Was man mit der heiligen Birgitta anfangen kann

Zwei gute Sachbücher und ein verkorkster Roman

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die heilige Birgitta muss eine faszinierende Frau gewesen sein. Um 1303 als Tochter eines reichen und einflussreichen schwedischen Adeligen geboren und mit der schwedischen Königsfamilie verwandt, heiratete sie selbst mit Ulf Gudmarsson einen späteren "Lagman". Sie hatte acht Kinder, war aber gleichzeitig auch als Hofmeisterin der Gattin König Magnus Erikssons auf höchster Ebene politisch tätig; gemeinsam mit ihrem Mann unternahm sie ausgedehnte Pilgerreisen, unter anderem bis ins weit entfernte Santiago de Compostela. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1344 widmete sie sich ganz ihrer religiösen Berufung: Sie ließ schriftliche Aufzeichnungen ihrer Visionen erstellen und plante die Gründung eines neuen Ordens. Seit 1349 lebte sie in Rom, um dort die Anerkennung dieses Ordens zu bewirken, von dort aus setzte sie sich ausdrücklich für die Rückkehr des Papstes von Avignon in die heilige Stadt ein; gleichzeitig betreute sie in ihrem Haus Pilger aus dem Norden, Obdachlose und Arme.

In dieser Vita, die von ihrer Grundkonstellation her in gewissem Maße typisch für das Leben mittelalterlicher adeliger und religiös interessierter Frauen erscheint, zeichnen sich so deutlich zwei Phasen ab: Führte Birgitta zunächst das von einer Frau aus dem Hochadel erwartete, eher diesseitig orientierte Leben mit einer erfolgreichen Heirat, großer Familie und der Übernahme politischer Verpflichtungen, so war ihre zweite Lebenshälfte - ihre Witwenschaft - hauptsächlich auf ihre religiösen Interessen ausgerichtet. Dabei ist allerdings nicht zu vergessen, dass sie sich auch in dieser zweiten Lebensphase nicht in abgeschiedene Kontemplation zurückzog, sondern auch hier ihrer sozialen Stellung treu blieb und diese - oftmals erfolgreich - für ihre Ordenspläne ausspielte.

Auch nach ihrem Tod 1373 ging die Erfolgsgeschichte der Birgitta weiter: 1378 wurde der Birgittenorden offiziell von der römischen Kirche anerkannt, 1391 erfolgte auf Betreiben ihrer Tochter Katharina die Heiligsprechung, 1998 wurde sie zur Schutzpatronin Europas erklärt. Das von ihr gegründete Kloster Vadstena besteht bis heute als Pilgerzentrum.

Das Jubiläumsjahr der Birgitta - ihr siebenhundertster Geburtstag im Jahr 2003 - hat erneuten Anstoß dazu gegeben, sich mit dieser außergewöhnlichen Frau auseinander zu setzen. Auf je unterschiedliche Weise tun dies unter anderem die vorliegenden Bücher: ein biografischer Roman von Barbara Günther-Haug, eine Biografie von Günther Schiwy und eine wissenschaftliche Studie von Pavlina Rychterová zur Übersetzung der "Offenbarungen" ins Alttschechische.

Die Studie von Rychterová befasst sich in einem ersten Überblickskapitel mit der Entstehung der "Offenbarungen"; diese werden von ihr in erster Linie als "kollektives Werk" verstanden, an dessen Abfassung nicht nur Birgitta, sondern ebenso ihre jeweiligen Beichtväter Matthias von Linköping, Peter Olofsson von Alvastra und Peter von Skänninge sowie Alfonso Pecha, der Verfasser der abschließenden Redaktion, einen entscheidenden Anteil hatten. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dann auf der Rezeption der "Offenbarungen" in Böhmen: Rychterová stellt den Verfasser der alttschechischen Auswahlübersetzung, Thomas von Štítné, vor; sie setzt sich mit den Interessen auseinander, die an die Verbreitung der "Offenbarungen" von verschiedener Seite geknüpft waren und bietet eine Edition sowohl der Lang- als auch der Kurzfassung der alttschechischen Übersetzung. Der Band ist ergänzt durch eine umfangreiche Bibliografie zum Thema, verschiedene Register erleichtern die Orientierung.

Während diese konzeptionell überzeugende und wissenschaftlich sorgfältig erarbeitete Untersuchung hauptsächlich für Philologen und Historiker von Interesse sein dürfte, wenden sich die beiden weiteren zu besprechenden Bände an ein breiteres Publikum.

So schreibt Günther Schiwy eine zwar wissenschaftlich fundierte, aber dennoch leicht lesbare und sehr ansprechende Biografie über Birgitta, die auch für einen Leserkreis ohne größere Fachkenntnisse zu den Themen mittelalterlicher Ordensgeschichte und Mystik geeignet ist. Seine Darstellung enthält viele Abbildungen, wie etwa Fotografien historischer Orte, die mit dem Leben der Birgitta verbunden sind, Reproduktionen von Gemälden, Buchmalereien und Holzschnitten oder auch schematische Zeichnungen, beispielsweise die der von Birgitta gegründeten Klosteranlage in Vadstena. Beigefügt ist ebenfalls eine Zeittafel zum Leben Birgittas und eine Karte der wichtigsten Birgitta-Orte in Mittelschweden, auch eine Bibliografie mit weiterführender Literatur zu Birgittas Leben und Werk fehlt nicht.

Als Grundlage für seine Ausführungen benutzt Schiwy in erster Linie die "Offenbarungen", aus denen er auch häufig zitiert - diese sehr quellenorientierte Herangehensweise ist für die Biografie in ihrer Gesamtheit ein großer Gewinn. An einigen Stellen wäre allerdings zu fragen, ob Schiwy nicht manchmal zu vertrauensvoll und unkritisch an seine Quelle herantritt um sich eine intimere Innensicht auf das Leben Birgittas zu erschließen, etwa wenn er eine der Visionen Birgittas mit der Darstellung einer Seele im Fegefeuer als "autobiographische Schrift" und "Selbstdarstellung" ihres Ehemannes Ulf Gudmarsson interpretiert. Möglicherweise gehen Inhalte der Rede der verstorbenen Seele tatsächlich auf Biografisches aus dem Leben Ulfs zurück; da es sich aber bei den "Offenbarungen" um einen stark rhetorisch stilisierten, offen interessegeleiteten und in seiner Gesamtheit auf mehrere Urheber zurückgehenden Text handelt, der eben nicht in erster Linie der individuellen Selbstdarstellung dient, sondern vor allem Kritik an Missständen üben und zu frommer Lebensweise anleiten soll, sind auf dieser Grundlage direkte Rückschlüsse auf das Innenleben der mittelalterlichen Personen keinesfalls möglich oder zulässig.

Abgesehen von solchen kleineren "Schönheitsfehlern" handelt es sich indessen bei Schiwys Biografie um einen gut recherchierten und detailreichen Text. Durch Untergliederung in kurze Kapitel, denen jeweils eine den Inhalt referierende Überschrift beigefügt ist, wirkt der insgesamt sehr umfangreiche Band übersichtlich und benutzerfreundlich; alle Informationen, die nicht den "Offenbarungen" entnommen sind, beruhen auf fundiertem und sorgfältigem Quellenstudium, so dass dieses Buch gerade als erste Einführung in eine intensivere Beschäftigung mit der Mystikerin zu empfehlen ist.

In gewisser Weise neben diesen Sachtext stellt sich der zuerst 2002 im Stieglitz Verlag publizierte und nun als Taschenbuch im Piper Verlag erschienene biografische Roman "Birgitta von Schweden. Die große Seherin des 14. Jahrhunderts" der Medizinerin Barbara Günther-Haug. Der Roman ist als fiktive Lebensbeichte der Heiligen kurz vor ihrem Tod in Form eines Schreibens an ihre Tochter Katharina (Karin) verfasst. Ähnlich wie Schiwys Biografie handelt er sehr detailreich alle Stationen des Lebens der Heiligen ab. Was allerdings an Schiwys Sachbuch als deutlicher Vorzug hervortritt, sorgt hier für das Misslingen der poetischen Fiktion: der Detailreichtum. Zunächst weckt die Zeitstruktur des Romans Zweifel. Die Aufzeichnungen des literarischen Ichs beginnen im Jahr 1373, Birgitta befindet sich angeblich bereits in sehr schlechtem körperlichen Zustand. Ihr Tod tritt - in Übereinstimmung mit der historischen Überlieferung - im Juli des gleichen Jahres ein. Nun umfasst Günther-Haugs Roman allerdings gute 330 Seiten; es ist kaum vorstellbar, dass eine siebzigjährige Frau, die - sehr ausdrücklich - mit dem Tode ringt, in einem halben Jahr ein derart umfangreiches Werk verfasst haben sollte. Die unglückliche Wahl der Erzählinstanz beeinflusst den Roman auch ansonsten negativ. So wiedersprechen etwa die immer wieder von "Birgitta" eingeflochtenen langatmigen Erklärungen jeder Erzähllogik: Ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu verschiedenen Adelsfamilien beispielsweise sollten doch gerade der fiktiven Adressatin, ihrer Tochter Katharina, die ja selbst in diese Familie eingebunden ist, bestens bekannt sein - in einem authentischen Lebensbericht wäre wohl kaum Pergament darauf verschwendet worden, Bekanntes in aller Ausführlichkeit zu berichten. Gleiches muss für die Darstellung des letzten Lebensabschnitts gelten, den Birgitta gemeinsam mit ihrer Tochter in Rom verbringt - auch diese Phase müsste die Adressatin Katharina so gut aus eigener Erinnerung kennen, dass sich eine weitere Erzählung erübrigen würde; dazu kommt noch, dass das Erzähler-Ich "Birgitta" oft - teilweise in recht ironisch wirkender Form - von Ereignissen berichtet, unter denen Katharina gelitten hat oder die ihr angeblich peinlich waren (wie z.B. eine Anzahl in unangemessener Form vorgebrachter Heiratsanträge römischer Adeliger) - auf Katharina hätte dieser Teil des Lebensberichtes ("Du hast aber nur wie ein hilfloses Tierchen leise gewinselt") ausgesprochen indiskret, wenn nicht gar spöttisch oder herablassend wirken müssen - was wiederum in Widerspruch zu der als Seelenverwandtschaft geschilderten guten Beziehung zwischen Mutter und Tochter steht.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Kurz: Günther-Haugs Werk ist als Informationsquelle ebenso ergiebig wie Schiwys Biografie - in literarischer Hinsicht ist es allerdings gründlichst misslungen.

Abschließend bleibt festzustellen: Die heilige Birgitta von Schweden ist allemal eine intensivere Beschäftigung wert - die Untersuchung von Rychterová und Schiwys Biografie werden wohl das ihre dazu beitragen, dass das Interesse an Birgittas Person, ihrem Leben und ihrem Werk sowohl im wissenschaftlichen Bereich als auch auf der Ebene allgemeineren, populären Geschichtswissens noch eine Weile aufrecht erhalten bleibt.

Titelbild

Barbara Günther-Haug: Birgitta von Schweden. Die große Seherin des 14. Jahrhunderts.
Stieglitz Verlag, Mühlacker 2002.
342 Seiten, 20,90 EUR.
ISBN-10: 3798703590

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Titelbild

Günther Schiwy: Birgitta von Schweden. Mystikerin und Visionärin des späten Mittelalters. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
431 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3406504876

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Titelbild

Barbara Günther-Haug: Birgitta von Schweden. Die große Seherin des 14. Jahrhunderts.
Piper Verlag, München 2004.
352 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3492240801

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Titelbild

Pavlina Rychterova: Die Offenbarungen der heiligen Brigitta von Schweden. Eine Untersuchung zur alttschechischen Übersetzung des Thomas von Stítné (um 1330- um 1409).
Böhlau Verlag, Köln 2004.
290 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3412113042

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