"Er lebte lang und litt"

Heinz Ohffs missglückte Kleist-Biografie

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leben und Sterben Heinrich von Kleists hat die Biografen immer wieder angezogen. Gerade die Lücken in der lebensgeschichtlichen Überlieferung des Dichters haben oftmals die Fantasie der Biografen beflügelt. Dabei waren es nicht immer ausschließlich Wissenschaftler, die sich als Kleist-Biografen einen Namen gemacht haben, angefangen etwa von von Bülow über Wilbrand, Maas bis Birkenhauer.

Heinz Ohff, Jahrgang 1922 und als langjähriger Feuilletonchef des "Berliner Tagesspiegel" angesehener Journalist, hat sich an einer populären Kleist-Biografie versucht. Ein Unterfangen, das leider gänzlich missglückt ist, was bei einem widerständigen Autor wie Kleist zum einen passieren kann und zum anderen an sich nicht allzu dramatisch ist, gibt es doch gerade in den letzten Jahren einige hervorragende Biografien und werkbiografische Hinführungen zu Kleist und seinem Œuvre. Allen voran zu nennen sind die Reclam-Monografie von Klaus Müller-Salget (2002), Mitherausgeber der Frankfurter Klassiker-Ausgabe, und die Biografie von Rudolf Loch (2003), dem ehemaligen Leiter der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frankfurt/Oder, der vor allem für die Jugendzeit Kleists Neuigkeiten bietet. Faktenreich und schnörkellos ist auch die Kleist-"Chronik seines Lebens und Schaffens aufgrund von Selbstaussagen, Dokumenten und Aussagen Dritter", die Wolfgang Bartel 2001 vorgelegt hat oder die ebenso anschauliche wie leicht lesbare dtv-Monografie von Peter Staengle (1998), Mitherausgeber der Berliner (ehemals Brandenburger)-Kleist-Ausgabe. Zudem sind einige wichtige und gewichtige Werkmonografien, etwa von Jochen Schmidt (2003) oder Bernhard Greiner (2000), um nur zwei zu nennen, erschienen, von einer Reihe spannender Sammelbände ganz zu schweigen. Bis auf Peter Staengles dtv-Monografie scheinen jedoch die gerade skizzierten 'neuen Wege der Forschung' Heinz Ohff keiner Lektüre würdig. Denn nur Staengles dtv-Biografie erscheint in der schmalen Bibliografie. Doch auch die Kenntnis dieser Arbeit schützt Ohff nicht vor Irrtümern, Verkürzungen, Mutmaßungen und fantasievollen Erfindungen und Ausschmückungen.

Heinz Ohff, unter anderem auch Verfasser einer Fontane-Biografie, plaudert einfach munter drauf los; fängt beim Westfälischen Frieden an und gelangt doch nicht zu Kleists "preußischem Schicksal", wie der Untertitel vollmundig verheißt. Teilweise umständlich, teilweise geschwätzig, lässt Ohff seine Zügel schießen. So entsteht ein Kleist-Bild, das mit den Konturen der eingangs genannten Werke nur noch wenig gemein hat.

Der geneigte Leser runzelt erstmals die Stirn, wenn er bereits zu Anfang erfährt, dass die "zukünftigen Rekruten und Generäle als offizielle Staatssoldaten" nach Ende des Dreißigjährigen Krieges im preußischen Brandenburg nach der "Einführung des Militärs" bald einen Namen haben, "bezeichnenderweise einen deutschen: man nennt sie 'Kleist'". Die Stirnfalten werden tiefer, wenn er zunehmend missvergnügt erfährt, dass - nach dem Eingangsexkurs zu Ewald von Kleist - "der neue und bedeutendere Dichter Kleist am 19. Oktober 1777" geboren wird. Wenigstens das Geburtsjahr, so erkennt der gutwillige Leser an, stimmt. Ob die Wahrscheinlichkeit eher für den 10. oder den 18. Oktober als Geburtsdatum größer ist, fragte sich die Kleist-Forschung schon lange; den Ohff-Leser braucht es nicht zu kümmern. Ein paar Tage hin oder her macht schließlich den Kohl(haase) nicht fett. War der freundlich gesonnene Leser noch gewillt, diesen Lapsus dem mangelnden Lektorat des Verlages zuzuschreiben, schwindet diese Exculpierung immer mehr, wenn es mit Namen ebenso hapert wie mit Jahreszahlen. Ob "Zerbrochener Krug" oder der neue Kleist-Freund Rühle von Lilienstein irritiert mit fortschreitender Lektüre - Arnold Stadler würde von "fortschreitender Räude" sprechen - immer weniger, ebenso wie die Tatsache, dass der seit zwei Jahren tote Friedrich Schiller 1807 (!) Kleists "Phöbus"-Unternehmen ebenso "interessant" findet wie Goethe, oder dass Kleist einen "Würzburg-Essay" geschrieben hat oder gar himself seine Erkenntniskrise als "Kant-Krise" bezeichnete. Die eine oder andere dieser "Neuigkeiten" könnte der Rezensent, der sich mit Grausen vorstellt, dass diese "Biografie" Erstsemestern oder interessierten Laien in die Hände fällt, schließlich resignierend humorvoll goutieren, wenn Ohff nicht auch noch - gelinde gesagt - umständlich und holprig formulieren würde: "Mit dem bösen Teil der Welt hatte sich Kleist gleich zu Anfang seiner dichterischen Laufbahn auseinandergesetzt. Beinahe bezeichnend, dass er mit der 'Familie Schroffenstein' selbst den Nazis zu weit ging - er 'krankte noch an der Überspannung der Leidenschaften'" oder: "Ludwig, eines von vierzehn Kindern des berühmten Christoph Martin Wieland, riet dem Freund beim Abschied, diesen seinen Vater zu besuchen, damit er etwas für ihn, Kleist, tun könne."

Letzteres jedenfalls ist Heinz Ohff nicht gelungen, wie nicht zuletzt am Schluss seiner "Biografie" deutlich wird, wenn er die Grabinschrift wiedergibt: "Er lebte lang und litt" statt "Er lebte, sang und litt", wie das Foto deutlich zeigt.

Und so endet nach etwas mehr als 200 Seiten Ohffs biografische Kleist-"Erzählung" mit dem Fazit: "Einer der vielseitigsten Dichter deutscher Sprache bleibt ein Phänomen." Einer der ganz wenigen Sätze, den man - nach dieser Lektüre erschöpft - geradezu beglückt aufnimmt.

Titelbild

Heinz Ohff: Heinrich von Kleist. Ein preußisches Schicksal.
Piper Verlag, München 2004.
213 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3492046517

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