Diabolischer Schabernack

Lars Gustafssons Roman "Der Dekan"

Von Ulla TiggesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Tigges

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Nach dieser Wanderung durch die Unterwelt ist nichts mehr, wie es war. Man sieht dieselbe Welt. Aber es ist, als sähe man sie von einer anderen aus." Spencer C. Spencer, Professor für Philosophie an der University of Texas, erfährt eine solche Bewusstseinserweiterung mit Hilfe der halluzinatorischen Wirkung von Fliegenpilzen. Die 'Quelle', aus der die Leser dies erfahren, sind Spencers hinterlassene Aufzeichnungen, herausgegeben von einer Bibliothekarin an besagter Universität. Dass der Professor sich als wenig zuverlässiger Erzähler in Lars Gustafssons Roman "Der Dekan" erweist, braucht uns unter diesen Umständen nicht zu wundern. Dennoch folgen wir ihm ohne zu zögern bei seinem Abstieg, und tatsächlich wird vor unseren lesenden Augen die Welt - oder vielmehr unser Bild von ihr - auf den Kopf gestellt. Das gelingt dem Autor, der übrigens selbst lange Jahre als Professor für Philosophie an besagter Universität verbracht hat, indem er die Leser in charmant-amüsantem Plauderton zum Blick in abgrundtiefe Zweifel am Sinn der Welt verführt.

Zum Zeitpunkt der Niederschrift ist Spencer offenbar unter falschem Namen und falschem Vorwand in einer Pension am Rande der Wüste untergetaucht. Rückblickend bemüht er sich nun, Ordnung in das Chaos der vorangegangenen Ereignisse zu bringen und zu verstehen, wie "das Ganze anfing". Sein Versuch, chronologisch zu erzählen bleibt jedoch im Ansatz stecken, denn immer wieder kreisen seine Gedanken um den Dekan der Universität. Dieser kriegsversehrte Vietnamveteran hat Spencer zu seinem Stellvertreter berufen, ihn dann jedoch nur mit der Erledigung von Routinearbeiten betraut. Allerdings hält er ihm immer wieder Vorträge über seine skeptische Weltanschauung, über Gut und Böse, die Hölle, Fragen der Theodizee, über das Natürliche und Unnatürliche, Sinn und Zufall. Diese essayistisch anmutenden Passagen ziehen sich durch den gesamten Roman. Der Dekan erzählt Spencer auch von seinen Erlebnissen während des Vietnamkriegs, die teils grausam realistisch geschildert werden, teils aber auch das Mystische streifen. Überhaupt scheint der Dekan mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet zu sein. Er gilt als unangefochtene Autorität und besitzt eine Macht, die sich nicht allein aus seiner Position herleiten lässt. So begeht ein neuer Verwaltungsdirektor, der den Dekan bei einer Entscheidung übergeht, bald darauf Selbstmord. Während Spencer seinen Vorgesetzten immer weniger durchschaut, scheint dieser umgekehrt alles über ihn zu wissen. Dennoch ist er auf Spencers Hilfe angewiesen und bietet ihm - wie Mephisto dem Faust - einen Pakt an: Im Leben beider Männer gibt es Menschen, an denen sie Rache nehmen wollen - und dies Spencers Andeutungen zufolge wohl auch tun.

"Das Ganze", soweit es sich auf die Handlungsebene bezieht, bleibt tatsächlich bis zum Schluss undurchsichtig und verworren. Rätselhafte Personen tauchen auf und verschwinden. Sind sie überhaupt der realen Welt zuzuordnen, sind sie Fantasiegebilde des Erzählers oder gar Geister? Konstellationen, die das Genre 'Krimi' nahe legen, wie Spencers Eifersucht auf einen Nebenbuhler oder die Tatsache, dass der Dekan von einem rätselhaften Unbekannten verfolgt wird, gleiten unvermutet ins Übernatürliche. Die Spuren, die der Autor geschickt auslegt, und denen nachzugehen man kaum widerstehen kann, erweisen sich oft genug als falsche Fährten oder verlieren sich im Nichts. Man könnte sich durchaus verschaukelt fühlen, wären da nicht die feinen Prisen Humor, mit denen der Autor sein Werk gewürzt hat und die suggerieren: 'Liebe Leser, nehmt das alles doch nicht so ernst, ich tu es auch nicht.' Dieses Verfahren wandte Gustafsson bereits in seinem Buch "Die Sache mit dem Hund" an. Immer wieder glaubt man, das Ende eines Fadens zu packen und sieht sich doch getäuscht: Dadurch, dass Gustafsson wohl dosiert wörtliche Zitate aus dem eigenen Roman einstreut, entsteht der diffuse Eindruck des Wiedererkennens. Dem Aha-Effekt folgt dann aber jedes Mal die ernüchternde Entdeckung, dass man sich im Kreis bewegt. Gustafsson dehnt die Selbstbezüglichkeit auch auf seine früheren Romane aus: Die Leser begegnen einigen alten Bekannten wieder, sogar solchen, die eigentlich schon einmal gestorben waren. Die Struktur der erzählten Zeiten ist ebenso labyrinthisch wie die im Roman geschilderten Wüstenwege, und bald hat man sich als Leser hoffnungslos verzettelt. Wer also nur deshalb bis zum Schluss durchhält, weil er hofft, die Fäden doch noch entwirren zu können, riskiert eine Enttäuschung. Wer sich davon unbeirrt auf diesen diabolischen Schabernack einlassen möchte, sollte wissen, dass er sich auf schwankenden Boden begibt. Einige bis dahin selbstverständliche und beruhigende Grundannahmen werden jedenfalls vorübergehend in Frage gestellt. Das ist aber keineswegs bedrückend, sondern sogar vergnüglich zu lesen, denn letztendlich hat das alles den Charakter eines intellektuellen Spiels. Am Ende des Romans vernehmen wir, dass es "eine Person wie Spencer Spencer... nie gegeben" hat. Denn: "Eine solche Person kann es einfach nicht geben. Und folglich existiert sie auch nicht." Also können wir das Buch mit einem kleinen heimeligen Schauer zuklappen, und alles ist wieder in bester Ordnung.

Titelbild

Lars Gustafsson: Der Dekan. Aus Spencer C. Spencers hinterlassenen Papieren.
Gesammelt und herausgegeben von Dr. Elizabeth Ney.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
189 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3446205306

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