Die Subversion des Wortspiels

Jens Sparschuh, der noch immer unterschätzte Meister des doppelten und dreifachen literarischen Bodens, wird 50

Von Ulrich SimonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Simon

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deutschsprachige Gegenwartsliteratur soll unbedingt unterhaltsam erzählen - aber Kalauer haben darin, bitte schön, nichts zu suchen! Insofern macht es Jens Sparschuh seinen Lesern nicht leicht, zumindest etlichen professionellen. Denn er, der ausgebuffte, pointensichere Erzähler, scheut auch das vermeintlich aufdringliche Wortspiel nicht. Er verknüpft die "Wende" von 1989/90 mit dem mittelalterlichen slawischen Stamm der Wenden, wie im Roman "eins zu eins" 2003 geschehen. Er lässt Goethe als seine letzten Worte "Mehr nicht" wählen, wie in "Der große Coup" (1987) nachzulesen ist. Und er lässt 1995 Hinrich Lobek als Vertreter für Zimmerspringbrunnen die Karriereleiter der oberrheinischen Firma "Panta Rhein" hinaufsteigen und abstürzen; die DDR-Floskel "seit meiner Schulzeit überzeugter Vertreter der sozialistischen Ordnung" mutiert in Lobeks Bewerbung zu "Langjährige Erfahrung im Vertreterbereich". Auch deswegen wurde "Der Zimmerspringbrunnen" zu Sparschuhs bislang erfolgreichstem Buch, zumal bei den nichtprofessionellen Lesern.

Doch ein intellektuell breit anerkannter Schriftsteller ist Jens Sparschuh, der im Mai seinen 50. Geburtstag feiert, noch nicht, trotz Fürsprechern wie Heinrich Vormweg. Dabei ließe sich auf Sparschuh, geboren in Chemnitz, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß, ein Kommentar Goethes zu Lichtenbergs Aphorismen übertragen. In den "Maximen und Reflexionen" heißt es: "wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen". Der Roman "eins zu eins" beispielsweise beschreibt durch das Zusammenrücken von Wende und Wenden unter anderem Probleme der Geschichtsschreibung das Wortspiel als Subversion und Reflexionsanlass. Zudem illustriert "eins zu eins" Konflikte der deutsch-deutschen Gegenwart am Beispiel der Landkartenbranche. Das Cover zeigt Bäume, die sich im Wasser, erkennbar verzerrt, spiegeln. Bereits der Umschlag dementiert also den Titel. Konsequenterweise plagen sich die ost- und westdeutschen Protagonisten mit verschiedenen Wahrnehmungen und unterschiedlichem Wissen. Das vollzieht sich im Text subtil - die westdeutsche Chefin assoziiert mit Landvermessern und verbotener Literatur Kafkas "Schloß", ihr ostdeutscher Angestellter aber denkt an den Landvermesser Old Shatterhand aus Winnetou I und den in der DDR offiziell verpönten Karl May. Und die Komik einer Irrfahrt mit Landkarte erschließt sich eher dem, der weiß, dass die Stasi systematisch alle Karten manipulierte, um das Grenzgebiet großflächig zu einer Terra incognita zu machen. Die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen für Sparschuh typischen Mikrostrukturen hat noch nicht begonnen.

Sparschuhs Bücher verknüpfen Anspielungsreichtum mit einem leichten Ton, mit Stilmimikry, mit Wortspielen. Der Stasi-Bericht wird ebenso parodiert wie die Sprache Goethes, Kants oder Nietzsche (in den Hörspielen "Ein nebulo bist du" und "Das Lamadrama", die neuerdings in dem Bändchen "Silberblick" gesammelt vorliegen). Sparschuh verwendet häufig historische Quellen, denn der "große Coup" verbirgt sich in den kunstvoll fingierten und fiktionalisierten "geheimen Tage- und Nachtbücher des Johann Peter Eckermann". Der Roman "Der Schneemensch", der zwölf Jahre nach seinem Erscheinen nunmehr endlich als Taschenbuch vorliegt, literarisiert eine der authentischen Tibet-Expeditionen, die das SS-Ahnenerbe in Himmlers Auftrag unternommen hat, um den Ur-Arier ausfindig zu machen. Gerade an diesem Buch zeigt sich die Unzulänglichkeit des Klischees vom leichtgewichtigen Erzähler Sparschuh. In einer komplexen zyklischen Erzählstruktur repräsentiert der allmähliche Ich-Verlust des Erzählers den Wahnsinn des NS-Unterfangens, das Wissenschaftlichkeit für sich beansprucht. Der Leser wird konfrontiert mit Formulierungen wie "Es gibt Hinweise und Indizien, wonach es sich bei den sogenannten Schneemenschen um - ich sage das mit aller Vorsicht - ... Rasseverwandte von uns handeln könnte, verstehen Sie, um einen Evolutionszweig unserer Vorfahren, der womöglich im Eis des Himalaja gerankt ist und dort die Zeiten unbeschadet überstanden hat, während wir, als die europäischen Ableger sozusagen ... na ja". Die Komik und das Groteske solcher Aussagen rechtfertigt sich gerade aus dem Wissen heraus, dass das SS-Ahnenerbe und seine Wissenschaftler unter anderem für die Menschenversuche und deren irrwitzigen medizinischen Begründung verantwortlich waren, die in der postulierten Unterscheidbarkeit von vermeintlich wertvollen und angeblich nicht lebenswerten Menschen gründete.

"Der Schneemensch" bildet den Abschluss der Trilogie der "Lehrjahre der Galle"; zu ihr gehört "Der große Coup" sowie der Roman "KopfSprung. Aus den Memoiren des letzten deutschen Gedankenlesers", der 1989 noch in der DDR erschienen, aber seither nicht mehr aufgelegt worden ist. Das Buch ist eine bitterböse, mäßig getarnte Parodie auf den DDR-Wissenschaftsbetrieb. Der Reihentitel "Lehrjahre der Galle" ruft ein unübersehbares Feld von Assoziationen auf, von der antiken Säftelehre über den Melancholie-Diskurs bis hin zu Flauberts "Éducation sentimentale". Bemerkenswerterweise findet er sich in keinem der Bände, Sparschuh hat ihn nur gesprächsweise eingebracht. Die Erzähler der Trilogie, sucht man nach übergreifenden Gemeinsamkeiten, eint die Deformation durch Autorität und Macht. Ohne es zu explizieren verknüpfen die zahlreichen geistesgeschichtlichen Anspielungen Bücher übergreifend das 19. und das 20. Jahrhundert.

Und nicht nur in den "Lehrjahren der Galle", sondern in allen größeren und in eine Reihe der kleinen Texte sowie ansatzweise in den Kinderbüchern Sparschuhs wie "Die schöne Belinda und ihr Erfinder" (1997) zeigt sich die Orientierungslosigkeit der Protagonisten und ihre Konfronation mit Labyrinthen als ein Grundmotiv. Das sehr moderne, ja postmoderne Thema der brüchigen Identität illustriert Sparschuh in vielerlei Varianten. Die essayistischen Arbeiten und die Radio-Texte liegen seit kurzem in zwei Bänden vor. Die Titel gebenden Stücke von "Ich dachte, sie finden uns nicht" (1997) und "Ich glaube, sie haben uns nicht gesucht" (2005) zeigen vor allem im Zusammenspiel, dass sie nicht nur politisch lesbar sind, sondern auch als Parabeln über das Schreiben und den Status von Literatur überhaupt. Wenn man dank "Ich glaube, sie haben uns nicht gesucht" den promovierten Logiker Sparschuh als Exegeten der Aphorismen von Stanislaw Jerzy Lec kennen gelernt hat, allerspätestens dann, mag man an die inszenierte Unschuld des experimentellen Textes "Waldwärts" nicht glauben, der 2004 wieder aufgelegt worden ist. Der Untertitel verspricht einen "Reiseroman von A bis Z erlogen". Von einigen Rezensenten als Lyrik wahrgenommen, handelt es sich um eine Buchstabenspielerei, die an Georges Perec erinnert: Jedes der Wörter eines jeden Kapitels beginnt mit demselben Buchstaben. Jeder Buchstabe hat ein eigenes Kapitel. "Waldwärts" beginnt folgendermaßen: "Achtung! / Aufgepaßt! / Apotheker Alfred A., / Automobilist / auf altem / Achtzylinder-Audi". Der Klappentext vermeldet, dass der Text, der 1985 als aufwändiges Kleinformat mit Vollledereinband in der DDR erschien, "die Zensur nicht schadlos überstand". Beanstandet wurde das letzte Kapitel. "Zoll zückt Zettel, / zählt" - und zwar, wie die Leser erst jetzt wissen können: "zynisch" - "Zündhölzchen". Es zählt zu den Erstaunlichkeiten der DDR-Zensur, die unter anderem Ulrich Plenzdorfs Kinderbuch über Kontrolle und Verbot "Gutenachtgeschichte" (1984) - passieren ließ, dass sie nicht auch an etlichen anderen Passagen von "Waldwärts" Anstoß genommen hat wie "Unsere Utensilien: / Uhren, Unruhe und / Utopien, / untergraben unversehens / unser urgemütliches / Umherfahren". Das Kapitel zum X arbeitet, sehr verdächtig, aber publiziert, nur mit Platzhaltern und Satzzeichen und lädt geradezu ein zu Spekulationen. Das Ende, eingeleitet von "Zäune. / Zäune. / Zäune. / Zwischenfall", klingt nicht gerade nach sozialistischer Zuversicht: "Zurück zum Zimmer. / Zuriegeln. / Zuziehen. / Zappenduster!"

Das Vergnügen der Kombinatorik ergänzt sich für den Leser der Neuausgabe mit der Freude an den schrägen Illustrationen von Kay Voigtmann. Die korrespondieren mit der ständig unterlaufenen Harmlosigkeit der Wörter. So findet sich in einer vermeintlichen Idylle von Gassigängern ein Pudel, der eine Katze besteigt.

Jens Sparschuhs Texte sind, ausgenommen "Der Schneemensch", stets vergnüglich und leicht zu lesen. Sie halten aber zugleich für Leser, die den historischen und geistesgeschichtlichen Spuren folgen wollen, doppelte und dreifache Böden bereit. Darin ähnelt Sparschuh etwa Uwe Timm, an den er in den Roman "Lavaters Maske" (1999) eine Hommage mit Currywurst eingebaut hat. In einem Sparschuh'schen Selbstkommentar zum collagenartigen Hörspiel "Inwendig" findet sich eine Bemerkung, die als eines der Zentren seiner Poetik gelten kann: "[W]enn wir das Labyrinth [des Minotaurus] nicht nur als eine Ruine auf Kreta, sondern auch als Teil unseres Ichs begreifen, haben wir schon viel begriffen." Uraufgeführt noch vor dem Mauerfall, präsentiert sich der Text, wie der Untertitel erzählt, als "Labyrinthgeschichte für Fortgeschrittene".

Titelbild

Jens Sparschuh: Eins zu eins. Roman.
btb Verlag, München 2004.
412 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3442732034

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Titelbild

Jens Sparschuh: Silberblick. Zwei Unterhaltungen.
Illustrationen von Reinhard Minkewitz.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
92 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3462033794

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Jens Sparschuh: Waldwärts. Ein Reiseroman von A - Z erlogen.
Illustrationen von Kay Voigtmann.
Edition Büchergilde, Frankfurt a. M. 2004.
132 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3936428344

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Titelbild

Jens Sparschuh: Der Schneemensch. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005.
318 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3462034782

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Titelbild

Jens Sparschuh: Ich glaube, sie haben uns nicht gesucht. Zerstreute Prosa.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005.
221 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 346203460X

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