Schwarze Hexer

Anne Cuneos Roman über die Ursprünge der modernen Typografie

Von Ernst GrabovszkiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ernst Grabovszki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paris, 24. Dezember 1534 - kein besonnener Weihnachtsabend, sondern ein grausames Schauspiel frühneuzeitlicher Gerichtsbarkeit: Auf dem Scheiterhaufen wird ein 54-jähriger Mann verbrannt. Seine Schandtat: Er hat verschiedene Schriften gedruckt, die angeblich gegen die Heilige Messe gerichtet sind. Neben dem hilflosen Körper lodern auch seine Bücher in den Flammen. War sein Tod gerecht? Die wahre Schuldige im Prozess heißt Marguerite de Navarre, doch gegen die Schwester des Königs vorzugehen ist so gut wie unmöglich, an ihrer Stelle stirbt ihr Drucker und Verleger Antoine Augereau.

Die Lebensgeschichte des Antoine Augereau hat die in Zürich lebende Autorin und Fernsehjournalistin Anne Cuneo zu einem historischen Roman verarbeitet. Diese Geschichte wäre wahrscheinlich um einiges farbloser, würde sie sich nicht auch noch um eine andere Figur drehen, die mit Augereau zu tun hatte und die ihn schließlich in seiner historischen Bedeutung überragen sollte. Um 1510 begann Claude Garamond eine Lehre bei dem Meister der Typografie, und es war der junge Schriftschneider, der der Nachwelt bekannter bleiben sollte als der Meister. Die heute noch gebräuchliche "Garamond" - eine Version findet sich heute auf beinahe jedem Computer - geht auf einen Entwurf Garamonds aus dem Jahr 1530 zurück, als er eine Cicero-Type schnitt, die um 1620 von Jean Jannon unter dieser Bezeichnung nachgeschnitten und publiziert wurde. Doch Garamond und Augereau waren keine einfältigen Handwerksburschen. Sie dienten dem König und waren gleichsam Kollaborateure der Aufklärung: Augereau als Verleger und Drucker, Garamond als Schriftgießer, der für Francois I., Marguerites Bruder, unter anderem die "Grecs du Roy" nach einem Vorbild des kretischen königlichen Kalligrafen Angelus Vergecius schuf. Die Rolle der beiden Schriftkünstler hat Cuneo in ihrem Roman sehr klar hervorgekehrt: Sie verkehren in den bedeutenden gesellschaftlichen und philosophischen Kreisen und gestalten zumindest die ästhetischen Grundlagen der Kommunikationsinstrumente des 16. Jahrhunderts mit. Ende der 1920er Jahre wurden die alten Typen wiederentdeckt. Die Schriftgießerei Stempel kreierte ihre Garamond, die bis heute ausgiebig verwendet wird und weitere ebenso gebräuchliche Entwürfe beeinflusst hat wie etwa Jan Tschicholds "Sabon".

Doch so ambitioniert sich Cuneos Roman anlässt, stellt er seine Leser oft vor eine Frage: Warum hat die Autorin ihr Material nicht gleich zu einer Biografie verarbeitet? Die Quellen, die sie für ihr Buch gesichtet, gesammelt und verwendet hat, lasten stellenweise träge auf dem Erzählfluss und bringen ihn gelegentlich zum Stocken. Die Balance zwischen Fiktion und Historie, die jeder historische Roman zu bewältigen hat, ist oft nur schwer auszutarieren, sodass die Informationen oft aufgedrängt wirken, vor allem in den vielen Dialogen, die damit viel von ihrer Leichtigkeit und Unmittelbarkeit einbüßen. Das historische Material wäre also in einer Biografie von Garamonds Lehrmeister dichter und einleuchtender darstellbar gewesen - ohne auf erzählerische Eleganz verzichten zu müssen. Nicht umsonst ergänzt die Autorin ihren Roman durch ein aufschlussreiches Nachwort, das nicht nur ihre Arbeit gleichsam poetologisch reflektiert, sondern weitere historische Informationen liefert und einmal mehr Claude Garamond in den Mittelpunkt rückt.

Ein Verdienst ist diesem historischen Roman in jedem Fall gutzuschreiben: Er holt eine Zeit und eine Biografie in die Gegenwart zurück, die für die Ästhetik unserer Gutenberg-Galaxis bis heute richtungweisend geblieben ist. Die Autorin öffnet aber auch den Blick für die Mentalität der Menschen im 16. Jahrhundert, die dem Schreiben, der Schrift und dem Druck keineswegs noch aufklärerische Weitsicht entgegenbrachten, schließlich für die Voraussetzungen, die Garamond zu seinen Leistungen geführt haben. Sein Lehrer Antoine Augereau bleibt in der Schriftgeschichte zwar nicht unberücksichtigt, tritt aber oft genug hinter seinem berühmten Lehrling zurück.

Es bleibt zu hoffen, dass über den Umweg des Romans das Schaffen der nicht nur in der Renaissance bedeutendsten Schriftdesigner ein Publikum erreicht, das damit Zugang zur Geschichte eines kulturellen Mediums findet, das unsere Welt erst erfahrbar gemacht hat.

Titelbild

Anne Cuneo: Garamonds Lehrmeister. Antoine Augereau - Schriftenschneider, Drucker, Verleger, Buchhändler.
Limmat Verlag, Zürich 2004.
559 Seiten, 37,50 EUR.
ISBN-10: 3857914637

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