Nobler Respekt

Die Dokumentensammlung "Freundschaft im Exil" gibt Aufschluss über das Verhältnis Thomas Manns zu Hermann Broch

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band des Broch-Kenners Paul Michael Lützeler widmet sich mit sorgsam zusammengetragenen Dokumenten dem bislang wenig beachteten Verhältnis Hermann Brochs zu Thomas Mann.

Der 1886 in Wien als Sohn eines jüdischenTextilunternehmers geborene Hermann Broch kam zur Schriftstellerei erst über Umwege. Nach einem Studium der Textiltechnologie trat Broch zunächst in den väterlichen Betrieb ein, den er seit 1915 leitete. Doch bereits zu dieser Zeit wandte sich Broch kunsttheoretischen und philosophischen Betrachtungen zu. So war auch ein Text entstanden, der den Beginn seiner Beziehung zu Thomas Mann bedeutete: In einer engagierten Besprechung des "Tod in Venedig" hatte Broch Thomas Mann gegen den Vorwurf des Philistertums verteidigt: "'Philister!'" - "'Nein ein Künstler'." Eben dieser bei Thomas Mann erkannte künstlerische Anspruch wurde nun zum eigenen Maßstab, als Broch sich in den 20er Jahren endgültig der Schriftstellerei zuwandte. 1927 verkaufte er gegen den Widerstand des Vater die väterlichen Textilfabriken. Im gleichen Jahr begann er die "Schlafwandler-Trilogie" , die 1930-1932 im kleinen Rhein Verlag, dessen Verleger Daniel Brody ein enger Freund und Förderer Brochs war, erschien.

Ebenso erschienen dort in deutscher Übersetzung die Werke James Joyce'. Sie markierten für Broch jene neue Literatur, die einer politisch und ideologisch zerrissenen und wertverlorenen Welt angemessen war. "Die Zeit des polyhistorischen Romans ist angebrochen", schrieb er an Daniel Brody im August 1931. Gemeint war die Aufhebung herkömmlicher Erzählstrukturen und Romanordnungen. Die Vermischung der Erzählformen, neue Erzähltechniken wie der innere Monolog oder essayistische Einschübe, aber auch die Einbeziehung irrationaler, ins Mythische weisender Inhalte sah er bei Joyce verwirklicht. "Mann", so schrieb er in einem Brief an Egon Vietta 1934, "ist in diesem Sinne ein Ausklang, ja geradezu ein Schlußfeuerwerk der alten bürgerlichen Kunst, und ich bewundere die Genialität, mit der er [...] das Neue doch erahnt hat und mit den alten Mitteln doch noch erhascht und meistert."

Nach 1933 führten die Umstände des Exils beide Schriftsteller enger zusammen. "Zum Thee" erschien nun einige Male Broch bei den Manns im Schweizer Exil. Thomas Mann notierte die Besuche exakt im Tagebuch. Eindruck machte dort auch Brochs politisches Engagement, für das er schriftstellerische Arbeiten auch später immer wieder zurückstellte. Thomas Mann unterstützte die "Völkerbund-Resolution", die den Völkerbund als friedensfördernde und die Menschenrechte schützende Institution zu stärken suchte.

1938 verhalf Thomas Mann dem kurzzeitig von den Nazis in Haft genommenen Broch zur Ausreise nach Amerika. In Princeton war er nun oft zu Besuch. Von einer kleinen Flirterei mit der jüngsten Mann-Tochter Elisabeth berichtete einmal Erika Mann. Als Elisabeth 1939 den italienischen Schriftsteller Borghese heiratete, war Broch Trauzeuge.

Auch nach der Übersiedelung der Manns nach Kalifornien blieben die Kontakte bestehen. Thomas Mann gefiel die Wertschätzung, die Broch seinem Werk entgegenbrachte: "Daß auf dem Gebiet des Romans heute eigentlich nur noch in Betracht kommt, was kein Roman mehr ist, war längst auch meine Meinung gewesen, aber Sie haben diesen gefühlsmäßigen Eindruck aufs Schönste philosophisch begründet und gefestigt." Weiter schrieb er in einem Brief an Broch im Juni 1945: "Der Vergleich mit Joyce [...] hat mich wiederum frappiert und auf eine gewisse schmeichelhafte Weise überzeugt." Allerdings auch nicht ganz, wie er mit listiger Ironie hinzufügte: So habe bei ihm die "Traditionsgebundenheit [...] gewisse praktische Vorteile", erzeuge sie doch "trotz 'Zersetzung' der Romanform, öffentliche Zugänglichkeit" und verleihe so "die demokratische Eigenschaft des Genußmittels, die das Werk Joyces nur für ein paar stolze Eingeweihte besitzt."

Interessante Einblicke gibt die Dokumentensammlung in das belastete Verhältnis der Vertreter der 'inneren Emigranten' in Deutschland zu den Emigranten nach 1945. Broch geriet unfreiwillig in eine Art Mittlerfunktion. Er verteidigte Thomas Mann energisch gegen die unangemessen selbstmitleidigen und verletzenden Angriffe eines Frank Thiess, der die Exilentscheidung als unpolitisch-luxuriöse Bequemlichkeit denunzierte, während die wahre Last in der 'inneren Emigration' zu tragen gewesen sei. Ausgerechnet mit Frank Thiess verband Broch jedoch eine alte Freundschaft. Als Vizepräsident der 1950 gegründeten Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung drängte Thiess Broch, eine ihm angetragene Mitgliedschaft anzunehmen. Doch Broch fühlte sich unwohl, weil er Thomas Mann übergangen sah. In einem Brief an den Freund Erich Kahler vom November 1950 formulierte er sein Dilemma: "es fehlt Tommy. Und er muß fehlen, weil Thiess Vizepräsident ist. Nun weißt Du ja, wie ich zu Thiess stehe: er hat sich bei meiner Ausreise erstklassig benommen und ist ein drittklassiger Dichter. Was soll ich jetzt tun? Gehe ich hinein, so ist es [...] ein unfreundlicher Akt gegen den Tommy, gehe ich nicht hinein, so müßte ich die ganze Tommy-Sache wieder aufrühren [...] und ich streite für etwas, das mir eigentlich nicht der Mühe wert ist. [...] Auf besonderen Dank vom Hause Mann [...] rechne ich natürlich nicht." Broch, der im Übrigen nicht viel von den politischen Kompetenzen Manns hielt ("blamable Über-Naivität"), berichtet in einem Brief an Annemarie Meier-Graefe Ende August 1950 ein Vorkommnis aus Yale, das verblüffend einer von Hans Mayer überlieferten Episode anlässlich der Goethe-Feierlichkeiten 1949 in Weimar ähnelt. Hier wie dort habe Thomas Mann "wieder einmal politischen Unsinn geredet". Und einmal mehr war es Katia Mann, von der er "sehr unsanft darauf aufmerksam gemacht worden war", was ihn "so deprimiert" habe, "daß man ihn hat trösten müssen."

Dennoch hielt Broch zu Thomas Mann umso mehr, da dieser 1950 eine Nobelpreisnominierung Brochs unterstützte. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Am 30. Mai 1951 starb Hermann Broch.

Der vorliegende Band, so erfahren wir in der editorischen Notiz, enthält, "was immer Mann und Broch übereinander geschrieben haben." Seien es die Tagebuchnotate Thomas Manns oder jene Stellen aus den Briefwechseln beider Schriftsteller, in denen sie sich Dritten gegenüber erwähnen. Komplettiert wird der Band durch je zehn Briefe, die aus dem Briefwechsel erhalten sind. Zwei Briefe Manns an Broch waren bislang unveröffentlicht. Rund dreihundert Dokumente kommen so zusammen, "von denen ein Viertel bisher unveröffentlicht war."

Titelbild

Paul Michael Lützeler (Hg.): Freundschaft im Exil. Thomas Mann und Hermann Broch.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2004.
245 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3465033124

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