Schiller in Briefen und Vorreden über sein eigenes Werk

Mit der Neuauflage von "Schillers Selbstcharakteristik" wird der Dichter abermals geehrt

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Buch, das ich vorlege, ist in keinem Sinn mein Werk. Ich fand diese Zusammenfassung von Bruchstücken aus Schillers Schriften unter ererbten Büchern, zwischen Jean Paul und Zschokke. Der Urheber war Döring, ein vergessener Literarhistoriker, das Jahr des Erscheinens 1853. Da ich einmal zufällig das Buch aufschlug, fand ich mich genötigt, weiterzulesen bis zum Ende: das Gegenwärtige der heroischen Gestalt fiel mir auf die Seele." Damit beginnt Hugo von Hofmannsthal sein Vorwort zu dem Band "Schillers Selbstcharakteristik", der erstmals 1926 im Verlag der Bremer Presse erschien.

Hofmannsthal hat in diesem Buch Zitate aus Briefen und Vorreden Schillers zusammengestellt und so den Dichter im Gespräch mit Zeitgenossen und in Selbstreflexionen über das eigene Werk zu Wort kommen lassen. Damit vergegenwärtigte er Schiller auf das Lebendigste und erwies die Zeitlosigkeit und Aktualität seiner Werke.

"Das Vermächtnis, wie wir es vorlegen, zeigt das Heroische als die Grundhaltung seines Lebens", schreibt Hofmannsthal am Schluss seines Vorworts. "Es ist aus den Werken genommen und führt in die Werke zurück. Dass wir es vorzulegen uns gedrungen fühlen, ist eines der Zeichen der Zeit, die nicht leben will ohne einen neugebauten Heldensaal und ohne, dass wir das scheinbar Abgelebte zu neuem Leben rufen."

Als Hofmannsthal im Schiller-Jahr 1905 von seinem Verleger Samuel Fischer und dem Redakteur der "Neuen Rundschau" Oscar Bie gebeten worden war, einen Beitrag über Schiller zu schreiben, hatte er zunächst ablehnend geantwortet, dann aber doch drei kleine Aufsätze geschrieben, die im April und Mai 1905 in verschiedenen Zeitungen abgedruckt wurden.

Auch am diesjährigen Schiller-Jubiläum ist Hofmannsthal indirekt mitbeteiligt. Denn zum 200. Todestag erscheint eine Neuausgabe des von ihm unter dem Titel "Schillers Selbstcharakteristik" zusammengestellten Werks mit einem Nachwort von Joachim Seng, in dem Letzterer - er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Handschriftenabteilung des Freien Deutschen Hochstifts/Frankfurter Goethe-Museum - die Überzeugung äußert, dass das Büchlein nicht nur viel über Schillers Person und Werk aussagt, sondern auch Wesentliches über Hofmannsthal und sein Verhältnis zu Schiller verrät, das Seng anschließend genauer darlegt.

Auf die Umfrage der Halbmonatsschrift "Das literarische Echo", deren Antworten unter dem Titel "Hundert Jahre nach Schillers Tod" publiziert worden waren, hatte Hofmannsthal geschrieben: "Ich glaube, dass ich zu keiner Zeit meines Lebens, vom fünfzehnten Jahr an, den Kontakt mit Schiller und seinen Produkten irgendwann verloren habe." Eine Zeitlang habe er eine leidenschaftliche Vorliebe für die in Prosa verfassten Dramen gehabt, gegenwärtig lese er am liebsten einzelne Aufzüge, den letzten Akt von "Wallensteins Tod" zum Beispiel, den Akt von "Kabale und Liebe", in dem der Präsident in die Wohnung des Musikus kommt, den Rütli-Akt und die Szene aus dem "Tell", die dem Geßler-Mord vorausgeht. Zudem wirke die ungeheure sittliche Kraft eines Menschen wie Schiller heute stärker "durch die Schwungkraft seiner Reden und architektonische Kraft des Szenariums" als durch die direkten "Ideen und Reflexionen."

Doch während die Bedeutung von Goethes Werken für Hofmannsthal seit den lyrischen Anfängen spürbar und gut dokumentiert ist, sei ein Einfluss Schillers auf die Gedichte und frühen Dramen kaum nachweisbar, meint Seng. Zudem sei seine Auseinandersetzung mit Schiller nicht unkritisch gewesen. Vor allem gegen die "Menschheitserziehungsprojecte" des Klassikers Schiller hatte der 17-Jährige Dichter Einwände. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, der die Welt des Dichters erschütterte, gewannen Schillers Werk und Person für Hofmannsthal erneut an Bedeutung, auch wenn Goethe für ihn weiterhin der Exponent des "Jahrhunderts deutschen Geistes" geblieben sei. In Schiller sah Hofmannsthal dagegen den Repräsentanten einer spezifisch deutschen Geistigkeit seiner Epoche. Er blieb daher auch der einzige Dichter, dem Hofmannsthal im Rahmen seiner Herausgebertätigkeit mit "Schillers Selbstcharakteristik" einen eigenen Band gewidmet hat.

Doch der eigentliche Inhalt dieses kleinen Büchleins besteht aus Vorreden von Friedrich Schiller zu seinen einzelnen Dramen wie "Die Räuber" und "Fiesco", ferner aus Briefen an den Mannheimer Intendanten Heribert von Dalberg, an Andreas Streicher, seinen Fluchthelfer, an seine Gönnerin und Beschützerin Henriette von Wolzogen, die Schiller von Dezember 1782 bis Juli 1783 in Bauerbach Asyl gewährt hat, sowie an den Meininger Bibliothekar und späteren Schwager Wilhelm Friedrich Hermann Reinwald, an Christian Gottfried Kröner - mit ihm führte Schiller den sein Leben am längsten begleitenden Briefwechsel - sowie an die Schwestern Lengefeld. Das große, vom 3. Mai 1792 bis zum 2. April 1805 dauernde Briefgespräch mit Wilhelm von Humboldt (auch von diesem sind hier einige Episteln mit abgedruckt) zeichnete sich weniger durch seinen Umfang als durch seine Intensität aus. Eine bedeutende und für die deutsche Literaturgeschichte einzigartige Brieffreundschaft entwickelte sich in Schillers letztem Lebensjahrzehnt mit Goethe, der in Schiller den kongenialen Ansprechpartner gefunden hat und umgekehrt. Kein Wunder, dass zahlreiche Briefe von Schiller an Goethe auch Hofmannsthal für diesen Band ausgewählt hat, bekannte Hofmannsthal doch einmal, dass er den Goethe-Schiller-Briefwechsel zu jenen Büchern zähle, die er, "wenn man unter allen existierenden Büchern eine geringe Zahl auswählen müsste, am schwersten vermissen würde."

Titelbild

Hugo von Hofmannsthal (Hg.): Schillers Selbstcharakteristik. Aus seinen Schriften.
Mit einem Nachwort von Joachim Seng.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
198 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3458347739

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