulfiebern) aus dem Jahr 1780, die hier auf lateinisch und auf deutsch wiedergegeben wird.

So weit ein kleiner Einblick in die Themen und Kommentare der neuen, aktualisierten Hanser-Ausgabe im Deutschen Taschenbuch Verlag, die mit ihren ungemein aufschlussreichen Anmerkungen und hilfreichen Erläuterungen einlädt, Schiller neu zu lesen und zu entdecken.

Titelbild

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke in fünf Bänden.
Herausgegeben von Peter-André Alt, Albert Meier und Wolfgang Riedel.
dtv Verlag, München 2004.
5808 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3423590688

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