Nähe und Distanz

Wie verhält sich die Linke zu den "no globals"?

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Internationalismus, die Kritik des Imperialismus an der Ausbeutung der Dritten Welt, das war einmal eine Paradedisziplin der deutschen Linken. Schon vor der Wiedervereinigung versiegte das Engagement, versickerte die Bewegung in Dritte-Welt-Läden. Innerlinks wurde dieses Feld glücklicherweise von der Vernunft eingeholt, d. h. kritisiert: weil die nationalen Befreiungsbewegungen, waren sie erfolgreich oder nicht, sich über kurz oder lang als überaus repressiv entpuppten; wegen des regressiven Bedürfnisses nach "Identität", "Authentizität" und letztlich völkischer Geborgenheit, die die diversen Solidaritätsbewegungen bei ihren revolutionären Subjekten suchten; wegen des manichäischen und verschwörungstheoretischen Weltbildes des Antiimperialismus, der per Umweg über den Anti-Amerikanismus sehr schnell da landete, wo es ihn nach eigener Logik (wenngleich im Einzelfall nicht beabsichtigt) hinzog, zum Antisemitismus, der an den Interventionen im Nahostkonlikt immer wieder manifest wurde und wird.

Mit der globalisierungskritischen Bewegung wurde der Internationalismus plötzlich wieder ungemein populär, aber die, die ihn auch in mauen Jahren weiterverfolgt hatten, stehen außen vor. Die "Bundeskoordination Internationalismus", kurz BUKO, ist eine davon. Bei den gegenwärtigen "no globals" spielen sie keine Rolle. Mit der Aufsatzsammlung "radikal global" versuchen sie, sich wieder ins Gespräch zu bringen und gleichzeitig auf Distanz zur Bewegung zu gehen. Die Themenfelder werden aktualisiert, man kann nachlesen, was man über Neoliberalismus, Krieg, Geschlechterverhältnis, Migration, Ökologie, die Aktualität des Imperialismusbegriffs usf. wissen sollte.

Auch sie verspüren ein Unbehagen an dem, was an ihnen vorbeizog und sie haben aus ihrer Vergangenheit gelernt. Sie kritisieren den Antiimperialismus und den Anti-Amerikanismus, - aber vorzugsweise, weil er nicht vor der eigenen - europäischen - Tür kehrt (Michael Hahn), weniger wegen seines ideologischen Gehalts an sich. Sie resümieren die linke Rezeption des Nahostkonfliktes kritisch (Jörg Später), fürchten aber auch, es sei nun "keinerlei Kritik am Staat Israel mehr möglich" (Moe Hierlemeyer). Sie sind sensibel für "eine zu kurz greifende Kritik am Kapitalismus" auch in der Gegenwart und für die "Gefahr einer strukturellen Anschlussfähigkeit an antisemitische Stereotype." Aber gleich in dem Aufsatz, in dem einem (im Übrigen sehr onkelhaft) erklärt wird, was Kritik sei, wird vor zu scharfer Kritik gewarnt und angeregt, lieber "das Radikalisierungspotenzial bzw. den utopischen Überschuss 'reformistischer' Forderungen auszuloten und in diesem Sinne an einer Weiterentwicklung von Bewegungspolitik mitzuwirken." Kritik soll "radikal" sein und "kann einen wertvollen Beitrag leisten", aber bitte mit Maß. Wäre an den "no globals" doch nur der Reformismus zu kritisieren! Aber nicht nur der soll schöngeredet werden. "Widersprüche, die es zu politisieren gilt", findet man nicht nur beim Reformismus, sondern auch bei der "rassistischen Mobilisierung" in den Jahren 1990ff., die die Antideutschen laut Hierlemeyer leider mit "dichotomen Analysemethoden und vorschnellen Analogiebildungen verdeckten."

Eine solche Bewegungsbetrachtung kappt die Dialektik und wird zur Ontologie. Über das Potenzial kann man erst dann etwas sagen, wenn aus diesem Potenzial etwas geworden ist. Der BUKO aber weiß es immer schon vorher: Potenzial ist vorhanden und müsse nur herausgekitzelt und aufgepäppelt werden. Sie wollen nicht von dem ausgehen, wie es ist, sondern immer von dem, was nach ihren projektiven Wünschen daraus werden könnte. Der BUKO weigert sich, die "no globals" ernst zu nehmen: diese können nicht meinen, was sie sagen. Dies ist herablassender als die unterstellte "elitäre Selbstüberhöhung" der "Antideutschtümelei" (Thomas Seibert), auf die viele Beiträge zu sprechen kommen, auch wenn von der Überschrift her das Thema ein anderes sein sollte. Die Schärfe, die man bei ihrer Kritik an den "no globals" vermisst, holen sie bei der an den Antideutschen nach, leider meist falsch und unberechtigt. Die Bedeutungslosigkeit in Zeiten, wo das eigene Thema Konjunktur hat, treibt wohl an zur Flucht in ein Kollektiv gegen einen gemeinsamen Gegner.

Der gemeinsame Gegner und sein "erbarmungsloser Zorn" (Hierlemeyer) wurde vom AStA München im Mai 2003 zum Kongress "Spiel ohne Grenzen" versammelt. Hier sollte eine Bestandsaufnahme der "no globals" vorgenommen und Kritik geübt werden. Schon im Vorfeld kam es zu erregten Diskussionen bis hin zu Drohungen, und einige Geladene (u. a. Robert Kurz, Katja Diefenbach, Alex Demirovic) sagten ab, entweder weil ihnen zu unsolidarisch kritisiert wurde, oder weil man eine Versammlung von Bellizisten aufziehen sah.

Was die Globalisierung angeht - ist sie ein neues Phänomen oder nicht? gibt es sie oder ist sie eine Erfindung des Neoliberalismus? welche Rolle spielen die Nationalstaaten noch in ihr? -, so ist man sich uneins. Anders bei der Beurteilung der "no globals". Wer wissen will, was deren verschiedene Strömungen umtreibt und eint, woraus sich ihr Weltbild zusammensetzt, aus welchen Traditionen sie schöpfen, wohin es sie führen kann und wohin es sie schon geführt hat - wer also wissen will, wie die so genannte "verkürzte Kapitalismuskritik" und der Antisemitismus zusammenhängen, wieso weder diese Kritik noch der Anti-Amerikanismus noch alternative Geldmodelle das Kapitalverhältnis antasten; wer wissen will, wie banal "attac" ist, was Antonio Negris und Michael Hardts "Empire" taugt, wie unfriedlich die deutsche Friedensbewegung ist - der kann das hier nachlesen. Die Güte der einzelnen Beiträge schwankt - ein guter Einstieg ist es aber allemal.

Titelbild

radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke.
Herausgegeben von BUKO.
Assoziation A, Berlin 2003.
272 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3935936184

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Titelbild

Spiel ohne Grenzen.
Herausgegeben von AStA der Geschwister-Scholl-Universität München.
Verbrecher Verlag, Berlin 2004.
356 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3935843399

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