Zur bedeutsamen Rolle der Kategorie Geschlecht

Christina von Braun und Inge Stephans Handbuch der Gender-Theorien

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren wächst die Anzahl der Einführungen, Handbücher und Lexika zu den Gender Studies und zur Feministischen Wissenschaft zusehends. (vgl. literaturkritik.de 03/2003, 01/2004 und 03/2005). Nicht alle von ihnen sind gelungen. Zu den Bänden allerdings, die schnell und zu Recht zu Standartwerken avanciert sind, gehört zweifellos die von Christina von Braun und Inge Stephan im Jahre 2000 herausgegebene Einführung "Gender Studies". (vgl. literaturkritik.de 07/2000).

Nun haben die beiden Wissenschaftlerinnen nachgelegt. Gegenüber früheren vergleichbaren Werken beschreitet ihr Handbuch der Gender-Theorien mit dem Titel "Gender@Wissen" jedoch einen neuen Weg. Beschränkten sich verwandte Bänder bislang darauf, Übersichten über einzelne Disziplinen zu geben und deren Erkenntnisse additiv aneinander zu reihen, so richtet das vorliegende Buch sein Augenmerk nicht nur darauf, "welche bedeutsame Rolle die Kategorie Geschlecht in den theoretischen Debatten der Gegenwart spielt", sondern widmet sich auch dem Verhältnis der Gender Studies zu anderen disziplinenübergreifenden Forschungen. Dieser doppelten Aufgabe wird der Band durch eine Zweiteilung gerecht. Zunächst einmal greifen die Themen der im ersten Teil unter dem Titel "Themenfelder" versammelten Themen ineinander und werden in den Beiträgen aufeinander bezogen. Dies gilt insbesondere für die ersten Artikel: "Identität" von Claudia Breger, "Körper" (Irmela Marei Krüger-Fürhoff), "Reproduktion" (Bettina Mathes) und "Sexualität" (Heike Jensen), die "einander ergänzende, unterschiedlich akzentuierte Blicke auf ein theoretisches Feld [werfen], auf dem sich die jeweils besprochenen Konzepte in komplexer Weise überlagern", wie Breger konstatiert. Weitere Beiträge gelten den Themen "Globalisierung" (Heike Jensen), "Performanz/Repräsentation" (Dagmar von Hoff), "Lebenswissenschaften" (Kerstin Palm), "Natur/Kultur" (Astrid Deuber-Mankowsky), "Sprache/Semiotik" (Antje Hornscheidt) oder "Gedächtnis" (Claudia Öhlschläger). Wichtiger für das Gelingen des doppelten Vorhabens ist jedoch, dass in einem zweiten Teil, die Abgrenzungen und Überschneidungen der Gender Studies zur Postmoderne (Dorothea Dornhof), zu den Queer Studies (Sabine Hark), zur Postcolonial Theory (Gaby Dietze), den Media Studies (Katrin Peters) und den Cultural Studies (Claudia Benthien und Hans Rudolf Velden) beleuchtet werden. Unerörtert bleiben - wie die Herausgeberinnen sagen, aus "pragmatischen Überlegungen" - einige "komplexe, wissenschaftsübergreifende" Themenfelder wie etwa Genealogie, Differenz oder Mythos sowie "in den politischen Bereich zielende Debatten" um Alltag, Öffentlichkeit oder Arbeit.

Die Anordnung der Beiträge ist nicht zufällig gewählt. So ist es Claudia Bregers Text zur "Identität", der den ersten Teil eröffnet. Denn "die Frage der Identität" ist, wie die Autorin darlegt, eine zentrale, "wenn nicht die zentrale Problematik" der neuen Frauenbewegung und der aus ihr hervorgegangenen Geschlechterforschung. An ihr kann zudem "auf exemplarische Weise" gezeigt werden, "wie Gender@Wissen, d. h. als Schnittstelle jeweils aktueller inter / disziplinärer Konfigurationen funktioniert".

Sämtliche Beiträge dieses ersten Teils beginnen mit einigen Anmerkungen zur Etymologie und Begriffsgeschichte ihrer zentralen Termini sowie mit Erläuterungen darüber, "wie sich die Einlagerung von Geschlechtercodes in einzelnen Wissensfelder und theoretischen Diskursen vollzogen hat". Ansonsten entwickeln sich die Texte dieses Teils (ebenso wie auch diejenigen des zweiten Teils) frei von formalen Vorgaben entsprechend ihrem jeweiligen Themenfeld - und auch entsprechend der theoretischen Präferenzen der AutorInnen. Dabei informieren sie in aller Regel konzis und verlässlich, wenngleich sich der eine oder andere auch schon mal in bestimmten, nicht zentralen Aspekten seines Themas verlieren, so wie Bettina Mathes' Artikel zur Reproduktion in der Geschichte des Buchstabens 'A'. Zu monieren ist auch, dass leicht zugängliche Klassiker gelegentlich nach der Sekundärliteratur zitiert werden, wie Hegel von Claudia Breger oder Schelling von Bettina Mathes. Das macht es den AutorInnen zwar einfacher, erspart es ihnen doch die Lektüre der Texte selbst, ist aber nicht eben leserInnenfreundlich, müssen die Lesenden doch den Umweg über die Sekundärliteratur nehmen, wenn sie die Zitate im Original nachschlagen wollen, um sie im Zusammenhang lesen zu können. Auch ist nicht nachzuvollziehen, warum Wilhelm Reich bei Breger als Vertreter der Kritischen Theorie auftritt. Doch derlei sind Kleinigkeiten, die überall unterlaufen und die dem Wert des Bandes als fast schon unverzichtbares Arbeits- und Handbuch der Gender-Theorien keinen Abbruch tun. Dies gilt umso mehr, als sich die AutorInnen ausnahmslos auf der Höhe der von ihnen behandelten Diskurse befinden, deren Felder sie sicheren Schrittes abschreiten. Missglückt ist allenfalls einer der Texte: Christine Künzel wird dem ihr gestellten Themenfeld "Gewalt/Macht" nicht in vollem Umfang gerecht. So aufschlussreich ihre Ausführung zur (geschlechtsspezifischen) Gewalt sowie deren politischen und kriminalistischen Implikationen auch sind, so sehr vernachlässigt sie ihr zweites Thema: "Macht". Abgesehen von einigen kurzen Anmerkungen zur Etymologie des Begriffs erwähnt sie ihn kaum mehr und weist gerade noch beiläufig auf Foucaults "Machtkonzept" hin. Dessen feministische Weiterentwicklung durch Judith Butler (etwa in ihrem Buch "Psyche der Macht". vgl. literaturkritik.de 04/2002) nimmt sie schon nicht mehr zur Kenntnis.

Titelbild

Christina von Braun / Inge Stephan: Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. 3. aktualisierte Auflage.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2009.
370 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783825225841

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