Existenzialistisches Grundwissen

Heiner Hastedts Einführung in die Philosophie Sartres

Von Amira SarkissRSS-Newsfeed neuer Artikel von Amira Sarkiss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 19. April 1980 folgten 50.000 trauernde Menschen dem Sarg Jean Paul Sartres zum Friedhof Montparnasse. Obwohl er in seinen letzten Jahren keine bedeutende Rolle mehr innerhalb der französischen Philosophie spielte, blieb Sartre als intellektuelle Figur über seinen Tod hinaus außergewöhnlich. Sartre, der am 21. Juni 2005 seinen 100. Geburtstag feiern würde, war nicht nur Philosoph, sondern in gleichem Maße Schriftsteller und streitbarer Journalist. Ab 1945 war er Herausgeber der philosophischen Zeitschrift "Les temps modernes" sowie ein Essayist, der sich in seinem Schreiben an keine Gattungsgrenzen hielt. Er wohnte fast Zeit seines Lebens in Hotels, schrieb und arbeitete in den mittlerweile zu touristischen Kultstätten gewordenen Cafés "Deux Magots" und "Café Flore", lebte eine unkonventionelle Partnerschaft, engagierte sich bei politischen Aktionen und schlug den Nobelpreis für Literatur aus. Mit seinem unorthodoxen Lebensstil verkörperte der Begründer des französischen Existenzialismus auch für die nicht an Philosophie interessierte Öffentlichkeit diese lange Zeit in Deutschland und Frankreich vorherrschende Strömung, die sich in den Jahren zwischen 1930 und 1960 zu einer neuen Lebensform und Mode entwickelte. Die Bekanntheit der öffentlichen Person Sartre ist weitaus höher als die Kenntnis seines philosophischen Werkes und sein Rang unter den Fachphilosophen. Ist er als Philosoph der Freiheit heute, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, noch aktuell?

Diese Frage stellt der in Rostock lehrende Philosophieprofessor Heiner Hastedt in seiner in der Reihe "Grundwissen Philosophie" erschienenen Einführung mit dem schlichten Titel "Sartre". Mit kritischer Sympathie für den "Grenzgänger Sartre" legt Hastedt eine differenzierte Darstellung der Stärken und Schwächen des Denkers vor, die nicht nur die Philosophie, sondern das gesamte Wirken und Engagement Sartres unter philosophischen Vorzeichen deuten will. Da Sartres Werk eng mit seinem Lebensstil verknüpft ist, thematisiert Hastedt zu Beginn seiner Einführung den Einfluss Nietzsches auf den Philosophen, der sich mehr in der Gestaltung und Inszenierung des eigenen Lebens fern von jeglichen Konventionen sowie seinen literarischen Texten zeigt, als in seinen philosophischen Schriften. Das gilt vor allem für den wichtigen frühen Text "Der Ekel", der sich gegen die Bürgerlichkeit wendet und radikal das eigene Ich und die Freiheit von allen Bindungen in den Mittelpunkt stellt, auch um den Preis der Einsamkeit. Wie Nietzsche versucht auch Sartre, die durch die Nichtexistenz eines Gottes ausgelöste Heimatlosigkeit des Menschen aufzuzeigen und das daraus entstehende Angewiesensein auf eine Selbstgesetzgebung, die sich jedoch nicht mehr am kategorischen Imperativ Kants orientieren kann, stark zu machen. Hastedt ermöglicht in den weiteren Kapiteln einen ersten und auch Lesern ohne Vorkenntnisse nachvollziehbaren Zugang zu Sartres Theorien. Seine Kernthesen und Begrifflichkeiten wie "Freiheit", "Nichts", "der Andere", "Faktizität", "Engagement" und "Verantwortung" werden in einer Analyse von Sartres Hauptwerken "Das Sein und das Nichts", "Fragen der Methode", "Kritik der Dialektik", "Der Idiot der Familie" diskutiert und ebenso kritisch beleuchtet wie Sartres fatale Einschätzung des Stalinismus und der sich daran entzündende Streit mit Camus, der schließlich zum Bruch führte. In der ausführlichen Behandlung von "Das Sein und das Nichts", worin Sartre eine systematische Verbindung von Hegel, Husserl und Heidegger versucht, stellt Hastedt klar die Stärken und Schwächen des Philosophen dar: Seine einerseits faszinierende "Hymne" auf die Freiheit und die andererseits mangelnde Konsistenz und Widersprüchlichkeit in der Argumentation, die sich etwa in Sartres Übernahme von Überlegungen zeigt, die nicht gleichzeitig behauptet werden können. Hastedt zeichnet nach, wie sich Sartre in den späteren Werken "Fragen der Methode" und "Kritik der dialektischen Vernunft" mit seinem Versuch einer Zusammenführung von Individuum und Gesellschaft, von Marxismus und Existenzialismus, Freiheit und Determinismus zunächst vom Existenzialismus distanziert, jedoch auch den dogmatischen Marxismus scharf kritisiert. Den Rückweg in die Subjektivität, den Sartre dann in seiner Auseinandersetzung mit der konkreten Biografie einer Person in seiner Zeit vor allem in seinem Werk "Der Idiot der Familie" einschlägt, referiert Hastedt ebenso anschaulich wie seine abschließende knappe Darstellung der Position, die Sartre gegenüber seinen Zeitgenossen und Nachfolgern wie Foucault und Lévinas einnimmt.

Heiner Hastedt legt eine informative und trotz der erforderlichen Verknappung anschauliche und verständliche Einführung in das Werk Sartres vor, die auch ein sinnvolles Glossar der Schlüsselbegriffe und eine kommentierte Bibliografie beinhaltet. Die Entwicklungslinien seines Denkens, die Irrwege und Korrekturen, die Sartre in seinen unterschiedlichen Phasen vornimmt, lassen dennoch ebenso Sartres radikales Freiheitsdenken wie auch sein Verständnis von Engagement als die für sein gesamtes Werk und sein Leben bestimmenden Faktoren deutlich werden. Nicht die denkerischen Details in Sartres philosophischen Werken mögen für heutige Leser interessant sein, vielmehr sieht Hastedt in den Themen, die Sartre bearbeitet hat, eine auch heute noch gültige Aktualität - im Nachdenken über das Verhältnis von Faktizität und Freiheit oder von Individuum und Gesellschaft. Themen, die in der Bearbeitung Sartres zwar argumentative Schwächen aufweisen, die "aber von seinen Beiträgen profitieren".

Titelbild

Heiner Hastedt: Sartre.
Reclam Verlag, Stuttgart 2005.
140 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3379201200
ISBN-13: 9783379201209

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