Mit ganz heiserer Stimme

Zum Tod des Dichters Thomas Kling

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für kaum einen zeitgenössischen Dichter galt das gesprochene Wort so viel wie für den im April verstorbenen Lyriker, Essayisten und Übersetzer Thomas Kling. Seinen vor drei Jahren erschienenen "Sondagen" (vgl. literaturkritik.de 01/2003), mit denen er sich als Spracharchäologe poetisch durch literarische Traditionen, die Kunstgeschichte und die Historie grub, lag eine CD bei, die seinen extravaganten und markanten Vortrag in einer "gebrannten Performance" speicherte. Zu der Zeit war längst klar, dass er sich für die Histrionen seiner Zunft, die Lautsprecher und Rampensäue wie H. C. Artmann oder Ernst Jandl begeisterte, denen er in nichts nachstand, wenn es darum ging, mit selbstsicherer Stimme lustvoll Kollegen zu schelten oder die eigenen, rhythmisch komplexen Texte zu deklamieren. Im konzentrierten Vortrag vermittelte sich für ihn der Geist der geschriebenen Sprache, die immer auch "eine Spur Straßendreck unter den Nägeln" haben muss, was sich im Gebrauch des Jargons ebenso zeigen kann wie in einer zuweilen aggressiven, das Pathos stets anfechtenden Haltung dem eigenen Schaffen gegenüber. Mit seinem Œuvre trat er aber auch für andere ein: für nahezu vergessene Sprachartisten des Barock oder für geschmähte Vertreter der Avantgarde, denen er in weit verzweigten Anspielungen und Zitaten seine Stimme lieh. Dabei blieb er gleichzeitig so gegenwärtig, dass er nie vergaß, die zu fördern, die es seiner Ansicht nach verdienten: Wo ein anderer Heine für sich neu entdeckte, entdeckte Kling für uns Leser die bis dahin weithin unbekannte Sabine Scho, und als alles von Durs Grünbein und Raoul Schrott sprach, sah Kling in Marcel Beyers vielschichtigen Gedichten "das kommende Blau". Beyer selbst sprach in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" angesichts von Klings Tod von der "Bibliothek, die brennt. [...] Das helle, augenschmerzende Lodern."

Der letzte Gedichtband des 1957 in Bingen geborenen Künstlers, der nach Stationen wie Düsseldorf, Wien, Finnland und Köln lange auf der Raketenstation Hombroich lebte, setzt Klings poetologisches Programm noch einmal eindrucksvoll fort. Was ihm zuletzt die Sondage war, wird ihm nun das Röntgen der Sprache und des Körpers. Die Ute Langanky gewidmete "Auswertung der Flugdaten" - mit der Fotografin erkundete er die Wechselwirkung von Text und Bild bereits in Werken wie "wolkenstein. mobilisierun'" oder "gelände. camouflage" - beginnt mit dem brüchigen "Gesang von der Bronchoskopie". Ihm als Motto vorangestellt hat Kling ein Zitat aus Ludwig Bechsteins Märchen "Gevatter Tod", das vorwegnimmt, dass es in diesem Zyklus im Hintergrund ums Ganze geht:

"Wer bist du?"
"Ich bin der tod!" sprach jener mit ganz heiserer stimme.

Gleich darauf wird da ein Ich dem Arzt und sich in erbarmungslos geologischer Metaphorik zum "lungenschacht". Noch seine persönlichen Erfahrungen im Krankenhaus, neugierig die medizinischen Aufzeichnungsgeräte betrachtend, "alle viertelstunden / blutbildstörung - blutbildkontrolle", verdichten sich Kling zum Bildarsenal, das sich in seiner Kälte und Distanz jeglicher Anteilnahme und Vertraulichkeit verweigert. In einer somatischen Introspektion, geprägt von Bildern des Bergbaus, werden immer tiefere Schichten in diesem existenziellen Kampf gegen das Verstummen, den endgültigen Verlust der Stimme, freigelegt: "die grube bin ich. genau. // hör zu. das auf / zugrabende. // das zu scharrende. / das alles aufzugrabende. // ich - stollenbahrer, / ich - claimhabit. / verschütteter - intakt? ich - berghabit, // so kam ich - / kam ich unter. / so kam ich zum erliegen."

Wenn es um die Bewertung eines dichterischen Werks geht, fragt man oft nach dem Eigenen, das einen Dichter ausmachte. Thomas Kling hat ohne Zweifel seinen ganz eigenen Ton in die deutsche Lyrik eingebracht. Vielleicht bleibt seine Stimme auch nach dem Verstummen in Erinnerung, wenn man seiner phonetischen Schreibweise, den gebrochenen Versen, den wirkungsmächtigen Bildmontagen und ungewöhnlichen Ausgrabungen folgt.

Titelbild

Thomas Kling: Auswertung der Flugdaten.
DuMont Buchverlag, Köln 2005.
172 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3832179178

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch